Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
| B e r l i n e r R e p u b l i k<br />
Jimmy gibt nicht auf<br />
Trotz der Misere seiner FDP will Jimmy Schulz im Bundestag bleiben. Fast unmöglich ist das. Aber nicht ganz<br />
von Georg Löwisch<br />
I<br />
N Rottenburg an der LAABER<br />
redet sich Jimmy Schulz nah an<br />
die Katastrophe heran. Erst kurz<br />
nach seiner Ankunft beim Bezirkstag der<br />
niederbayerischen FDP hat er realisiert,<br />
dass hier von ihm kein schnelles Grußwort<br />
erwartet wird, sondern ein 30-Minuten-<br />
Auftritt. Er soll über sein Spezialgebiet referieren,<br />
das Internet, im Grunde erwarten<br />
sie von ihm, dass er die Zukunft an<br />
die Laaber bringt. Ein Witztermin ist das<br />
hier wirklich nicht, einige dieser Delegierten<br />
könnten in wenigen Wochen entscheiden<br />
über die Zukunft von Jimmy Schulz,<br />
44 Jahre, Bundestagsabgeordneter aus Hohenbrunn<br />
bei München.<br />
Er tippt die Themen an, tastet das Publikum<br />
mit den Augen ab, er wirft ihnen<br />
Begriffe hin. Netzpolitik? Digitale Aufklärung?<br />
Vorratsdatenspeicherung?<br />
An den Tischen im Saal murmeln die<br />
Niederbayern, sie bereiten gerade einen<br />
Dringlichkeitsantrag vor: die Rettung des<br />
Schnupftabaks vor den Eurokraten.<br />
Jimmy Schulz, ein Meter siebzig, macht<br />
sich größer hinterm Rednerpult. Schweiß<br />
steht ihm auf der Stirn, er fasst sich ans<br />
Kinn, zupft sich am Ohr. Verhaspelt sich<br />
in Hackerattacken, verirrt sich in Virenzoos,<br />
braut ein schreckliches Mischmasch<br />
aus Videotheken und IP‐TV.<br />
Der Bezirksvorsitzende saugt an seinem<br />
Weißbier, seine kleine Tochter schnattert<br />
mit ihrem Plüschstorch, im Hintergrund<br />
plärrt ein Senior über Rösler.<br />
Dann, Schulz ist endlich wieder auf<br />
seinem Platz im Publikum, geschieht das<br />
Wunder. Ein junger Mann geht zum Rednerpult,<br />
Christian Neulinger, Kreisvorstand<br />
Passauer Land, Gemeinde Pocking.<br />
Er hört sich ungefähr so an wie ein mit<br />
Tranquilizern vollgepumpter Gerhard Polt.<br />
Aber gerade dieses langsame Niederbayerisch<br />
verleiht ihm Gewicht, und der ganze<br />
Saal hört schlagartig hin, als er anhebt:<br />
„Spricht da Jimmy, kant i imma Ja sang.“<br />
Der Schnupftabak, das Weißbier, der<br />
Storch, alles verschwindet. „Wir müssen’s<br />
richtig machen.“ Zustimmung. Brummeln.<br />
„Mit die richtige Leit. Wia brauchan mea<br />
Leit wia den!“<br />
Später braust Jimmy Schulz Richtung<br />
München. Er wirkt aufgekratzt hinterm<br />
Steuer. Beseelt. Der gute Moment eben hat<br />
ihn tief eintauchen lassen in diese Welt, die<br />
ihn glücklich macht: sein Bundestagsmandat,<br />
der Kampf um die Freiheit im Netz,<br />
auch seine eigene Bedeutung. Die Politik<br />
kann ein Traum sein. „Ich lebe meinen<br />
Traum“, sagt er. „Und ich würde das auch<br />
machen, wenn ich kein Geld bekäme.“<br />
Aus dem Traum reißen ihn die Zahlen.<br />
5 Prozent Emnid, 4 Prozent Forsa, 4 Prozent<br />
Infratest. Selbst wenn die FDP 2013<br />
ins Parlament kommt, heißt das nicht, dass<br />
Jimmy Schulz drinbleibt.<br />
Es gibt zurzeit viele in seiner Situation.<br />
Die FDP hat 93 Abgeordnete im Bundestag,<br />
14,6 Prozent holte sie 2009. Newcomer<br />
wie Schulz spülte der Boom einfach<br />
nach Berlin. Jetzt, da die FDP abstürzt,<br />
kann man an einem wie ihm sehen, wie ein<br />
einzelner Politiker herumgeschleudert wird<br />
von den großen Bewegungen im Wettbewerb<br />
der Parteien. Aber Jimmy Schulz will<br />
nicht machtlos sein. Und das kann man<br />
ebenfalls von ihm lernen: Was einen Menschen<br />
dazu bringt, in dieser aussichtslosen<br />
Lage zu kämpfen.<br />
Die Fraktion der FDP lässt sich in drei<br />
Gruppen einteilen. Da ist das hintere Drittel.<br />
Diese Abgeordneten werden es auf den<br />
Landeslisten der FDP nicht auf einen jener<br />
vorderen Plätze schaffen, die ins Parlament<br />
führen würden. Sie sind raus. Denn<br />
die Listen sind im gemischten deutschen<br />
Wahlrecht für die Liberalen entscheidend.<br />
Direktmandate in den Wahlkreisen holen<br />
sie eh nie. Die Listen wählen die Delegierten<br />
in den Landesverbänden. Auf die vorderen<br />
Plätze kommen die Mächtigen, Minister,<br />
Staatssekretäre, Landesvorsitzende,<br />
Generalsekretäre, Bezirkschefs. Das ist das<br />
zweite Drittel der Fraktion: Wenn es die<br />
FDP schafft, schaffen sie es auch. Dann<br />
gibt es noch das Drittel dazwischen, es<br />
sind Abgeordnete, die sich eine winzige<br />
Chance ausrechnen. Ihre Partei müsste<br />
sensationelle 7,8 Prozent erreichen, und<br />
sie müssten sich irgendwie einen vorderen<br />
Platz auf der Landesliste erkämpfen, gleich<br />
hinter den Mächtigen, dann wären sie vielleicht<br />
doch drin.<br />
Um diese Chance kämpft Jimmy<br />
Schulz.<br />
Deshalb fährt er am Wochenende<br />
quer durch Bayern auf Parteiversammlungen,<br />
drückt die Halsschmerzen mit Pastillen<br />
weg, schüttelt Hände, legt im Foyer<br />
gelbe Feuerzeuge mit seinem Namen aus,<br />
erklärt den Parteifreunden die Piraten, das<br />
Urheberrecht oder die neue Beteiligungssoftware<br />
der Liberalen. Er telefoniert rum,<br />
verhandelt mit Kreisvorständen, isst mit ihnen<br />
Hirschgulasch, statt den Samstagabend<br />
bei seiner Familie zu sein. Er wirkt nie unglücklich<br />
dabei. Selbst in Berlin, wenn er<br />
seine Zeit in Termine zerhackt, hat dieser<br />
Mann einen gelösten, zufriedenen Zug um<br />
die Augen. Er lebt ja seinen Traum, er will<br />
auf keinen Fall aufwachen. Man muss sich<br />
seine Geschichte anschauen, um zu verstehen<br />
warum.<br />
Jimmy Schulz wächst in Ottobrunn im<br />
Münchner Speckgürtel auf. Der Vater arbeitet<br />
an der Bundeswehruniversität, die<br />
Mutter ist Ärztin. In der siebten Klasse<br />
wird am Gymnasium Informatik angeboten.<br />
Die Aufgaben faszinieren ihn, er kann<br />
aber nur auf Papier daran arbeiten, Anfang<br />
der Achtziger hat niemand einen Rechner<br />
Foto: Antje Berghäuser<br />
46 <strong>Cicero</strong> 11.2012