Edouard Schuré - Die großen Eingeweihten
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<strong>Edouard</strong> <strong>Schuré</strong> <strong>Die</strong> <strong>großen</strong> <strong>Eingeweihten</strong> Geheimlehren der Religionen<br />
<strong>Die</strong>ser Tempel war dem Osiris geweiht, aber man betete dort auch den höchsten<br />
Gott an unter dem Namen Aelohim. Denn dieses Heiligtum äthiopischer Abkunft<br />
diente als religiöser Mittelpunkt den Arabern, den Semiten und den Menschen<br />
schwarzer Rasse, welche die Einweihung suchten. So waren schon seit Jahrhunderten<br />
der Sinai und der Horeb der mystische Mittelpunkt eines monotheistischen Kultus.<br />
<strong>Die</strong> kahle und wilde Erhabenheit des Berges, der sich einsam zwischen Ägypten und<br />
Arabien erhob, weckte den Gedanken des alleinigen Gottes. Viele Semiten pilgerten<br />
dahin, um Aelohim anzubeten. Sie verbrachten dort einige Tage fastend und betend<br />
in den Höhlen und in den im Bergrücken des Sinai eingegrabenen Galerien. Vorher<br />
gingen sie in den Tempel von Madian, um sich dort zu reinigen und belehren zu<br />
lassen.<br />
Nach diesem Ort flüchtete Hosarsiph.<br />
Der Hohepriester von Madian oder der Raguel (Aufseher Gottes) hieß damals<br />
Jetro 39 . <strong>Die</strong>ser war weder ein Inspirierter noch ein Mann der Tat, aber ein großer<br />
Weiser. In seinem Gedächtnis wie in den steinernen Bibliotheken seines Tempels<br />
waren Schätze der Wissenschaft aufgehäuft. Und dann war er der Beschützer der<br />
Männer der Wüste, der nomadisierenden Libyer, Araber, Semiten. <strong>Die</strong>se ewigen,<br />
sich immer gleichbleibenden Wanderer mit ihrem unbestimmten Streben zum<br />
einigen Gott stellten etwas Unveränderliches dar inmitten der vorübergehenden Kulte<br />
und des Zusammenbruchs der Zivilisationen. Man fühlte in ihnen, wie die Gegenwart<br />
des Ewigen, das Gedächtnisbuch ferner Zeiten, die große Ersatzmannschaft<br />
Aelohims. Jetro war der geistige Vater dieser Unlenksamen, dieser Wanderer, dieser<br />
Freien. Er kannte ihre Seele, er ahnte ihr Schicksal voraus. Als Hosarsiph eine<br />
Zufluchtsstätte bei ihm suchte, empfing er ihn mit offenen Armen. Vielleicht erriet er<br />
sogleich in diesem Flüchtling den zum Propheten der Verbannten, zum Führer des<br />
Volkes vorherbestimmten Mann.<br />
Hosarsiph wollte sich erst den Büßungen unterziehen, die das Gesetz der<br />
<strong>Eingeweihten</strong> den Mördern auferlegte. Wenn ein Priester des Osiris einen sogar<br />
ungewollten Mord begangen hatte, wurde er verlustig gehalten der Wohltat seiner<br />
vorzeitigen Auferstehung »im Lichte des Osiris«, eines Vorrechts, das er durch die<br />
Prüfungen seiner Einweihung erworben hatte. Um sein Verbrechen zu sühnen, um<br />
das innere Licht wiederzufinden, mußte er sich grausameren Prüfungen unterwerfen,<br />
sich noch einmal selbst dem Tod aussetzen. Nach langem Fasten und mit Hilfe<br />
gewisser Tränke versetzte man den Patienten in lethargischen Schlaf; dann brachte<br />
man ihn in das Grabgewölbe des Tempels. Er blieb dort tage-, manchmal<br />
wochenlang 40 . Während dieser Zeit nahm man an, daß er eine Reise ins Jenseits<br />
vollführte, in den Erebus oder die Region des Amenti, wo die Seelen jener Toten<br />
schweben, die sich von der irdischen Atmosphäre noch nicht gelöst haben. Dort<br />
mußte er sein Opfer aufsuchen, dessen quälende Angst mitempfinden, sein<br />
Verzeihen erlangen und ihm helfen, den Weg des Lichts wiederzufinden. Dann nur<br />
hätte er den Mord gebüßt, wäre sein Astralkörper gereinigt von den schwarzen<br />
Flecken, die ihm anhafteten durch den vergifteten Atem und die Flüche des Opfers.<br />
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