Predigten Pastor Moser 2006 - Alsterbund
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Evangelisch-Lutherische Seite 2 E. Felix <strong>Moser</strong><br />
Paul-Gerhardt Gemeinde<br />
<strong>Pastor</strong><br />
Hamburg-Winterhude Predigt am 20.08.06<br />
sagt, von „Glaubensbrüdern“ zu sprechen. Halbgeschwister sind wir allemal. Ich denke,<br />
auch das ist ein Grund, dass wir in diesem Konflikt besonders mitleiden.<br />
Unser Predigttext heute Morgen ist nicht weniger von Gefühlen bestimmt. Jetzt ist es Paulus,<br />
der seinen Schmerz zum Ausdruck bringt. Überwältigendes hat er erlebt; das will er seinen<br />
Brüdern weitersagen. Jesus Christus selbst hat sich ihm vor Damaskus offenbart – so eindrücklich,<br />
dass es ihn (im wahrsten Sinne des Wortes) umgehauen hat. Jetzt weiß er: alles<br />
Warten hat ein Ende. Der Messias ist da. Die alten jüdischen Weissagungen haben sich erfüllt.<br />
Mit Jesus ist die neue Zeit angebrochen.<br />
Paulus wird nicht müde, das weiterzusagen. Aber er muss die enttäuschende Erfahrung machen,<br />
dass der Funke nicht überspringt – jedenfalls nicht im erhofften Maße. Denn gerade<br />
die, an die er sich als erste wendet, sperren sich gegen das Neue. Gottes Volk, Träger der<br />
messianischen Verheißung, will nichts wissen von dem, was Paulus erlebt hat – oder räumt<br />
ihm zumindest nicht die Bedeutung ein. Jesus wird von den Juden nicht anerkannt als der<br />
lang ersehnte Messias.<br />
So sind Paulus' Worte eine erschütterndes Dokument der Zerrissenheit und der Verzweiflung.<br />
Einerseits eine Art Liebeserklärung an seine (ehemaligen) Glaubensgeschwister, andererseits<br />
eine zornige Abrechnung. Mit einem Ehrentitel spricht er sie an („Israeliten“ das heißt<br />
Gottesstreiter, als Kinder Gottes), an ihre besondere Erwählung erinnert er sie (an die Bundesschlüsse<br />
durch die Erzväter) und an Gottes besondere Geschenke für sie (seine „Herrlichkeit“,<br />
die sie in der Wüstenwanderung begleitete und die im Tempel wohnt; das Geschenk<br />
der Gesetzestafeln und ihres besonderen Gottesdienstes); er lobt ihren großen<br />
Glaubenseifer...<br />
All das sieht er, schätzt er, würdigt er; und dennoch bricht seine Rede um in einen verzweifelten<br />
Zorn: Ihr lauft Gefahr, all das Großartige zu verspielen! Für Paulus steht und fällt alles<br />
mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus. Wer ihn als den Messias, als seinen Retter anerkennt,<br />
der ist selbst gerettet; wer diesen Glauben verwirft, der ist verloren. Paulus' Schmerz,<br />
seine Trauer um Israel steigert sich bis zur Selbstverfluchung.<br />
Wie hören wir heute solche Zeilen? Ich glaube, ein ganzes Stück weit können wir Paulus folgen.<br />
Wir als Christen haben in Jesus unseren Retter gefunden und wünschen diese großartige<br />
Erfahrung jedem. Mehr noch: Was würde sich ändern in der Welt, wenn tatsächlich sich<br />
die Völker zu Jesus als ihrem Messias bekennen und ihre Politik, ihr Leben danach ausrichten<br />
würden! Das käme einer Friedensrevolution gleich; das wäre der sichtbare Anbruch der<br />
messianischen Zeit!<br />
Und doch unterscheiden wir uns von Paulus. Wir behalten unsere Begeisterung im Herzen.<br />
Unser Glaube ist uns ein wertvoller, doch sehr persönlicher Schatz. Das laute Werben um<br />
die Sache Jesu liegt uns nicht. Das mag viele, vor allem persönliche Gründe haben. Entscheidend<br />
ist wohl aber auch, dass uns das Missionieren an sich suspekt geworden ist. Allzu<br />
oft ist es in der Geschichte missbraucht worden. Die Erweiterung von Macht und Einfluss, die<br />
Sucht nach Geld und Gold, der Sklavenhandel – all das hat sich unter dem Deckmantel der<br />
Mission verborgen. Hinzu kommt das Denken unserer Zeit: in einer weltoffenen liberalen<br />
Demokratie kommt Missionieren schlecht an. Es riecht zu sehr nach Besserwisserei, nach<br />
Rechthaberei und Engstirnigkeit.<br />
Erst recht melden sich Bedenken beim Missionieren der Juden. Paulus kann das zu seiner<br />
Zeit ganz unvoreingenommen angehen. Aber wir Deutsche?! Was die Juden betrifft, blicken<br />
wir zurück auf eine Geschichte von Missverständnissen übereinander und Unverständnis<br />
füreinander, eine Geschichte von Auseinandersetzung und Verfolgung, die im millionenfachen<br />
Mord an den Juden gipfelte.<br />
Als jetzt weltweit über eine friedenspolitische Mission in Nahost nachgedacht wurde, konnten<br />
sich die Deutschen kaum entschließen, sich mit Soldaten daran zu beteiligen. Unvorstellbar<br />
ein Gegenüber bewaffneter jüdischer und deutscher Soldaten! Gleiche Bedenken gelten für<br />
den Glaubensstreit: Wer wollte sich nach 1945 anmaßen, Juden den allein wahren, guten,<br />
christlichen Weg zu propagieren?!