Predigten Pastor Moser 2006 - Alsterbund
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Evangelisch-Lutherische Seite 2 E. Felix <strong>Moser</strong><br />
Paul-Gerhardt Gemeinde<br />
<strong>Pastor</strong><br />
Hamburg-Winterhude Predigt am 08.08.06<br />
sätzliche Extreme, die aber die gleiche Wurzel haben). Das eine ist die eben erwähnte Zügellosigkeit.<br />
Wenn mein Geist und meine Seele schon errettet sind, ist es ja egal, was mit<br />
dem Körper geschieht. Er ist eh nur ein Teil der vergänglichen Welt.<br />
Das andere Extrem missachtete den Körper ebenso. Es entwickelte sich unter Christen ein<br />
Lebensideal, das alle Formen von weltlicher Freude, jedoch jede Art von Genuss und Sinnlichkeit<br />
ablehnte. Als bester, eifrigster Christ galt der, der nur noch für die Innerlichkeit, für<br />
Glaube und Geist lebte, die ganze äußerliche materielle Welt dagegen möglichst ignorierte,<br />
dazu gehörte auch der eigene Leib. Seele und Geist galten als Sitz und Wirkungsstätte Gottes,<br />
der Leib dagegen als Quelle der Sünde.<br />
Folge davon war die Bekämpfung des eigenen Leibes und seiner Bedürfnisse. Das nahm<br />
kaum vorstellbare Formen an. Der Körper wurde bewusst vernachlässigt; er wurde dem<br />
Dreck gleichgesetzt – und das nicht nur im übertragenen Sinne.<br />
Einige Beispiele:<br />
• Der heilige Antonius, heißt es, habe in seinem Einsiedlerleben nie gebadet.<br />
• In den ersten Klöstern wurde das Baden drastisch beschränkt (in Monte Cassino zum<br />
Beispiel auf zwei bis drei Mal im Jahr).<br />
• Der heilige Hieronymus hielt ein verschmutztes Aussehen für ein Zeichen innerer<br />
Reinheit.<br />
• Und der heilige Assenius, ein Mönch, füllte gar seine Zelle mit Gestank an, um sich<br />
den Aasgeruch der Hölle zu ersparen.<br />
Aber die Leibfeindlichkeit beschränkte sich nicht auf Geruch und Aussehen. Es gehörte auch<br />
die Verachtung der Nahrung dazu, denn die ermöglichte es dem Körper ja, weiterzuexistieren.<br />
So gab es denn christliche Einsiedlermönche, die allein von Gras, Kräutern und rohen<br />
Getreidekörnern lebten. Das 6. Jahrhundert wurde das „goldene Zeitalter der Weidenden“<br />
genannt, denn da waren es schon sehr viele, denen es ganz natürlich erschien, ein christliches<br />
Leben mit Grasessen zu verbringen. Ein Mönch namens Petrus bezeichnete sich selbst<br />
als „Weidender am Jordan“ und von einem anderen hieß es: Er, Apasophronius, „graste“ ü-<br />
ber 70 Jahre lang am Toten Meer, zudem gänzlich nackt, denn er wollte seinem verachtenswerten<br />
Körper nicht den Genuss von Kleidung zukommen lassen.<br />
Zwei extreme Positionen – mit demselben Hintergrund: Der Aufspaltung des Menschen in<br />
einen guten (Geist/Seele) und einen schlechten (Leib) Teil. Für die christliche Tradition hatte<br />
das fatale Folgen: Alles, was dem Körper gut tut, was Spaß macht (gerade auch die Sexualität)<br />
galt als Verdächtig. Im Nachhinein hat man auch Paulus für die Entwicklung dieser Leibfeindlichkeit<br />
verantwortlich machen wollen.<br />
Gerade unser Predigttext heute Morgen zeigt aber, dass das nicht zu halten ist. Paulus<br />
nennt den Leib hier „Tempel des heiligen Geistes“. Das ist eine positive Wertung des Leibes<br />
wie wir sie uns stärker nicht denken können. Und wenn er uns dazu auffordert, „Preiset Gott<br />
an eurem Leib“, dann muss er doch wohl davon überzeugt sein, dass der Leib etwas so großes<br />
und Beachtliches ist, dass er dazu auch imstande ist. Von Leibfeindlichkeit kann da nicht<br />
die Rede sein. Der Leib als „Tempel des heiligen Geistes“ – was meint das eigentlich?<br />
Tempel – das ist die Stätte der Anbetung, Ort des Gottesdienstes. Es ist der Ort der Nähe<br />
Gottes, Gottes Wohnung, Stätte der Begegnung von Gott und Mensch. Paulus meint: Gott<br />
selbst hat unseren Leib dazu bestimmt, Stätte der Anbetung und Ort der Gottesbegegnung<br />
zu sein. Der Leib ist also nicht gleichgültig, schon gar nicht schlecht, im Gegenteil: Ich habe<br />
große Verantwortung für ihn. Gott hat mich mit Leib und Seele geschaffen, folglich bin ich<br />
auch mit Leib und Seele verantwortlich.<br />
Ich höre schon manche aufjubeln. Wir leben ja in einer Zeit, die in mancher Hinsicht genau<br />
die Gegenposition einnimmt zu den ersten christlichen Jahrhunderten. Von einem neuen<br />
„Körperbewusstsein“ ist heute vielfach die Rede. Fitnesszentren sprießen allerorten aus dem<br />
Boden, „Beauty“ und „Wellness“ sind expandierende Märkte und die westliche Welt ist stolz<br />
auf ihre Freiheit, ihre Freizügigkeit in Sachen Sexualität.