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Predigten Pastor Moser 2006 - Alsterbund

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Evangelisch-Lutherische Seite 2 E. Felix <strong>Moser</strong><br />

Paul-Gerhardt Gemeinde<br />

<strong>Pastor</strong><br />

Hamburg-Winterhude Predigt am 02.04.06<br />

Luther rät, zu erkennen, dass solch „böse und traurige Gedanken nicht von Gott sind, sondern<br />

vom Teufel.“ Am besten sei es, sie gar nicht zu beachten oder gar erforschen zu wollen;<br />

einfach an ihnen vorüberzugehen und sie „zu verachten wie das Zischen einer Gans“. Wer<br />

sie dagegen beachtet oder sogar anfängt, darüber zu diskutieren, würden sie nur reizen und<br />

stärken. Solches schreibt Luther in einem Brief an einen Freund, der über anhaltende Traurigkeit<br />

geklagt hat.<br />

Ja, wenn das denn so einfach wäre! Die eigenen üblen, traurigen Gedanken, das wehklagende<br />

Murren um einen herum einfach ignorieren „wie das Zischen einer Gans“ ... Meistens<br />

packt es uns doch, oft genug mit Gewalt, und will uns gar nicht mehr loslassen. Uns<br />

geht es wie den Israeliten: die Angst vor der Zukunft wächst (Umfragen zufolge bei uns mehr<br />

als bei all unseren Nachbarn: „die Deutschen – die Alterspessimisten Europas“ titelte eine<br />

Zeitung gestern), das ist das eine. Unser Gottvertrauen schwindet, das ist das andere, das,<br />

was viel zu selten zur Sprache kommt.<br />

Genau das aber ist das Entscheidende in unserem Bibeltext. Und wir müssen mit Erschrecken<br />

lesen, wie Gott darauf reagiert. Als alle Dankbarkeit schwindet, die Israeliten das Manna<br />

sogar, das ihnen gerade noch das Leben rettete, als „Ekelspeise“ abtun, reagiert Gott wie<br />

ein zutiefst verletzter und gekränkter Wohltäter. Er stellt stellt seine Wohltaten ein, mehr<br />

noch, er wendet sie ins Gegenteil: statt des lebenserhaltenden Manna kommen feurig giftige<br />

Schlangen, die den Tod verbreiten.<br />

Ich verstehe das als Bild. Tatsächlich ist es doch so, dass Undankbarkeit, ungerechtfertigtes<br />

Murren, Angstmacherei die Atmosphäre „vergiftet“, wie wir sagen. Beziehungen gehen kaputt<br />

– zum einen die Beziehungen der Menschen untereinander, zum anderen die Beziehung<br />

zu Gott.<br />

Der Künstler A. Paul Weber hat das im Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus sehr sinnfällig<br />

zum Ausdruck gebracht. Vielleicht kennen Sie sein Bild „Das Gerücht“ (oder allgemeiner<br />

gesagt „Gerede“, „Gemurre“). Er stellt es als eine Art feurige Schlange dar, die<br />

riesengroß und kraftvoll durch die Straßen einer Großstadt zischt. Sie wächst und nimmt an<br />

Kraft dadurch zu, dass ihr von allen Seiten Menschen zuströmen und gleichsam mit ihr<br />

verschmelzen. Die Menschen selbst sind das todbringende, giftige Ungeheuer.<br />

Die Israeliten betonen – damals wie heute – einen anderen Aspekt: Für sie ist die Schickung<br />

der Schlangen eine Strafe Gottes. Immer wieder interpretieren sie das in ihrer Geschichte<br />

erfahrene Unheil so. Ich gebe zu, dass mir diese Sicht Gottes und diese Art, die Geschichte<br />

zu verstehen, schwerfällt. Aber die jüdischen Texte sind da eindeutig. Im babylonischen Talmud<br />

etwa sagt Rabbi Jochanan: „Warum wird Israel mit einem Ölbaum verglichen? Um dir<br />

zu sagen: Wie ein Ölbaum sein Öl nicht hergibt als durch Stoßen, so kommt Israel auch nicht<br />

anders zum Guten zurück als durch Züchtigung.“<br />

Diese Züchtigung aber geschieht allein aus Liebe. Im selben Zusammenhang heißt es im<br />

Talmud von Rabbi Jehoschua: „Warum wird Israel mit einem Ölbaum verglichen? (also<br />

dieselbe Frage!) Um dir zu sagen: Wie die Blätter eines Ölbaums nicht in der Sonnenzeit und<br />

nicht in der Regenzeit abfallen, so gibt es auch für Israel kein Ende, nicht in der hiesigen<br />

Welt und nicht in der kommenden Welt.“<br />

Harte Strafe also dicht neben ewiger Liebe; Gott züchtigt sein Volk, zugleich aber erhält er es<br />

durch alle Katastrophen hindurch. In unserem Predigttext heute hat das befremdliche, magische<br />

Züge: Mose soll eine eherne Schlange aufrichten. Wer die anschaut, der wird überleben,<br />

selbst wenn er von den giftigen Schlangen gebissen wurde.<br />

Gottes Liebe also siegt über seinen Zorn. Und es ist interessant, wie er mit dem Bösen verfährt:<br />

Er macht es anschaulich und damit entmachtet er es. Den Menschen gibt er einen<br />

lebenswichtigen Rat; Wem es gelingt, das Böse anzuschauen, die Begegnung auszuhalten,<br />

der bannt es und besiegt es.<br />

Ich denke, die Erfahrung, die das Volk Israel hier in der Wüste macht, kennen die meisten<br />

von uns. Solange wir vor unseren Ängsten weglaufen, haben sie Macht über uns. Ja, je<br />

länger wir weglaufen, desto größer wird ihre Macht, eine Macht, die krank machen, auf Dau-

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