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Edouard Schuré - Die großen Eingeweihten

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<strong>Edouard</strong> <strong>Schuré</strong> <strong>Die</strong> <strong>großen</strong> <strong>Eingeweihten</strong> Geheimlehren der Religionen<br />

Während acht Jahrhunderten ließ das Donnerwort der Propheten den Gedanken<br />

und das Bild des Messias über die nationalen Zerwürfnisse und Mißgeschicke<br />

schweben, bald wie dasjenige eines furchtbaren Rächers, bald wie das eines Engels<br />

der Barmherzigkeit. Entstanden unter der assyrischen Tyrannei, im Exil von Babylon,<br />

entfaltet unter der persischen Herrschaft, wuchs der Messias-Gedanke immer mehr<br />

unter der Regierung der Seleuciden und der Makkabäer. Als die römische Herrschaft<br />

und die Regierung des Herodes anbrach, lebte der Messias in dem Bewußtsein aller.<br />

Wenn ihn die <strong>großen</strong> Propheten gesehen hatten unter den Zügen eines Gerechten,<br />

eines Märtyrers, eines wirklichen Gottessohnes – so stellte ihn sich das Volk vor, treu<br />

dem jüdischen Gedanken, als einen David, einen Salomon oder einen neuen<br />

Makkabäus. Gleichviel unter welchem Bild, alle glaubten an diesen Wiederhersteller<br />

des Ruhmes Israels, warteten auf ihn, riefen ihn... So stark war die Wirkung des<br />

Prophetentums.<br />

Mit der gleichen Notwendigkeit also, wie die römische Geschichte auf dem Weg<br />

des Instinktes und der infernalen Schicksalslogik zu Cäsar führt, führt die Geschichte<br />

Israels auf dem Weg des Bewußtseins und der göttlichen Logik der Vorsehung, die<br />

sich den Propheten kundgibt, in Freiheit zu Christus. Das Böse ist notwendig dazu<br />

verurteilt, sich zu widersprechen und sich zu zerstören, weil es das Falsche ist; aber<br />

das Gute, trotz aller Hindernisse, gebiert im Lauf der Zeiten das Licht und die<br />

Harmonie, weil es die Fruchtbarkeit des Wahren in sich schließt. – Aus seinem<br />

Triumph zieht Rom nichts als den Cäsarismus; aus dem Zusammenbruch gebiert<br />

Israel den Messias, dem schönen Wort eines modernen Dichters recht gebend: »Aus<br />

ihrem eigenen Schiffbruch baut sich die Hoffnung den betrachteten Gegenstand.«<br />

Eine unbestimmte Erwartung hing über den Völkern. In dem Übermaß ihrer<br />

Schmerzen ahnte die Menschheit einen Erlöser. Seit Jahrhunderten träumten die<br />

Mythologien von einem göttlichen Kind. Geheimnisvoll raunten es die Tempel; die<br />

Astrologen berechneten sein Kommen; in ihrem Delirium weissagten die Sibyllen<br />

den Sturz der heidnischen Götter. <strong>Die</strong> <strong>Eingeweihten</strong> hatten verkündet, daß eines<br />

Tages die Welt von einem der ihren beherrscht sein würde, von einem Sohn Gottes 70 .<br />

<strong>Die</strong> Erde wartete auf einen König des Geistes, der von den Kleinen, den Demütigen<br />

und den Armen verstanden sein würde.<br />

Der große Äschylos, Sohn eines Priesters von Eleusis, wurde beinahe von den<br />

Athenern getötet, weil er es wagte, auf offenem Theater durch den Mund seines<br />

Prometheus zu verkünden, daß die Herrschaft Jupiters, des Schicksals, enden würde.<br />

Vier Jahrhunderte später, im Schatten von Augustus Thron, kündet der sanfte Virgil<br />

eine neue Ära an und träumt von einem wundersamen Kind: »Es ist gekommen, das<br />

von der Sibylle von Cumä vorhergesagte letzte Zeitalter – der große Kreislauf der<br />

erschöpften Jahrhunderte wird wieder beginnen; – schon kommt die Jungfrau wieder<br />

und mit ihr die Herrschaft Saturns – schon steigt von den Flöhen des Himmels ein<br />

neues Geschlecht hinunter. – <strong>Die</strong>ses Kind, dessen Geburt das Jahrhundert des Eisen<br />

bannen – und das goldene Zeitalter der ganzen Welt wiederbringen soll, wolle,<br />

keusche Lucina, es beschützen – schon herrschet Apollo, dein Bruder. –<br />

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