Predigten Pastor Moser 2006 - Alsterbund
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Evangelisch-Lutherische Seite 2 E. Felix <strong>Moser</strong><br />
Paul-Gerhardt Gemeinde<br />
<strong>Pastor</strong><br />
Hamburg-Winterhude Predigt am 04.11.06<br />
Feind zu schwächen? Und müssen wir nicht allein Abscheu und Ekel zeigen, bei allem, was<br />
Babel lebt, seiner Kultur, seinen Göttern?!<br />
Jeremias Brief wird nicht viel Begeisterung ausgelöst haben, im Gegenteil. Grund ist nicht<br />
nur die Anweisung: Setzt euch ein für eure Gegner, wohnt in Babel und betet für diese Stadt.<br />
Mehr noch ist es eine große Enttäuschung. Von prophetischer Post aus der geliebten Heimat<br />
hatte man sich sicher einiges erhofft und erwartet, vor allem Trost. Aber gerade in dieser<br />
Hinsicht enttäuschen die Zeilen: Siebzig Jahre soll die Zeit der Vertreibung währen (etwa<br />
drei Generationen), frühestens dann wird sich das Blatt wenden. Die Nachkommen der<br />
Nachkommen werden vielleicht heimkehren dürfen. Von den Deportierten selbst wird das<br />
aber keiner mehr erleben.<br />
Ein schwacher Trost nur und dennoch, denke ich, ein ganz wichtiger Brief. Manchmal brauchen<br />
wir einen, der uns aufrüttelt, der uns die Wahrheit ins Gesicht sagt. Manchmal brauchen<br />
wir einen, der uns den „Tunnelblick“ wieder öffnet. Ein Teil der Deportierten hatte resigniert,<br />
sah nur noch ein schwarzes Loch, andere malten sich ihre Zukunft rosarot. Jeremia<br />
stellt beide zurück auf den Boden der Tatsachen; er öffnet ihnen die Augen. Und erst jetzt<br />
können sie seinen eigentlichen Trost hören und sehen: Gott ist da; er ist bei euch in Babel;<br />
wo ihr ihn sucht, da ist er zu finden. Ihr müsst erkennen: Die Zeit in Babel ist keine Wartezeit.<br />
Sie ist Gottes Zeit – und das heißt: sie ist Lebenszeit (und nicht etwa für Israel eine Art „Auszeit“<br />
der Geschichte.<br />
„Auszeit“ – das heißt im Sport: das Spiel wird unterbrochen. Man kann sich beraten und neu<br />
formieren. Die Uhr wird angehalten, und nachher geht es mit konzentrierter Aufmerksamkeit<br />
weiter. Aber die Geschichte kennt keine Auszeit. Gottes Geschichte läuft weiter und auch die<br />
Babel-Zeit ist gültige (Spiel-)Zeit. Deshalb Jeremias Aufforderung, die Zeit in Babel wirklich<br />
zu leben, und das meint: sich auf Dauer da einzurichten.<br />
Babel und Jerusalem sind zu Symbolen geworden. Vom „Sündenbabel“ sprechen wir einerseits,<br />
vom „himmlischen Jerusalem“ andererseits. Babel steht für Gottesferne und Gottlosigkeit,<br />
ja für das Böse schlechthin; Jerusalem für die Hoffnung, die Bestand hat oder (anders<br />
gesagt) Hoffnung, die sich erfüllt.<br />
So gesehen findet sich der Gegensatz in unserem Leben wieder: Babel-Zeiten, in denen ich<br />
herausgerissen werde aus meinem Lebensrhythmus; Zeit der Krankheit, Zeit der Einsamkeit,<br />
Zeit des Versagens. Babel-Zeit ist die Trauer, wenn ich einen geliebten Menschen verloren<br />
habe. Babel-Zeit ist die Zeit ungestillter Sehnsucht. Wie wichtig, jetzt Jeremia zu hören! Auch<br />
diese gestörte Zeit ist Lebenszeit, ist Zeit aus Gottes Hand, ist Zeit mit Zukunft. Auch Wartezeit<br />
(von der wir manchmal sagen, wir möchten oder müssen sie „totschlagen“) ist Zeit für<br />
uns. Jede Lebenszeit ist Zeit mit Zukunft. Zu jeder Zeit ist Gott bei uns, an jedem Ort.<br />
Mag sein, dass das Ziel meiner Sehnsucht weit weg ist. In jedem Fall aber kann ich Gott in<br />
mir finden. „Wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht, will ich mich von euch finden lassen“,<br />
lesen wir bei Jeremia. Das ist doch ein klares Gotteswort! Auch in der schlimmsten Babel-<br />
Zeit bin ich euch ganz nahe: da, wo euer Herz schlägt, am Lebenskern.<br />
Aber (und das ist entscheidend!): Jeremia predigt nicht nur einfach Anpassung und Eintauchen<br />
im Fremden. Er sagt nicht einfach nur: Richtet euch ein in Babel! Er sagt auch: Hofft<br />
auf Jerusalem!<br />
Wohnt in Babel und hofft auf Jerusalem – das heißt: lebt da, wo ihr seid, richtig, bewusst, als<br />
ganze Menschen, aber vergesst nicht, woher ihr kommt. Ihr sollt in Babel leben aber Jerusalem<br />
im Herzen tragen. Wenn euch dieser Spagat gelingt, werdet ihr merken, dass sich etwas<br />
verändert: Wer sein Jerusalem im Herzen trägt, fängt an, diese Hoffnung zu leben, sie wenigstens<br />
ein Stück weit umzusetzen. Babel bricht auf und selbst in der schlimmsten Not<br />
kommt es zu Lichtblicken. Und so wie eine einzige Kerze Dunkelheit mit Licht und Wärme<br />
verwandeln kann, verwandelt ein einziger Lichtblick die Not von Babel.<br />
Ich denke auch, dass das nicht nur unsere persönlichen Babelzeiten betrifft (Krankheit,<br />
Trauer, Einsamkeit ...). Vielmehr geht es auch um das, was wir gemeinsam als Babel erleben,<br />
in Stadt und Land. Und das ist ausgesprochen viel: Derzeit können Sie in verschiede-