Edouard Schuré - Die großen Eingeweihten
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<strong>Edouard</strong> <strong>Schuré</strong> <strong>Die</strong> <strong>großen</strong> <strong>Eingeweihten</strong> Geheimlehren der Religionen<br />
Durch diese Rassenkreuzungen hatte sich ein harmonisches und leichtes Idiom<br />
gebildet, eine Mischung von primitiver keltischer Sprache, von Zend, Sanskrit und<br />
phönizischer Mundart. <strong>Die</strong>se Sprache, die in dem Wort Poseidon die Majestät des<br />
Ozeans und im Worte Uranos die heitere Hoheit des Himmels malte, ahmte alle<br />
Stimmen der Natur nach, von dem Gezwitscher der Vögel an bis zum Zusammenstoß<br />
der Schwerter und dem Getöse des Donners. Sie war farbig wie das tiefblaue Meer<br />
mit seinem mannigfaltigen Farbenspiel, voll wechselnder Töne wie die Wellen, die in<br />
ihren Buchten rauschten oder gegen ihre unzähligen Riffe anprallten.<br />
<strong>Die</strong>se Kaufleute und Piraten waren oft von Priestern begleitet, die sie führten oder<br />
sie als Herren befehligten. Sie verbargen sorgfältig in ihrer Barke das hölzerne Bild<br />
irgendeiner Gottheit. Das Bild war ohne Zweifel grob gemodelt, und die Matrosen<br />
von damals hatten dafür dieselbe Fetischanbetung wie viele unserer jetzigen Seeleute<br />
für ihre Madonna. Dennoch waren diese Priester im Besitz gewisser Wissenschaften,<br />
und die Gottheit, die sie aus ihrem Tempel in ein fremdes Land brachten, stellte für<br />
sie eine gewisse Seite der Natur dar, eine Einheit von Gesetzen, eine bürgerliche und<br />
religiöse Organisation. Denn in diesen Zeiten leitete sich alles intellektuelle Leben<br />
aus dem ab, was in den Heiligtümern verehrt wurde. Man betete Juno in Argos an;<br />
Artemis in Arkadien; in Paphos und Korinth war die phönizische Astarte die dem<br />
Schaum entstiegene Aphrodite geworden. Mehrere Initiatoren waren in Attika<br />
erschienen. Eine ägyptische Kolonie hatte nach Eleusis den Kult der Isis gebracht<br />
unter der Form von Demeter (Ceres), der Mutter der Götter. Erechtäus hatte zwischen<br />
dem Berg Hymettus und dem Pentelikus den Kultus einer jungfräulichen Göttin<br />
eingeführt, einer Tochter des blauen Himmels, der Freundin des Ölbaums und der<br />
Weisheit. Während eines Einfalles flüchtete die Bevölkerung beim ersten<br />
Alarmzeichen auf die Akropolis und drängte sich um die Göttin herum wie um einen<br />
lebendigen Sieg.<br />
Über die Lokalgottheiten herrschten manchmal männliche und kosmogonische<br />
Götter. Doch zurückgedrängt auf hohe Berge, in den Schatten gestellt durch das<br />
glänzende Gefolge der weiblichen Gottheiten, hatten sie wenig Einfluß. <strong>Die</strong> solare<br />
Gottheit, der delphische Apollo, war schon anerkannt, spielte aber noch eine<br />
untergeordnete Rolle. Es gab Priester des höchsten Zeus am Fuß der Schneegipfel<br />
des Ida, auf den Höhen Arkadiens und unter den Eichen von Dodona. Aber das Volk<br />
zog dem geheimnisvollen und universellen Gott die Göttinnen vor, welche die Natur<br />
in ihrer verlockenden oder schrecklichen Macht darstellte. <strong>Die</strong> unterirdischen Flüsse<br />
Arkadiens, die bis in die Eingeweide der Erde dringenden Höhlen der Berge, die<br />
vulkanischen Ausbrüche auf den Inseln des ägäischen Meeres hatten die Griechen<br />
früh zum Kultus der geheimnisvollen Kräfte der Erde geführt. So wurde die Natur in<br />
ihrer Erhabenheit wie in ihren Schrecken geahnt, gefürchtet und verehrt. Da aber<br />
diese Gottheiten weder einen sozialen Mittelpunkt noch eine religiöse Synthese<br />
hatten, führten sie untereinander einen unerbittlichen Krieg. <strong>Die</strong> feindlichen Tempel,<br />
die rivalisierenden Städte, die durch den Ritus, den Ehrgeiz der Priester und der<br />
Könige entzweiten Völker haßten und beneideten sich und rangen miteinander in<br />
blutigen Kämpfen.<br />
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