Predigten Pastor Moser 2006 - Alsterbund

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Evangelisch-lutherische Paul-Gerhardt Gemeinde Hamburg-Winterhude in der E. Felix Moser Pastor Predigt am Sonntag Trinitatis Feier der goldenen Konfirmation 11. Juni 2006 Liebe Gemeinde! Die meisten von Ihnen sind gebürtige Hamburger, und wer in Hamburg groß geworden ist, der kennt auch den Hamburger Dom. Heute ist das Angebot dort geradezu unüberschaubar geworden, früher aber (zumindest in den Sechziger, als ich Kind war) waren es einige wenige Attraktionen, die den Charakter des Doms prägten. Dazu gehörte das Spiegellabyrinth. Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Besuch darin. Nachdem ich mir mehrmals die Nase gestoßen hatte und meine verzerrten Spiegelbilder eher erschreckend als komisch empfunden hatte, brach ich in lautes Schluchzen aus und musste schließlich von Erwachsenen „gerettet“ werden. Mit Labyrinthen wollte ich seitdem nichts mehr zu tun haben. Das hat sich erst geändert, als mich viele Jahre später ein befreundeter Theologe aufgeklärt hat: Das Spiegellabyrinth verdient streng genommen seinen Namen gar nicht. Denn es ist
Evangelisch-Lutherische Seite 2 E. Felix Moser Paul-Gerhardt Gemeinde Pastor Hamburg-Winterhude Predigt am 11.06.06 gar kein Labyrinth, sondern ein Irrgarten. Da wird der Besucher ganz bewusst mit vielen Sackgassen und Fehlleitungen an der Nase herumgeführt. Ein Labyrinth hingegen ist nur auf den ersten Blick verwirrend. Schaut man genauer hin, erkennt man: Es hat nur einen Weg und der führt immer zum Ziel. Bestes Beispiel dafür sind die großen Labyrinthe, die in die Fußböden mittelalterlicher Kirchen eingelegt sind. Sie sind da aber keineswegs nur zur Zierde. Vielmehr beschreiben sie den Lebensweg des Menschen. So verschlungen wie ein Labyrinth ist der Lebensweg des Menschen: mal wähnt er sich seinem Ziel sehr nahe, im nächsten Moment weiß er sich weit davon entfernt. Und doch nähert er sich Schritt für Schritt der Mitte. Ein sehr gelungenes Beispiel ist das Labyrinth in Chartres. Sie finden es auf Ihrem Gottesdienstzettel. Es diente ganz praktischen Zwecken: Der Glaubende (oft waren es damals Pilger) bekam eine Kerze in die Hand und wurde aufgefordert, das Labyrinth zu betreten. Meditierend sollte er dann dem verschlungenen Weg folgen. Er sollte dabei über seinen Lebensweg nachdenken, zugleich aber den Weg in sein inneres Selbst finden. Ziel war die Mitte und das bedeutete: Erleuchtung, Erlösung; ja es bedeutete: Gott zu finden. Deshalb ist die Mitte im Labyrinth von Chartres als Blume gestaltet. Die heilige Blume, die heilige Mitte des Menschen wie der Welt (von Mikrokosmos wie Makrokosmos) ist Gott. Wer seine Mitte gefunden hatte, war am Ziel. Denn er hatte Gott gefunden. Ich denke mir, das ist ein gutes Symbol für einen Gottesdienst anlässlich einer goldenen Konfirmation. Vor fünfzig Jahren etwa sind Sie konfirmiert worden – eine schwierige Zeit, eine Zeit mit zwei Gesichtern sozusagen: zum einen geprägt von Optimismus (Wiederaufbau, Wirtschaftswunder), zum anderen aber auch von den Erinnerungen an den Krieg (geboren und aufgewachsen in den Kriegsjahren; nächtlicher Alarm, Bombenangriffe, Flucht und – noch lange nach dem Krieg – das Spielen zwischen Trümmern, der Hunger, die beengten Wohnverhältnisse – war man doch froh, überhaupt überlebt und ein Dach über dem Kopf zu haben; heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, wie viele Menschen in diesen kleinen Wohnungen hier gelebt haben). Die kirchliche Arbeit blühte und sie war wichtiger denn je. Gab es doch sonst kaum Angebote – vor allem kaum solche, die über den täglichen Überlebenskampf hinausgingen. In diesen Jahren sind Sie eingesegnet worden; viele von Ihnen nebenan im Gemeindesaal, der früheren Paul-Gerhardt Kapelle. Wissen Sie noch, was Ihnen dabei durch den Kopf ging? Waren Sie als Jugendliche eher die Optimisten, die nach vorne schauten oder zählten Sie zu denen, die traumatisiert von den Kriegseindrücken mehr litten, als zu hoffen wagten. - Es wird nachher drüben Gelegenheit sein, darüber zu sprechen. Dass Sie heute hier sind, zeigt mir aber, dass Sie Wesentliches vom Segen damals erfasst und erlebt haben. Es ist tatsächlich wie im Labyrinth: Man geht innerlich seinen Lebensweg ein zweites Mal. Und dabei erlebt man Zeiten, in denen man sich Gott ganz nahe weiß, aber auch solche, wo man schreien möchte: Gott wo bist du? Wie kannst du das zulassen? Zeige doch deine Macht – gegen Krieg und Not, gegen Krankheit und Zerstörung! Das allein macht aber kein Bewusstsein vom Segen aus; das wären dann nur zwei Waagschalen, die im besten Falle ausgeglichen (=auf einer Ebene) stünden. Ein drittes muss hinzukommen: Das Bewusstsein, Gott mit jedem Tag des Lebens ein Stück näher zu kommen; die Gewissheit, irgendwann die heilige Blume, die Gottesmitte zu finden. Das gilt auch, wenn der Weg dahin noch so beschwerlich ist. Es ist sicher kein Zufall, dass wir in der Grundform des Labyrinths in den schwarzen Steinen auch ein großes Kreuz erkennen. Tatsächlich, so ist es: solange wir leben, haben wir unser Kreuz zu tragen. Das aber ist identisch mit dem Kreuz Christi – und so führt es uns (auch ohne dass wir es merken) zur Mitte hin. Ihnen wird es auf Ihrem Lebensweg ähnlich dem Pilger im mittelalterlichen Labyrinth ergangen sein: oft haben Sie Ihre Mitte, Ihr Ziel, nur unsicher umkreist; oft wähnten Sie sich auf Abwegen, waren gezwungen, neue Richtungen einzuschlagen. Erst im Rückblick durften Sie erkennen: da war doch Gottes Führung im Spiel. Ich habe meinen Weg gefunden, bin meinem Ziel näher gekommen. „Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade,“ sagt der Volksmund. Im Blick auf unser Labyrinth-Symbol bekommt das einen ganz neuen tiefen
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