Edouard Schuré - Die großen Eingeweihten
Edouard Schuré - Die großen Eingeweihten
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<strong>Edouard</strong> <strong>Schuré</strong> <strong>Die</strong> <strong>großen</strong> <strong>Eingeweihten</strong> Geheimlehren der Religionen<br />
Als er mit den Zwölfen auf der Höhe eines Berges angelangt war, wandte er sich<br />
noch einmal um, um einen letzten Blick auf seinen geliebten See zu werfen, an<br />
dessen Ufern er die Morgenröte des Reiches Gottes hatte aufstrahlen lassen wollen.<br />
Er umfaßte mit dem Blick jene Städte, die am Rand der Wogen oder auf den<br />
Terrassen der Berge hingelagert waren, ganz eingehüllt von grünem Laub und<br />
weißschimmernd unter, dem goldigen Schleier der Abenddämmerung, alle jene<br />
geliebten Ortschaften, in denen er das Wort des Lebens gestreut hatte und die ihn<br />
jetzt verließen. Er hatte das Vorgefühl der Zukunft. Mit einem prophetischen Blick<br />
sah er dieses herrliche Land in eine Wüste verwandelt unter der rächenden Hand<br />
Ismaels, und diese Worte ohne Zorn, aber voll von Bitternis und Wehmut, fielen von<br />
seinem Mund: »Wehe dir, Capharnaum! Wehe dir, Korazim! Wehe dir, Bethsaida!«<br />
Indem er sich dann zu den heidnischen Städten wandte, nahm er mit den Aposteln<br />
den Weg, der zum Tal des Jordans führte, von Gadara nach Cäsarea in Philippi.<br />
Traurig und lang war der Weg des flüchtigen Häufleins durch die <strong>großen</strong> Ebenen<br />
voll Schilf und die Maremmen des oberen Jordans unter der glühenden Sonne<br />
Syriens. Man verbrachte die Nacht in den Zelten der Büffelhirten oder bei den<br />
Essäern, die sich in den kleinen Marktflecken dieses verlorenen Landes<br />
niedergelassen hatten. <strong>Die</strong> bekümmerten Jünger beugten das Haupt; der Meister,<br />
traurig und schweigsam, blieb in seine Meditation versunken. Er sann nach über die<br />
Unmöglichkeit, durch das Predigen seiner Lehre dem Volk zum Sieg zu verhelfen<br />
über die drohenden Anschläge seiner Feinde. Der höchste, letzte Kampf stand<br />
unmittelbar bevor; er war in eine Sackgasse geraten; wie sollte er aus ihr<br />
hinauskommen? Andererseits ruhte sein Gedanke mit unendlicher, liebender Fürsorge<br />
auf seiner zerstreuten geistigen Familie und besonders über den zwölf Aposteln, die,<br />
treu und vertrauend, alles verlassen hatten, um ihm zu folgen, Familie, Beruf,<br />
Vermögen, und die dennoch in ihren Herzen zerrissen und in der <strong>großen</strong> Hoffnung<br />
auf den triumphierenden Messias getäuscht werden sollten. War die Wahrheit<br />
genügend in sie eingedrungen? Würden sie an ihn und seine Lehre glauben? Unter<br />
der Last dieser Sorge fragte er sie eines Tages: »Was sagen die Menschen, daß ich<br />
bin, ich, der Menschensohn?« Und sie antworteten: »<strong>Die</strong> einen sagen, du seist<br />
Johannes der Täufer; die andern Jeremias oder einer der Propheten.«<br />
»Und ihr, wer sagt ihr, daß ich bin?«<br />
Da ergriff Simon Petrus das Wort und sprach:<br />
»Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes 84 .«<br />
Bei dieser Bestätigung des Glaubens der Apostel durch ihren Wortführer empfand<br />
Jesus eine große Freude. Seine Jünger hatten ihn also verstanden; er würde in ihnen<br />
leben; das Band zwischen dem Himmel und der Erde wäre wieder geknüpft.<br />
Jesus sagte zu Petrus:<br />
»Du bist glücklich, Simon, Sohn des Jonas; denn Fleisch und Blut haben es dir<br />
nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist.«<br />
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