Evangelisch-Lutherische Seite 2 E. Felix <strong>Moser</strong> Paul-Gerhardt Gemeinde <strong>Pastor</strong> Hamburg-Winterhude Predigt am 12.02.06 über die großen wissenschaftlichen Fortschritte lässt die mahnenden Worte der Kritiker nicht durchkommen. Wohin die rasant zunehmenden Freilandversuche führen, kann heute keiner sagen. In jedem Fall verändern sie in kürzester Zeit unseren empfindlichen Naturkreislauf. Jahrmillionen hat es gebraucht, dass er sich entwickeln konnte. Jetzt besteht die reale Gefahr, dass er zerbricht, denn eine plötzliche, einschneidende Veränderung an nur einem Glied kann eine lange Serie von Kettenreaktionen zur Folge haben. Da ist nicht weniger als unsere gesamte Lebensgrundlage in Gefahr! Wir sind so stolz auf den Fortschritt, auf die Leistungen menschlichen Wissens, aber wenn wir an die Folgen denken, wird uns angst und bange. Goethes Zauberlehrling kommt uns in den Sinn. Wir wissen nicht mehr, wie wir der Geister Herr werden sollen, die wir gerufen haben. Und je mehr wir darüber nachdenken, desto besser verstehen wir die energische Warnung des Propheten: Rühmt euch nicht menschlicher Weisheit, eures Reichtums, eurer Stärken! Das kann keine Lebensgrundlage sein, das darf euer Selbstwertgefühl nicht bestimmen! Ja – aber was dann, fragen wir. Wir haben doch eingangs gehört, wie wichtig das Selbstwertgefühl ist. Was bleibt denn, wenn all das, woran wir so viel Mühe und Energie verwenden, dafür nicht taugt?! Der Prophet antwortet wiederum mit drei Worten: Rühme dich der Barmherzigkeit, des Rechts und der Gerechtigkeit Gottes! Dieses Sich Rühmen ist heute kaum noch verständlich. Luther übersetzt es so für seine Zeit. Das hebräische Wort an dieser Stelle kann aber gleichermaßen mit „vertrauen“, „sich verlassen auf“ übersetzt werden. Das macht es viel leichter, den Gegenentwurf zu verstehen. Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit, auf Gottes Recht und seine Gerechtigkeit! Merken Sie, welche Befreiung, welche erlösende Kraft in diesen Worten steckt?! Es kommt nicht mehr darauf an, wie gut wir in der Schule sind, wie schnell wir die Karriereleiter emporklettern, wie dick unser finanzielles Polster ist, wie stark, wie schön, wie imposant wir sind. Nichts ist davon so wichtig, dass es über unseren Wert entscheidet. In einer Welt, in der es keine absoluten Sicherheiten gibt und geben kann, in einer solchen Welt bietet Gott sich uns als der einzig Verlässliche, das einzig Beständige, als der unbeirrbar Treue. Gott fragt nicht danach, ob einer mehr oder weniger weise ist, mehr oder weniger stark, mehr oder weniger reich. Er fragt nach all dem nicht, was hier auf dieser Erde und unter uns Menschen so wichtig ist und die Wertmaßstäbe setzt. Seine Gerechtigkeit heißt Erbarmen – und das bedeutet: Jeder Mensch ist ihm wichtig und wert, unabhängig von seinen Leistungen, Qualitäten und Erfolgen. Zu diesem Gott darf jeder von uns kommen, in seinem Elend, seiner Bedürftigkeit, seiner Not. Er darf alle seine Sorgen auf ihn werfen und er darf wissen: Ich bin wertvoll, ich bin geliebt und ich bin angenommen, so wie ich bin. Ich brauche mein Leben nicht gering zu schätzen, auch wenn ich in vielem nicht so tüchtig, nicht so stark und leistungsfähig wie andere bin. Ich bin wertvoll bei Gott und darum darf ich es auch bei mir selber sein. Das ist die neue und ganz andere Grundlage für ein Selbstwertgefühl, das sich von Gott her und nicht vom Menschen her definiert. Dein Taufwort, Christine, nimmt eines der drei Prophetenworte auf (das erste, das Luther mit „Barmherzigkeit“ oder auch „Gnade“ übersetzt) und beschreibt Gott, den unbeirrbar Treuen, in einem Bild: „Deine Gnade reicht so weit der Himmel ist, und deine Treue, so weit die Wolken gehen“ (Psalm 108,5). Mit anderen Worten: Sie ist unendlich, sie hat keine Grenze. Gott wird dich lieben – so wie du bist – in alle Ewigkeit. Dein Taufwort, Justus, baut darauf auf (es ist wie eine Art Kommentar dazu): „Lobe den Herren, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir gutes getan hat: der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen“ (Psalm 103,2+3). In der Tat, so wird Gottes Gnade und Barmherzigkeit konkret: in der Vergebung etwa, an den Punkten, an die wir kaum rühren möchten, die anzusprechen uns auch untereinander schwerfällt. Wie dürfen dennoch frei und gelöst weiterleben, denn unser Selbstwertgefühl sagt: Gottes Gnade umschließt sogar das. Er vergibt mir auch das ganz Schwere – einfach, weil er mich liebt.
Evangelisch-Lutherische Seite 3 E. Felix <strong>Moser</strong> Paul-Gerhardt Gemeinde <strong>Pastor</strong> Hamburg-Winterhude Predigt am 12.02.06 Lillys Taufspruch schließlich kann ich wie eine Zusammenfassung, wie ein Resümee des Gesagten lesen: „Gottes Wort ist wahrhaftig und was er zusagt, hält er gewiss“ (Psalm 33,4). Möge sich für Lilly und für uns alle die tiefe Wahrheit dieses Wortes erschließen und ein Selbstwertgefühl in uns stiften, das – im besten Sinne des Wortes – nicht von dieser Welt ist. Amen