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| K a p i t a l | E u r o f i g h t e r<br />
nicht nur den größten Waffenkonzern der<br />
Welt hervorgebracht, sondern auch ein<br />
krisenfesteres Umfeld für den Eurofighter.<br />
Stattdessen kämpft das Projekt inzwischen<br />
nicht mehr nur um sein Image. Bis 2018 ist<br />
die Produktion noch gesichert. Doch wenn<br />
nicht bald weitere Flugzeuge bestellt werden<br />
oder neue Kunden dazukommen, wird<br />
sie eingestellt. Dann wäre das größte Rüstungsprojekt<br />
in der Geschichte der Bundesrepublik<br />
vorzeitig am Ende. 26 Milliarden<br />
Euro an Steuergeldern – und dann geht es<br />
nicht weiter. Der Absturz eines Supervogels.<br />
Der Mann, bei dem dieses Projekt ursprünglich<br />
seinen Anfang nahm, trägt<br />
heute Rentnerweste und akkuraten Silberscheitel.<br />
Eberhard Eimler, General a. D.,<br />
blickt in den Himmel über Rheinbach, seinem<br />
Wohnort im Bonner Hinterland. Als<br />
er Chef der Luftwaffe war, hieß die Hauptstadt<br />
noch Bonn, die Anschaffung des Eurofighters<br />
fiel in seine Amtszeit. „Ich wollte<br />
damals nur preisgünstig das Dach über<br />
Deutschland abdichten“, sagt er, und formt<br />
dabei ein Schirmchen mit den Händen. Im<br />
Kalten Krieg war mit russischen Luftangriffen<br />
zu rechnen, Eimler hielt die deutsche<br />
Abwehr für lückenhaft und bat Helmut<br />
Kohl 1983 um Unterstützung für ein<br />
neues Jagdflugzeug. Er bekam sie.<br />
Noch mehr Begeisterung löste Eimlers<br />
Vorschlag bei der bayerischen Waffenschmiede<br />
MBB aus. Seit den Siebzigern<br />
hatte das Unternehmen, das später im<br />
EADS-Konzern aufging, an einem Flugzeug<br />
getüftelt, Arbeitstitel: Taktisches<br />
Kampfflugzeug, kurz: TKF. Es galt, sich<br />
vorausschauend Folgeaufträge für die in<br />
den Neunzigern auslaufende Tornado-<br />
Produktion zu sichern. Doch am damaligen<br />
SPD-Verteidigungsminister Hans<br />
Apel hatte sich die bayerische Lobby die<br />
Zähne ausgebissen. Gerade erst waren<br />
Phantom-Jäger aus den USA angeschafft<br />
worden, das neue Projekt schien Apel<br />
„Die Deutschen können aus dem Projekt<br />
nicht mehr aussteigen, Thatcher würde<br />
Kohl zu Tode prügeln“<br />
Aus dem Branchenblatt Aviation Weekly, 1988<br />
weder notwendig noch bezahlbar: „Das<br />
TKF wird es nicht geben.“<br />
Dann kam Kohl. Und mit ihm kam<br />
auch Franz Josef Strauß, CSU-Chef, Airbus-Aufsichtsrat<br />
und alter MBB-Amigo.<br />
Inzwischen hatten sich die Luftwaffen<br />
Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und<br />
Spaniens vorgenommen, gemeinsam mit<br />
Deutschland ein neues Kampfflugzeug zu<br />
planen, um Kosten zu sparen und größere<br />
Stückzahlen bauen zu können. „Jäger 90“<br />
sollte es heißen – sprachlich eine perfekte<br />
Symbiose aus Fortschrittsglaube und dem<br />
Sound der Bonner Republik. Eimler hatte<br />
dafür plädiert, nur Karosserie und Elektronik<br />
neu fertigen zu lassen, aber Triebwerke<br />
und Radargeräte der USA zu nutzen, um<br />
„exotische, teure Lösungen“ zu vermeiden.<br />
Dass aus Eimlers zweckmäßigem Anliegen<br />
30 Jahre später der Luftferrari des Enzo<br />
Casolini wurde, ist nur durch die Gemengelage<br />
aus bayerischer Lobbyarbeit und<br />
europäischer Politik zu erklären, die rasch<br />
eine Eigendynamik entwickelte. Aus simpler<br />
Bedarfsdeckung wurde ein internationales<br />
Prestigeprojekt. Je mehr Industrielle<br />
und Politiker involviert wurden, erinnert<br />
sich Eimler, desto teurer und komplizierter<br />
wurde es.<br />
Bereits 1985, Frankreich hat das Projekt<br />
inzwischen verlassen, soll jede Schraube<br />
von der europäischen Industrie neu erfunden<br />
werden. Mit den Anforderungen des<br />
Militärs hat das bald nichts mehr zu tun.<br />
1987 kommt es trotz öffentlicher Proteste<br />
zu einer „unverbindlichen“ Festlegung der<br />
geplanten Stückzahlen: je 250 für die Bundesrepublik<br />
und Großbritannien, 160 für<br />
Italien, 100 für Spanien – das ist praktisch<br />
ein Kaufversprechen, Jahrzehnte vor der<br />
Serienreife des Produkts. Für die Rüstungsindustrie<br />
ist das normal, gar überlebensnotwendig<br />
– setzt aber gleichzeitig Marktmechanismen<br />
außer Kraft, die mancher<br />
bald schmerzlich vermisst. CDU-Verteidigungsexperte<br />
Willy Wimmer bilanziert<br />
damals trocken: „Die Abgeordneten hatten<br />
keine Chance, den Jäger 90 zu verhindern,<br />
nachdem sich die Exekutive mit Franz Josef<br />
Strauß und MBB einig war.“ Oder, wie das<br />
Branchenblatt Aviation Weekly einen britischen<br />
Industriellen zitiert: „Wir sind inzwischen<br />
zu weit, als dass die Deutschen<br />
noch aussteigen könnten. Maggie Thatcher<br />
würde Helmut Kohl zu Tode prügeln.“<br />
Als Verteidigungsminister Manfred Wörner<br />
1988 schließlich den Vertrag zur voraussichtlich<br />
sieben Milliarden D‐Mark teuren<br />
Entwicklung des Jäger 90 unterschreibt,<br />
war er „nicht in Hochstimmung“, wie er<br />
sich später erinnert.<br />
1990 fällt die Mauer, der Warschauer<br />
Pakt bricht zusammen, der Bundeshaushalt<br />
ächzt unter der Wiedervereinigung. Eigentlich<br />
ein günstiger Moment, das Projekt<br />
abzublasen, dessen Grundlage die Gefahr<br />
aus dem Osten gewesen war. Tatsächlich<br />
fordern genau das auch immer mehr Mitglieder<br />
der Regierungsfraktionen, aber das<br />
Industrieargument, ein Ausstieg sei teurer<br />
als die Fertigstellung, hält sie vorerst<br />
im Zaum. Der Preis pro Flugzeug ist inzwischen<br />
von rund 65 auf 134 Millionen<br />
D‐Mark gestiegen.<br />
Volker Rühe, ab 1992 Verteidigungsminister,<br />
bezweifelt, dass man „angesichts<br />
der veränderten sicherheitspolitischen<br />
Lage diesen Supervogel braucht“, und<br />
urteilt dann: „Der Jäger 90 ist tot.“ Die<br />
Presse feiert seinen Widerstand gegen die<br />
Rüstungslobby – zu früh. Aus der Industrie<br />
und Großbritannien geht ein Kampagnensturm<br />
über Deutschland nieder, der<br />
Gefahren für Arbeitsmarkt, Hochtechnologie<br />
und wehrtechnische Potenz des Landes<br />
beschwört, und als sich die Ausstiegskosten<br />
als wirklich unerschwinglich entpuppen,<br />
knickt Rühe ein. Kleinlaut fordert<br />
er nun eine Sparversion des Jäger 90. Das<br />
Ergebnis: neuer Liefertermin, neuer Preis,<br />
neuer Name. Für 2002, fünf Jahre später<br />
als geplant, wird nun der „Eurofighter“ angekündigt<br />
– ein Name wie die Verheißung<br />
einer Vision, wie das Europa von übermorgen.<br />
Und der Supervogel, der nun nicht<br />
mehr zu stoppen ist, wird wieder großgeredet:<br />
„Die Luftwaffe braucht das neue<br />
Flugzeug dringend“, erklärt Rühe 1996.<br />
Ein Jahr später winkt der Bundestag den<br />
Produktionsvertrag durch. 620 der Kampfjets<br />
sollen nun für alle vier Partnerländer<br />
gebaut werden, davon 180 für Deutschland,<br />
das Stück für 128,7 Millionen Mark.<br />
102 <strong>Cicero</strong> 11.2012