Edouard Schuré - Die großen Eingeweihten
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<strong>Edouard</strong> <strong>Schuré</strong> <strong>Die</strong> <strong>großen</strong> <strong>Eingeweihten</strong> Geheimlehren der Religionen<br />
In der Tat hat der berühmte Streit des Apollo und Bacchus um den Dreifuß des<br />
Tempels keinen andern Sinn. Bacchus, sagt die Legende überließ den Dreifuß seinem<br />
Bruder und zog sich auf den Parnaß zurück. <strong>Die</strong>s bedeutet, daß Dionysos und die<br />
orphische Initiation das Vorrecht der <strong>Eingeweihten</strong> wurden, während Apollo seine<br />
Orakel der Außenwelt verkündete.<br />
53 Goldne Verse des Pythagoras, übersetzt von Fabre d’Olivet.<br />
54 Vgl. auch das interessante Buch »<strong>Die</strong> Seherin von Provost« von Just. Kerner. Der<br />
deutsche Philosoph Schelling hatte die hohe Bedeutung des Somnambulismus in<br />
bezug auf die Unsterblichkeit der Seele erkannt. Er bemerkt, daß während des hellen<br />
Schlafwachens eine Erhöhung und verhältnismäßige Befreiung der Seele vom Körper<br />
stattfindet, so wie sie im normalen Zustand nie stattfindet. – Bei den Somnambulen<br />
weist alles auf ein höheres Bewußtseinsstadium hin, als ob ihr ganzes Wesen in einen<br />
strahlenden Brennpunkt zusammengedrängt wäre, der die Vergangenheit, die<br />
Gegenwart und die Zukunft umschließt. Weit entfernt, das Gedächtnis zu verlieren,<br />
erhellt sich die Vergangenheit für sie, die Zukunft selbst entschleiert sich manchmal<br />
in beträchtlichem Maße. Wenn das möglich ist im irdischen Leben, fragt sich<br />
Schelling, ist es dann nicht sicher, daß unsere geistige Individualität, die uns in den<br />
Tod folgt und jetzt schon gegenwärtig in uns ist, daß sie nicht dann geboren, sondern<br />
nur befreit und sichtbar wird, sobald sie nicht mehr an die äußere Welt durch die<br />
Sinne gebunden ist? Der Zustand nach dem Tod ist also reeller als der irdische<br />
Zustand. Denn in diesem Leben ertötet das Zufällige, das sich in alles hineinmischt,<br />
das Wesentliche. Schelling nennt einfach den Zustand der Zukunft: das Hellsehen.<br />
Der Geist, befreit von allen Zufälligkeiten des irdischen Lebens, wird lebendiger und<br />
stärker; der Böse wird böser, der Gute besser. – Mit einem <strong>großen</strong> Reichtum von<br />
tatsächlichen Belegen und Ausblicken hat Herr Carl du Prel dieselbe These vertreten<br />
in seinem schönen Buch »Philosophie der Mystik« (1886). Er geht von der Tatsache<br />
aus: »Das Bewußtsein des Ich erschöpft nicht seinen Gegenstand. <strong>Die</strong> Seele und das<br />
Bewußtsein sind nicht zwei vollständig übereinstimmende Ausdrücke: sie decken<br />
sich nicht, denn sie haben nicht dieselbe Tragweite. <strong>Die</strong> Sphäre der Seele geht weit<br />
hinaus über die Sphäre des Bewußtseins.« Es gibt also in uns ein latentes Ich. <strong>Die</strong>ses<br />
latente Ich, das sich im Schlaf und im Traum manifestiert, ist das wirkliche Ich,<br />
überirdisch und transzendent, dessen Existenz unserm irdischen, an den Körper<br />
gebundenen Ich vorangegangen ist. Das irdische Ich ist vergänglich; das<br />
transzendente Ich ist unsterblich. Deshalb hat St. Paulus gesagt: »Schon auf dieser<br />
Erde schreiten wir im Himmel.«<br />
55 In der transzendenten Mathematik beweist man algebraisch, daß Null mit der<br />
Unendlichkeit multipliziert gleich Eins ist. Null in der Reihenfolge der absoluten<br />
Ideen bedeutet das unbegrenzte Sein. Das Unendliche, das Ewige wurde in der<br />
Sprache der Tempel bezeichnet durch eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt,<br />
die das sich in sich selbst bewegende Unendliche bedeutete. Sobald das Unendliche<br />
sich begrenzt, bringt es alle Zahlen hervor, die in seiner <strong>großen</strong> Einheit enthalten sind<br />
und die es in vollkommener Harmonie beherrscht. –<br />
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