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Edouard Schuré - Die großen Eingeweihten

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<strong>Edouard</strong> <strong>Schuré</strong> <strong>Die</strong> <strong>großen</strong> <strong>Eingeweihten</strong> Geheimlehren der Religionen<br />

Wie die andern, so mußte auch die weiße Rasse sich dem Stadium der Wildheit<br />

entringen, bevor sie sich ihrer selbst bewußt wurde. – Sie hat als<br />

Unterscheidungsmerkmale das Bedürfnis der individuellen Freiheit, das sinnende<br />

Gemüt, das die Macht der Sympathie erschafft, und das Vorherrschen des Intellekts,<br />

das der Einbildungskraft ein idealistisches und symbolisches Gepräge gibt. – <strong>Die</strong><br />

Gemütswärme führte die Anhänglichkeit, die Vorliebe eines Mannes zu einer<br />

einzigen Frau herbei; deshalb die Tendenz dieser Rasse zur Monogamie, zum<br />

Eheprinzip und zur Familie. – Das Bedürfnis nach Freiheit mit dem nach Geselligkeit<br />

schuf den Clan mit seinem Wahlsystem. – <strong>Die</strong> suchende Imagination schuf den<br />

Kultus der Ahnen, der die Wurzel und den Mittelpunkt der Religionen bei den<br />

weißen Völkern bildet.<br />

Das gesellige und politische Prinzip offenbart sich an dem Tag, an dem eine<br />

gewisse Anzahl halbwilder Männer, von einem feindlichen Stamm bedrängt, sich<br />

instinktiv zusammenschließen und den Stärksten und Klügsten unter sich wählen, um<br />

sie zu verteidigen und ihnen zu befehlen. An dem Tag ist die Gesellschaft geboren.<br />

Der Häuptling ist ein König im Keim, seine Gefährten die künftigen Edelleute; die<br />

ratgebenden, aber zum Gehen unfähigen Greise bilden schon eine Art Senat oder<br />

Versammlung der Alten. Wie aber ist die Religion entstanden? Man sagt, aus der<br />

Furcht des Urmenschen vor der Natur. Aber die Furcht hat nichts Gemeinsames mit<br />

der Ehrfurcht und der Liebe. Sie verbindet nicht die Tatsache mit der Idee, das<br />

Sichtbare mit dem Unsichtbaren, den Menschen mit Gott. Solange der Mensch vor<br />

der Natur zitterte, war er noch nicht ganz Mensch. Er wurde es an dem Tag, als er das<br />

Band ergriff, das ihn mit der Vergangenheit und Zukunft verband, mit etwas<br />

Erhabenem und Wohltätigem, und als er dieses geheimnisvolle Unbekannte anbetete.<br />

Wie aber betete er zum erstenmal?<br />

Fabre d’Olivet gibt eine außerordentlich geniale und anregende Hypothese über die<br />

Art, wie der Kultus der Ahnen in der weißen Rasse entstanden sein muß 3 . In einem<br />

kriegerischen Clan sind zwei rivalisierende Krieger miteinander in Streit geraten.<br />

Wütend wollen sie sich schlagen und ringen schon miteinander. In diesem<br />

Augenblick wirft sich mit fliegendem Haar eine Frau zwischen sie und trennt sie. Es<br />

ist die Schwester des einen und die Frau des andern. Ihre Augen sprühen Flammen,<br />

ihre Stimme hat den Ton des Befehls. Keuchend, mit eindringlichen Worten, ruft sie,<br />

daß sie im Wald den Ahnherrn der Rasse gesehen hat, den siegreichen Kämpfer von<br />

ehedem, den Heroll. Er wollte nicht, daß zwei stammverwandte Krieger sich<br />

befehden, sondern daß sie sich gegen den gemeinsamen Feind vereinen. »Es ist der<br />

Schatten des <strong>großen</strong> Ahnherrn, es ist der Heroll, der es mir gesagt hat«, ruft die<br />

begeisterte Frau, »er hat zu mir gesprochen! Ich habe ihn gesehen!« Was sie gesagt<br />

hat, glaubt sie. Selbst überzeugt, überzeugt sie. Bewegt, verwundert und wie von<br />

einer unsichtbaren Macht bezwungen, reichen sich die versöhnten Gegner die Hand<br />

und staunen die begeisterte Frau wie eine Art Gottheit an.<br />

So wurde der Beginn des sozialen Lebens, der Kultus der Ahnen, in der weißen<br />

Rasse begründet. Der große Ahnherr wird der Gott des Volksstammes. <strong>Die</strong>s ist der<br />

Anfang der Religion.<br />

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