Materialien zur Familienpolitikanalyse - ifb - Bayern
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22 <strong>ifb</strong> - <strong>Materialien</strong> 4-98<br />
ist die Debatte um Politikberatung und die Verwendung sozialwissenschaflichen Wissen unter<br />
dem Vorzeichen geführt worden, wissenschaftliches Wissen sei per se qualitativ höherwertiger<br />
als praktisches Wissen. Alle Modelle der Interaktion von Wissenschaft und Politik gehen<br />
- mehr oder weniger - von dieser Vorstellung aus. Diese Annahme war insbesondere in den<br />
beiden großen widerstreitenden Rationalisierungsmodellen - der Aufklärung und der Technokratie<br />
– enthalten (Habermas 1978).<br />
In dem einen Modell erhofft man sich von der Verwissenschaftlichung eine vernünftigere<br />
Abwägung von Zielen, in dem anderen Modell eine effektivere und effizientere Umsetzung<br />
der Mittel staatlicher Politik. Auch die Nutzung wissenschaftlichen Wissens <strong>zur</strong> Legitimationsbeschaffung,<br />
die allenthalben unterstellt wurde, geht von der Voraussetzung aus, daß dieses<br />
Wissen aufgrund seiner besonderen Qualität zu diesem Zweck verwendet werden kann. Es<br />
läßt sich somit für die Debatte um die Verwendung sozialwissenschaftlichen Wissens konstatieren,<br />
daß die Ansprüche relativ hoch gesetzt und Enttäuschungserfahrungen somit vorprogrammiert<br />
waren (Wingens 1988).<br />
Aus der Kritik der älteren Ansätze, die weitgehend philosophisch inspiriert und programmatisch<br />
gedacht waren, hat sich eine sog. Verwendungsforschung etabliert, die sich als empirische<br />
Einlösung der Theorie-Praxis-Debatte der Sozialwissenschaften verstand. Aus einer<br />
Vielzahl von empirischen Untersuchungen wurde abgelesen, daß es weniger Daten sind, die<br />
politisch genutzt werden. Aus verschiedenen Gründen haben politische Akteure nicht die<br />
Möglichkeit, sozialwissenschaftliches Faktenwissen in ihre Entscheidungen einfließen zu lassen.<br />
Ihre Argumentation muß sich entweder an etablierten Handlunsgsroutinen in der Administration<br />
oder an populistischen Strategien im öffentlichen Meinungskampf orientieren; die<br />
politische Debatte reduziert sich häufig auf griffige Formeln, bei denen eine subtilere Durchdringung<br />
der Sachverhalte eher störend wäre. Daher besteht der Hauptnutzen sozialwissenschaftlichen<br />
Wissens für die politische Entscheidungspraxis in der Proliferation der öffentlichen<br />
Debatte mit neuartigen Konzepten. Diese sog. konzeptualisierende Verwendung sozialwissenschaftlichen<br />
Wissens verändert Problemdefinitionen, Wirklichkeitsrepräsentationen,<br />
Deutungsmuster und Wahrnehmungsformen (Weiss 1984, 1991, Wingens 1988). Die oft beklagte<br />
Situation, daß bei politischen Entscheidungen Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Forschung<br />
häufig nur ad hoc <strong>zur</strong> Kenntnis genommen werden, hat somit einen systematischen<br />
Grund in der Relevanzstruktur des politischen Systems.<br />
Als ein Teilziel läßt sich die Analyse des Programmentwicklungsprozesses in dem Bereich<br />
familienbezogener Politik insbesondere im Hinblick auf die Verwendung sozialwissenschaftlichen<br />
Wissens formulieren. Die Durchsicht der bestehenden Ansätze <strong>zur</strong> Erforschung dieses<br />
Gegenstands liefern - neben nicht zu leugnenden Forschungslücken - das Resultat, daß die<br />
entsprechenden Datengrundlagen, die die Familienforschung bereitstellen kann, politisch nur<br />
un<strong>zur</strong>eichend rezipiert werden können.<br />
In den vorliegenden Fallstudien wurde dieses Ergebnis auch indirekt bestätigt. Die Fallstudien<br />
bewerten unterschiedliche Teilbereiche familienbezogener Politik relativ kritisch. Z.B. kann<br />
nachgewiesen werden, daß die Ergebnisse der neueren Jugendhilfeforschung die Grenzen der<br />
Jugendhilfeplanung als eines der zentralen neuen Instrumente der Kinder- und Jugendhilfe<br />
aufzeigen, ohne daß diese Schlußfolgerung in die praktische Jugendhilfeplanung oder die gesetzgeberische<br />
Praxis eingeflossen sind, wie der Beitrag von Kurt Bierschock in diesem Band