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Edouard Schuré - Die großen Eingeweihten

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<strong>Edouard</strong> <strong>Schuré</strong> <strong>Die</strong> <strong>großen</strong> <strong>Eingeweihten</strong> Geheimlehren der Religionen<br />

<strong>Die</strong> Beschwörung<br />

Das Fest war dahingegangen wie ein Traum; der Abend war gekommen. <strong>Die</strong><br />

Tänze, die Gesänge und die Gebete waren entschwunden wie rosiger Nebel. Orpheus<br />

und sein Schüler waren durch eine unterirdische Galerie in die geweihte Krypta<br />

gestiegen, die bis in das Herz des Berges drang und zu welcher der Hierophant allein<br />

den Zutritt hatte. Dort gab sich der Inspirierte der Götter seinen einsamen<br />

Meditationen hin oder er betrieb mit seinen Adepten die hohen Werke der Magie und<br />

der Theurgie.<br />

Um sie herum erstreckte sich ein weiter, ausgehöhlter Raum. Zwei in die Erde<br />

gesteckte Fackeln beleuchteten nur schwach die geborstenen Mauern und die düstern<br />

Tiefen. Ganz nah klaffte eine schwarze Spalte im Boden; ein heißer Wind entströmte<br />

ihr, und dieser Schlund schien bis in das Eingeweide der Erde zu dringen. Ein kleiner<br />

Altar, auf dem ein Feuer von trockenem Lorbeer brannte, und eine Sphinx aus<br />

Porphyr standen als Hüter davor. Sehr weit, in unmeßbarer Höhe, öffnete sich in der<br />

Höhle ein Durchblick auf den gestirnten Himmel durch einen schrägen Spalt. <strong>Die</strong>ser<br />

schwache bläuliche Lichtstrahl schien das in den Abgrund tauchende Auge des<br />

Firmaments.<br />

»Du hast an den Quellen des heiligen Lichts getrunken«, sagte Orpheus, »du bist<br />

reinen Herzens in den Schoß der Mysterien gedrungen. <strong>Die</strong> feierliche Stunde ist<br />

gekommen, in welcher ich dich bis zu den Quellen des Lebens und des Lichtes<br />

dringen lassen werde. <strong>Die</strong>jenigen, die den dichten Schleier nicht gehoben haben, der<br />

vor den Augen der Menschen die unsichtbaren Wunder verhüllt, sind nicht<br />

Göttersöhne geworden.<br />

So höre denn die Wahrheiten, welche der Menge verschwiegen werden müssen<br />

und welche die Kraft der Heiligtümer bilden:<br />

Gott ist eins und immer sich selbst gleich. Er herrscht überall. Aber die Götter<br />

sind unzählig und verschieden, denn die Gottheit ist ewig und unendlich. <strong>Die</strong> größten<br />

sind die Seelen der Gestirne. Sonnen, Sterne, Erden und Monde, jedes Gestirn hat die<br />

seine, und alle sind dem göttlichen Feuer des Zeus und dem ursprünglichen Licht<br />

entsprungen. Unbewußt, unzugänglich, unwandelbar lenken sie das ganze All durch<br />

ihre regelmäßigen Bewegungen. Jedes kreisende Gestirn zieht aber mit sich in seiner<br />

ätherischen Sphäre ein Heer von Halbgöttern oder strahlenden Seelen, die einst<br />

Menschen waren und die glorreich die Zyklen hinaufgestiegen sind, um endlich dem<br />

Kreislauf der Generationen zu entgehen. Durch diese göttlichen Geister atmet,<br />

handelt, offenbart sich Gott; was sage ich? Sie sind der Hauch seiner lebendigen<br />

Seele, die Strahlen seines ewigen Bewußtseins. Sie befehlen den Heerscharen der<br />

niederen Geister, welche die Elemente ordnen; sie leiten den Gang der Welten. Fern<br />

und nah umgeben sie uns, und obgleich von unsterblicher Essenz, kleiden sie sich in<br />

immer wechselnde Formen, je nach den Völkern, den Zeiten und den Regionen. Der<br />

Lästerer, der sie verleugnet, fürchtet sie; der fromme Mensch betet sie an, ohne sie zu<br />

kennen; der Eingeweihte kennt sie, zieht sie an und sieht sie.<br />

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