Edouard Schuré - Die großen Eingeweihten
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<strong>Edouard</strong> <strong>Schuré</strong> <strong>Die</strong> <strong>großen</strong> <strong>Eingeweihten</strong> Geheimlehren der Religionen<br />
Aber wieviel er auch stritt, siegte, tötete, den erhabenen Greis und die strahlende<br />
Mutter sah er nicht wieder. Eines Tages hörte er von Kalayeni, dem König der<br />
Schlangen, und verlangte, mit dem schrecklichsten seiner Drachen zu kämpfen in<br />
Gegenwart des schwarzen Magiers. Man sagte, daß dieses Tier, von Kalayeni abgerichtet,<br />
schon Hunderte von Menschen aufgefressen habe und daß sein Blick den<br />
Mutigsten vor Schreck erstarren ließ. Aus dem Innern des finstern Tempels von Kali<br />
sah Krishna, auf den Ruf von Kalayeni, einen langen Lindwurm von grünlich-blauer<br />
Farbe kommen. Das Tier richtete langsam seinen dicken Körper auf, sein roter Kamm<br />
schwoll an, und seine stechenden Augen entzündeten sich in dem ungeheuren, von<br />
glänzenden Schuppen gepanzerten Kopf. »<strong>Die</strong>ser Wurm«, sagte Kalayeni, »weiß<br />
viele Dinge; er ist ein mächtiger Dämon. Er wird sie nur dem sagen, der ihn töten<br />
wird, aber er tötet diejenigen, die unterliegen. Er hat dich gesehen, er blickt dich an;<br />
du bist in seiner Macht. Es bleibt dir nur übrig ihn anzubeten oder in einem<br />
unsinnigen Kampf unterzugehen.« Bei diesen Worten ergrimmte Krishna, denn er<br />
fühlte, daß sein Herz gleich der Spitze eines Blitzstrahls war. Er sah das Ungeheuer<br />
an und warf sich auf dasselbe, in dem er es unter dem Kopf packte. Der Mann und die<br />
Schlange rollten auf den Stufen des Tempels. Aber bevor das Tier ihn mit seinen<br />
Ringen umwunden hatte, schnitt ihm Krishna mit seinem Schwert den Kopf ab, und<br />
sich von dem noch zuckenden Körper lösend, hob der junge Sieger mit seiner linken<br />
Hand triumphierend den Kopf des Wurmes in die Höhe. Aber dieser Kopf lebte noch;<br />
er blickte noch immer auf Krishna und sagte zu ihm: »Warum hast du mich getötet,<br />
Sohn des Mahadeva? Glaubst du die Wahrheit zu finden, indem du die Lebenden<br />
tötest? Unsinniger, du wirst sie nur finden in deinem eigenen Todesröcheln. Der Tod<br />
ist im Leben, das Leben im Tod. Fürchte die Tochter der Schlange und das<br />
vergossene Blut. Sei auf der Hut! Sei auf der Hut!« So sprechend starb der Wurm.<br />
Krishna ließ sein Haupt sinken und ging voll Grauen weg. Aber Kalayeni sagte: »Ich<br />
kann nichts über diesen Mann; Kali allein könnte ihn durch einen Zauber bändigen.«<br />
Nachdem er einen Monat lang Reinigungen und Gebete am Ufer des Ganges<br />
verrichtet, nachdem er sich im Licht der Sonne und im Gedanken Mahadevas<br />
gereinigt hatte, kehrte Krishna in sein Heimatland zurück, zu den Hirten des Berges<br />
Meru.<br />
<strong>Die</strong> strahlende Kugel des Herbstmondes stieg über die Zedernwälder, und die<br />
Luft erfüllte sich nachts mit dem Wohlgeruch der wilden Lilien, in welchen während<br />
des Tages die Bienen summten. Unter einem <strong>großen</strong> Zedernbaum am Rand einer<br />
Wiese sitzend, träumte Krishna, ermüdet von den eitlen Kämpfen der Erde, von den<br />
Götterkämpfen und der Unendlichkeit des Himmels. Je mehr er an seine lichte Mutter<br />
und an den erhabenen Geist dachte, desto mehr schienen ihm seine kindlichen<br />
Heldentaten verachtungswert, desto mehr wurden die himmlischen Dinge in ihm<br />
lebendig. Ein trostreicher Zauber, ein göttliches Rückerinnern erfüllte ihn ganz. Da<br />
entströmte seinem Herzen ein Dankeshymnus an Mahadeva, er entquoll seinen<br />
Lippen in einer milden und göttlichen Melodie. Von diesem wunderbaren Gesang<br />
angezogen, traten die Gopis, die Töchter und Frauen der Hirten, aus ihren<br />
Wohnungen. Aber er, versunken im Traum der Götter, sah sie nicht.<br />
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