Predigten Pastor Moser 2006 - Alsterbund

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Evangelisch-Lutherische Seite 2 E. Felix Moser Paul-Gerhardt Gemeinde Pastor Hamburg-Winterhude Predigt am 01.10.06 ‣ Der, der sich an ihre Weisungen hält, wird von „wahrer“ Lebensenergie durchflutet (das meint Leistungsstärke, Gemütsruhe, Seelenfrieden …); ‣ „ewige“ Gesundheit mit einem ‣ Durchschnittsalter von 140 Lebensjahren. Wir merken schon: Hier geht es nicht mehr um seriöse Medizin und Wissenschaft, hier geht es um Glauben (im Sinne von: vertrauen auf). Fitness und Diäten, „Körperbewusstsein“, (wie es heute gern genannt wird) kann religiöse Züge annehmen, mehr noch: es ist zu einer Art neuer Religion geworden. Was haben Paulus und Timotheus dagegenzusetzen? Als Maßstab für unser Essen und Trinken nur das Eine: dass wir Gott von ganzem Herzen danken können. Das ist alles: ein Leben voller Dankbarkeit. Wenn der Timotheusbrief Recht hat, reicht das im Grunde aus, um fürs Leben fit zu sein. Einer, der sich beschenkt weiß und dankbar ist, hat wirklich eine Lebensgrundlage und wird das auch ausstrahlen. Gott hält mich, Gott sorgt für mich … ich muss mich nicht stark und schön trimmen, um vollwertig zu sein. Für Gott bin ich es längst. Das klingt sehr einfach. Aber gerade mit dem Wort ‚Dankbarkeit’ klingt ein sehr problematischer Punkt an. „Aus Gewöhnung entsteht Verwöhnung“, las ich kürzlich. So ist es doch tatsächlich: Wir haben uns längst daran gewöhnt, alles Lebensnotwendige zu haben. Mehr noch: Wir haben uns an einen gewissen Luxus gewöhnt; er ist uns ganz selbstverständlich. Wir sind verwöhnt, und bei Gewöhnung und Verwöhnung bleibt die Dankbarkeit schnell auf der Strecke. Dabei kennen gerade die Älteren unter uns auch noch ganz andere Zeiten. In der Kriegsund Nachkriegszeit war nicht einmal das zum Leben Allernötigste selbstverständlich. „Gib uns unser täglich Brot“ war oft die wichtigste Bitte im Vaterunser. Das hat auch noch die fünfziger und sechziger Jahre geprägt. Der heute so verpönte Satz „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt“ war allgemein im Gebrauch – einfach schon vom Bewusstsein her, dass es keineswegs selbstverständlich ist, dass überhaupt etwa auf den Tisch kommt. Das hat sich inzwischen gründlich geändert. Wir haben uns daran gewöhnt, auszuwählen aus einem reichen Angebot (um nicht zu sagen Überfluss), und der einzelne ist eher bedroht von der Maßlosigkeit im Essen als vom Hungern. Wofür also sollte man dankbar sein? Wer heute Konfirmandenfreizeiten macht, kann sehen, wie beim Mittagessen gefüllte Schüsseln zurückgehen, weil alle schon von mitgebrachten Süßigkeiten und Chips satt sind. Das Wort „Gabe“ ist außer in der Kirche heute kaum noch in Gebrauch. Mit dem Wort ist auch dessen ursprüngliche Bedeutung verloren gegangen. Es drückt nämlich eine Beziehung aus; die Beziehung zwischen einem Geber und einem Be-Gabten, einem Beschenkten. Wer nun das Wort ‚Gabe’ aufgibt, der verliert auch die darin anklingende Beziehung. Er verliert den Geber aus den Augen. Ich denke, dass trifft die Situation heute wirklich: Wir erleben uns nicht mehr als abhängig, sondern als Macher und Könner. Als solche haben wir alles im Griff (sogar Missernten und ungünstiges Klima). Materiell steht uns alles zur Verfügung. Wir haben es nicht mehr nötig, uns beschenken zu lassen. In anderen Kulturen und Ländern sieht das ganz anders aus. Da ist das ursprüngliche Verständnis von den Dingen als guten Gaben noch lebendig. Eine europäische Missionarin beschreibt, wie sie das in Afrika zurückgewann: „Ich war im Norden von Südafrika gereist. Ein schwarzer Pfarrer hatte mir das Land, die karge Landwirtschaft und die armseligen Behausungen der Schwarzen gezeigt. Es war heiß und wir waren schon lange unterwegs, als wir in einem Haus einkehrten. Ich war durstig und müde und als uns unser Gastgeber einen Kaffee anbot, nahm ich erfreut an. Es dauerte sehr lange, bis er den Kaffee brachte. Im Gespräch hinterher erfuhr ich: Es gab kein Wasser im Haus; er hat es erst holen müssen. Es gab auch keine Elektrizität; er hatte einen Ofen mit Holz anheizen müssen um das Wasser zu kochen. Auch die Milch hatte er noch angewärmt. Es kam alles aus spärlichen Vorräten.“
Evangelisch-Lutherische Seite 3 E. Felix Moser Paul-Gerhardt Gemeinde Pastor Hamburg-Winterhude Predigt am 01.10.06 Diese kleine Episode macht deutlich: Wer seinen Kaffee so empfängt, der erlebt ihn ja wirklich als Gabe. Was bei uns über die Kaffeemaschine zur selbstverständlichen Nebensächlichkeit geworden ist (wenn das Blubbern der Kaffeemaschine lauter wird, erinnert es uns daran, dass der Kaffee nebenbei fertig geworden ist), das ist dort in Afrika noch etwas Besonderes: Das Kaffeetrinken als ein bewusster Prozess – von der Vorratseinteilung über die Herstellung bis zum Teilen und gemeinsamen Genießen. Die Sache wird als „Gabe“ erlebt – und es geschieht noch mehr: Beziehungen wachsen und werden bewusst erlebt: im Geben auf der einen Seite, im Nehmen auf der anderen Seite. Im Grimmschen Wörterbuch heißt es unter dem Stichwort „Dankbarkeit“: „Wer nicht beweiset Dankbarkeit, ist wie ein Brunnen, der ohne Wasser steit.“ Das meint doch: Wer das, was er empfängt, nur noch als selbstverständlich hinnimmt, der trocknet aus; der wird leblos und einsam. Wer Dankbarkeit nicht mehr ausdrücken kann, der verkümmert; seine Beziehungen veröden – die zu Gott ebenso wie die zu den Mitmenschen. So führt uns das Erntedankfest auf die Grundlage und die Voraussetzung für das Gelingen alles Lebens zurück – nicht nur in Hinsicht der materiellen Gaben, sondern vor allem in der Beziehung zum Geber. Lasst uns die vor allem anderen pflegen und lebendig halten! Amen.
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