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Predigten Pastor Moser 2006 - Alsterbund

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Evangelisch-Lutherische Seite 2 E. Felix <strong>Moser</strong><br />

Paul-Gerhardt Gemeinde<br />

<strong>Pastor</strong><br />

Hamburg-Winterhude Predigt am 11.06.06<br />

gar kein Labyrinth, sondern ein Irrgarten. Da wird der Besucher ganz bewusst mit vielen<br />

Sackgassen und Fehlleitungen an der Nase herumgeführt. Ein Labyrinth hingegen ist nur auf<br />

den ersten Blick verwirrend. Schaut man genauer hin, erkennt man: Es hat nur einen Weg<br />

und der führt immer zum Ziel.<br />

Bestes Beispiel dafür sind die großen Labyrinthe, die in die Fußböden mittelalterlicher Kirchen<br />

eingelegt sind. Sie sind da aber keineswegs nur zur Zierde. Vielmehr beschreiben sie<br />

den Lebensweg des Menschen. So verschlungen wie ein Labyrinth ist der Lebensweg des<br />

Menschen: mal wähnt er sich seinem Ziel sehr nahe, im nächsten Moment weiß er sich weit<br />

davon entfernt. Und doch nähert er sich Schritt für Schritt der Mitte.<br />

Ein sehr gelungenes Beispiel ist das Labyrinth in Chartres. Sie finden es auf Ihrem Gottesdienstzettel.<br />

Es diente ganz praktischen Zwecken: Der Glaubende (oft waren es damals Pilger)<br />

bekam eine Kerze in die Hand und wurde aufgefordert, das Labyrinth zu betreten. Meditierend<br />

sollte er dann dem verschlungenen Weg folgen. Er sollte dabei über seinen Lebensweg<br />

nachdenken, zugleich aber den Weg in sein inneres Selbst finden. Ziel war die Mitte und<br />

das bedeutete: Erleuchtung, Erlösung; ja es bedeutete: Gott zu finden. Deshalb ist die Mitte<br />

im Labyrinth von Chartres als Blume gestaltet. Die heilige Blume, die heilige Mitte des Menschen<br />

wie der Welt (von Mikrokosmos wie Makrokosmos) ist Gott. Wer seine Mitte gefunden<br />

hatte, war am Ziel. Denn er hatte Gott gefunden.<br />

Ich denke mir, das ist ein gutes Symbol für einen Gottesdienst anlässlich einer goldenen<br />

Konfirmation. Vor fünfzig Jahren etwa sind Sie konfirmiert worden – eine schwierige Zeit, eine<br />

Zeit mit zwei Gesichtern sozusagen: zum einen geprägt von Optimismus (Wiederaufbau,<br />

Wirtschaftswunder), zum anderen aber auch von den Erinnerungen an den Krieg (geboren<br />

und aufgewachsen in den Kriegsjahren; nächtlicher Alarm, Bombenangriffe, Flucht und –<br />

noch lange nach dem Krieg – das Spielen zwischen Trümmern, der Hunger, die beengten<br />

Wohnverhältnisse – war man doch froh, überhaupt überlebt und ein Dach über dem Kopf zu<br />

haben; heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, wie viele Menschen in diesen kleinen<br />

Wohnungen hier gelebt haben).<br />

Die kirchliche Arbeit blühte und sie war wichtiger denn je. Gab es doch sonst kaum Angebote<br />

– vor allem kaum solche, die über den täglichen Überlebenskampf hinausgingen.<br />

In diesen Jahren sind Sie eingesegnet worden; viele von Ihnen nebenan im Gemeindesaal,<br />

der früheren Paul-Gerhardt Kapelle. Wissen Sie noch, was Ihnen dabei durch den Kopf<br />

ging? Waren Sie als Jugendliche eher die Optimisten, die nach vorne schauten oder zählten<br />

Sie zu denen, die traumatisiert von den Kriegseindrücken mehr litten, als zu hoffen wagten. -<br />

Es wird nachher drüben Gelegenheit sein, darüber zu sprechen.<br />

Dass Sie heute hier sind, zeigt mir aber, dass Sie Wesentliches vom Segen damals erfasst<br />

und erlebt haben. Es ist tatsächlich wie im Labyrinth: Man geht innerlich seinen Lebensweg<br />

ein zweites Mal. Und dabei erlebt man Zeiten, in denen man sich Gott ganz nahe weiß, aber<br />

auch solche, wo man schreien möchte: Gott wo bist du? Wie kannst du das zulassen? Zeige<br />

doch deine Macht – gegen Krieg und Not, gegen Krankheit und Zerstörung!<br />

Das allein macht aber kein Bewusstsein vom Segen aus; das wären dann nur zwei Waagschalen,<br />

die im besten Falle ausgeglichen (=auf einer Ebene) stünden. Ein drittes muss hinzukommen:<br />

Das Bewusstsein, Gott mit jedem Tag des Lebens ein Stück näher zu kommen;<br />

die Gewissheit, irgendwann die heilige Blume, die Gottesmitte zu finden. Das gilt auch, wenn<br />

der Weg dahin noch so beschwerlich ist. Es ist sicher kein Zufall, dass wir in der Grundform<br />

des Labyrinths in den schwarzen Steinen auch ein großes Kreuz erkennen. Tatsächlich, so<br />

ist es: solange wir leben, haben wir unser Kreuz zu tragen. Das aber ist identisch mit dem<br />

Kreuz Christi – und so führt es uns (auch ohne dass wir es merken) zur Mitte hin.<br />

Ihnen wird es auf Ihrem Lebensweg ähnlich dem Pilger im mittelalterlichen Labyrinth ergangen<br />

sein: oft haben Sie Ihre Mitte, Ihr Ziel, nur unsicher umkreist; oft wähnten Sie sich auf<br />

Abwegen, waren gezwungen, neue Richtungen einzuschlagen. Erst im Rückblick durften Sie<br />

erkennen: da war doch Gottes Führung im Spiel. Ich habe meinen Weg gefunden, bin meinem<br />

Ziel näher gekommen. „Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade,“ sagt der<br />

Volksmund. Im Blick auf unser Labyrinth-Symbol bekommt das einen ganz neuen tiefen

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