Band 29 - thule-italia.net
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Keiner von uns sprach. Ich hatte kaum Raum genug für die Gedanken, welche mir kamen und gingen. Ist es<br />
wirklich nur Sage, oder giebt es einen Chodem für Jeden, der ein geistiges Leben führt? Da legte der Ustad<br />
seine Hand auf meinen Arm und sagte:<br />
»Du denkst, und ich weiß, worüber. Grüble nicht, sondern warte! Der Mensch ist ja gewöhnt, nur das zu<br />
glauben, was er mit seinen körperlichen Augen sieht. Weißt du noch, daß ich Hadschi Halefs Seele durch<br />
die besondere Betonung seines vollständigen, langen Namens zurückrief. Hätte ich das nicht getan, so wäre<br />
er gestorben, so aber zwang ich ihn, "sich auf sich selbst zu besinnen", wie man sich leider auszudrücken<br />
pflegt. Meinst du vielleicht, daß nur die Seele zu zwingen sei? Warte es ab! Die sogenannte "Erziehung"<br />
zwingt Millionen Geister in Schablonen. Sollte es denn gar so unmöglich sein, von diesen Millionen<br />
wenigstens einen einzigen aus dieser Schablone wieder herauszuzwingen?«<br />
Wie das so eigenartig klang! Ich sollte nicht denken, sondern warten. Wer das wohl fertig brächte!<br />
Als die Zeit gekommen war, ritten wir wieder näher an den Berg und dort in eine kleine Bodenvertiefung<br />
hinab, die uns vor unberufenen Augen schützte. Dort hatte ich mit Kara zu bleiben. Der Ustad aber ging zu<br />
Fuß hinüber nach dem Bach, wo Ibn el Idrak wahrscheinlich schon auf ihn wartete. Ich war nicht ganz ohne<br />
alle Besorgnis um den Freund, doch versicherte er, es mit einem ehrlichen Manne zu tun zu haben. Das<br />
mußte ich gelten lassen. Natürlich hatte er Larve und Agraffe schon längst wieder abgelegt.<br />
Es verging weit über eine Stunde; da kam er wieder, mit schnellen, kräftigen Schritten, wie Jemand, der<br />
eine gute Botschaft bringt.<br />
»Dieser Aschyk ist ein Prachtmensch geworden!« rief er uns zu, noch ehe er uns erreicht hatte. »Ich muß<br />
ihn dem Schah-in-Schah unbedingt zur Begnadigung empfehlen, und zwar sofort, wenn wir jetzt<br />
heimgekehrt sind. Denn es muß wieder ein Eilbote fort.«<br />
»So hast du also Gutes gehört?« fragte ich.<br />
»Sehr Gutes! Wir müssen noch vor Tages Anbruch daheim sein, damit man deinen Syrr nicht sehe. Darum<br />
habe ich mich jetzt nur kurz zu fassen. Unsere Renngegner treffen heut schon ein, um ihre Pferde mit der<br />
Bahn vertraut zu machen. Was ich nur ahnte, ist mir jetzt gewiß: Ibn el Idrak hat einen so bedeutenden<br />
Anhang unter den Taki, daß er im Stande ist, die Pläne des Scheik ul Islam zu durchkreuzen, und dazu ist er<br />
unbedingt entschlossen. Von ihm ist der Gedanke ausgegangen, daß ich Ustad der Taki werden soll, und er<br />
hält ihn sogar jetzt noch fest. Der Scheik ul Islam hat ihm aber in schlauer Weise vorgegriffen, um<br />
entweder die Ausführung ganz unmöglich oder mich zu einem seiner willigen Geschöpfe zu machen. Seit<br />
er seinen Ghulam als Ustad eingeschmuggelt hat, haben mehrere stürmische Sitzungen stattgefunden. Zu<br />
ihm halten die denkschwachen Fanatiker, welche Fatima noch über Muhammed selbst setzen, und die<br />
jüngeren Babi, die den Kaiser tief unter sich wissen wollen. Das sind unsere Gegner, die sich zunächst am<br />
Rennen und dann auch am Kampfe beteiligen werden. Ich will sie einstweilen die Ultra-Taki nennen. Die<br />
Andern sind die Friedfertigen. Sie haben uns beobachtet und nie eine Ueberhebung, eine Falschheit bei uns<br />
gefunden. Sie verlangen, uns als Menschen achten zu dürfen, nicht aber um des Glaubens willen uns hassen<br />
und befeinden zu müssen. Sie wollen Mohammed verehren, aber nicht den Scheik ul Islam anbeten. Sie<br />
wollen dem Schah-in-Schah gehorchen und keine willenlose Puppe an seiner Stelle sehen. Sie haben Ibn el<br />
Idrak beauftragt, diese ihre Wünsche in der Dschemma vorzutragen, sind aber mit einer so hochmütigen<br />
und beleidigenden Rücksichtslosigkeit abgewiesen worden, daß sie beschlossen haben, nun auch ihrerseits<br />
nicht die geringste Rücksicht mehr zu nehmen und ihre Wege ebenso heimlich zu gehen wie die Andern.<br />
Die erste Folge dieses Entschlusses ist die jetzige Unterredung mit mir. Ich bin mit Ibn el Idrak so<br />
aufrichtig gewesen, wie es mir geboten erschien. Er staunte über das, was er erfuhr. Als ich ihm schließlich<br />
aber auch noch mitteilte, daß ihr neuer Ustad der blutige, gewissenlose Henker der Sillan sei und daß der<br />
Oberste der Schatten Kaiser werden solle, war er ganz außer sich über dieses betrügerische Spiel und nahm<br />
sich vor, diese Hinterlist mit gleicher Münze zu bezahlen. Die Ultra-Taki werden also nicht das Geringste<br />
von dem erfahren, was die Friedfertigen und Regierungstreuen zu tun gesonnen sind. Der gegen sie<br />
gerichtete Schlag wird über sie kommen wie ein Blitz aus wolkenlosem Himmel.«