Edouard Schuré - Die großen Eingeweihten
Edouard Schuré - Die großen Eingeweihten
Edouard Schuré - Die großen Eingeweihten
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Edouard</strong> <strong>Schuré</strong> <strong>Die</strong> <strong>großen</strong> <strong>Eingeweihten</strong> Geheimlehren der Religionen<br />
Können wir danach leugnen, daß das immaterielle Prinzip des höchsten Gottes,<br />
welches das wesentliche Dogma des Monotheismus bildet, daß die Einheit der Natur<br />
den Brahmanen und den Priestern des Ammon-Râ bekannt waren? Gewiß lehrten sie<br />
nicht die Entstehung der Welt als einen plötzlichen Akt, einen Einfall der Gottheit,<br />
wie unsere naiven Theologen. Aber sie zeigten weise den Weg einer allmählichen, auf<br />
dem Weg der Emanation und Evolution zustande gekommenen Entstehung des<br />
Sichtbaren aus dem Unsichtbaren, des Universums aus den unergründlichen Tiefen<br />
der Gottheit. <strong>Die</strong> männliche und weibliche Zweiheit trat hervor aus der primären<br />
Einheit, die lebendige Dreiheit des Menschen und des Weltalls aus der schöpferischen<br />
Zwei und so weiter. <strong>Die</strong> heiligen Zahlen bildeten das ewige Wort, den Rhythmus und<br />
das Werkzeug der Gottheit. Mit mehr oder weniger Klarheit und Kraft betrachtet,<br />
bewirkten sie in dem Geist des <strong>Eingeweihten</strong> das Schauen der innern Struktur der<br />
Welt durch seine eigene hindurch. So bewirkt die richtige Note, die aus einem mit<br />
Sand bedecktem Glas mit Hilfe eines Bogens hervorgerufen wird, im kleinen die<br />
harmonischen Formen der Vibrationen, die mit ihren tönenden Wogen das weite<br />
Reich der Lüfte erfüllen.<br />
Aber der esoterische Monotheismus Ägyptens trat nie aus den Heiligtümern<br />
heraus. Seine heilige Wissenschaft blieb das Vorrecht einer kleinen Minderzahl. <strong>Die</strong><br />
Feinde von außen begannen in dieses alte Bollwerk der Zivilisation Breschen zu<br />
schlagen.<br />
Was konnte Ägypten gegen den gewaltsam anschwellenden Strom tun? <strong>Die</strong><br />
Hyksos schon hatten es beinah verschlungen. Es widerstand tapfer, aber dies konnte<br />
nicht immer dauern. Sechs Jahrhunderte noch, und der persische Zyklon, dem<br />
babylonischen Zyklon folgend, fegte seine Tempel und seine Pharaone hinweg.<br />
Sollten die angehäuften Schätze seiner Wissenschaft untergehen? Der größte Teil<br />
davon wurde gewiß begraben, und als die Alexandriner kamen, konnten sie nur<br />
Fragmente ans Licht bringen. Zwei Völker von entgegengesetztem Genius jedoch<br />
hatten ihr Licht in seinen Heiligtümern entzündet, ein Licht, das verschieden<br />
ausstrahlt, von denen das eine die Tiefen des Himmels beleuchtet, das andere die Erde<br />
erhellt und verklärt: Israel und Griechenland.<br />
<strong>Die</strong> Bedeutung des Volkes Israel von Anfang an springt in die Augen aus zwei<br />
Gründen. Der erste ist, daß es den Monotheismus verkörpert; der zweite, daß es das<br />
Christentum hat hervorgehen lassen. Aber das von der göttlichen Vorsehung gewollte<br />
Ziel in der Mission Israels wird nur demjenigen klar, der die Symbole des alten und<br />
des neuen Testaments ergründet; er bemerkt, daß sie die ganze esoterische Tradition<br />
der Vergangenheit enthalten, wenn auch in einer von den zahlreichen Herausgebern<br />
und Übersetzern oft veränderten Form. Denn die Mehrzahl dieser Übersetzer kannte<br />
den ursprünglichen Sinn nicht – besonders was das alte Testament anbetrifft. Dann<br />
wird die Rolle Israels klar. Denn dieses Volk bildet auch das notwendige Glied<br />
zwischen dem alten und dem neuen Zyklus, zwischen dem Orient und dem Okzident.<br />
Der monotheistische Gedanke hat als Ziel die Einigung der Menschheit unter einem<br />
Gott und einem Gesetz. <strong>Die</strong>se organische Einheit aber erscheint nur möglich, wenn<br />
man esoterisch und wissenschaftlich im göttlichen Urgrund den Schlüssel der Welt<br />
und des Lebens, des Menschen und der Gemeinschaft in ihrer Entwicklung erkennt.<br />
95