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Cicero Hitlers letzte Bombe (Vorschau)

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| S a l o n<br />

„Nicht wegjodeln lassen“<br />

Als Komponistin muss sich Olga Neuwirth immer wieder in einer männlich dominierten Kunstsparte behaupten<br />

von irene bazinger<br />

W<br />

ohl kaum jemand findet es ungewöhnlich,<br />

wenn eine Frau von<br />

Berufs wegen singt oder Klavier<br />

spielt. Aber wenn sie zu komponieren beginnt,<br />

wird es meistens schwierig. Denn<br />

Musik, sagt Olga Neuwirth, ist eigentlich<br />

immer noch eine Männerdomäne: „Frauen<br />

können reproduzierende Künstler sein,<br />

doch sobald sie sich das quasi väterliche<br />

Prinzip aneignen und selbst etwas erschaffen<br />

wollen, kriegen sie ernsthafte Probleme.“<br />

Die Österreicherin weiß nur zu gut,<br />

wovon sie spricht. Bereits am Anfang ihres<br />

Studiums in Wien hat sie sich für elektronische<br />

Musik interessiert und später auch<br />

am renommierten Pariser Forschungsinstitut<br />

für Akustik/Musik „Ircam“ gearbeitet.<br />

Begeistert von den Möglichkeiten der<br />

modernen Klangmaschinen, schrieb sie<br />

Werke mit komplizierter Live-Elektronik –<br />

und musste feststellen, dass sie sich deswegen<br />

häufig vor Konzertveranstaltern und<br />

Intendanten rechtfertigen musste. Was bei<br />

einem komponierenden Mann als künstlerische<br />

Setzung akzeptiert wird, hat sie erkannt,<br />

wird nicht direkt auf eine Frau übertragen.<br />

Inzwischen beschränkt sich Olga<br />

Neuwirth „eh schon brav“ lieber auf vorproduzierte<br />

Samples und sonstige Zuspielungen.<br />

Zwischendurch musste sie eine<br />

längere Schaffenspause einlegen, weil sie<br />

einfach nicht mehr konnte. Ob sie manchmal<br />

daran dachte, zu kapitulieren und mit<br />

dem Komponieren aufzuhören? „Oh, öfter!<br />

Aber ich wollte mich nicht unterkriegen<br />

lassen wie viele meiner Kolleginnen,<br />

die den Druck nicht aushielten. Traurigerweise<br />

gibt es viele Frauen, die plötzlich verschwunden<br />

sind, selbst wenn sie noch so<br />

begabt waren.“<br />

Die kosmopolitische Olga Neuwirth,<br />

1968 in Graz geboren, ist bei aller schmalen<br />

Mädchenhaftigkeit eine starke Persönlichkeit.<br />

Trotz ihrer Jahre in New York, San<br />

Francisco, Paris, Berlin und Venedig hört<br />

man ihr die österreichische Herkunft an,<br />

wenn sie auf ihre weiche, melodische Art<br />

erzählt. Zum Beispiel davon, dass sie als<br />

Tochter des Jazzpianisten Harry Neuwirth<br />

ursprünglich „ein weiblicher Miles Davis<br />

mit roter Trompete“ werden wollte. Doch<br />

bei einem Autounfall erlitt sie schwere<br />

Kieferverletzungen, die alle Trompetenpläne<br />

unmöglich machten. Deshalb beschloss<br />

Olga Neuwirth, Komponistin zu<br />

werden – und sich dabei mindestens so<br />

frei, kühn und zeitgenössisch auszudrücken<br />

wie „The Man with the Horn“. Heute<br />

zählt sie zu den bedeutendsten Komponisten<br />

der jüngeren Generation. Ihre Vokalund<br />

Instrumentalwerke werden weltweit<br />

aufgeführt, ihre Musiktheaterstücke waren<br />

beim Steirischen Herbst, an der Hamburgischen<br />

Staatsoper oder der English<br />

National Opera zu hören. In tollkühnen<br />

Crossover-Projekten widmete sie sich dem<br />

Pop-Countertenor Klaus Nomi, dem Filmregisseur<br />

David Lynch („Lost Highway“)<br />

oder zeigte in einer filmischen Klanginstallation<br />

auf der Documenta 2007, wie sie<br />

Note um Note aufs Papier schreibt, denn<br />

„ich kann meine Musik nur durch meine eigene<br />

Handschrift wirklich erkennen“.<br />

Aufsehen erregte sie sogar mit nicht<br />

realisierten Projekten, wie 2004 mit der<br />

Oper „Der Fall Hans W.“ über einen wahren<br />

Fall von Kindesmissbrauch. Das Libretto<br />

zu diesem Auftragswerk der Salzburger<br />

Festspiele stammte von ihrer Freundin<br />

Elfriede Jelinek, die – empört über die<br />

Umstände der Absage – mit Oper nichts<br />

mehr zu tun haben wollte. Das hat Olga<br />

Neuwirth nicht verwunden: „Man spricht<br />

immer von der wunderbaren Zusammenarbeit<br />

zwischen Schriftstellern und<br />

Komponisten, wie Hugo von Hofmannsthal<br />

und Richard Strauss. Aber unsere erfreuliche<br />

Zusammenarbeit wurde zerstört!<br />

Warum dürfen nicht zwei Frauen ein kongeniales<br />

Paket bilden?“<br />

In der Berliner Hotellobby, wo wir uns<br />

treffen, weil es von dort nahe zur Komischen<br />

Oper ist, an der Ende September ihre<br />

Oper „American Lulu“ uraufgeführt wurde,<br />

erscheint Olga Neuwirth nicht bloß wegen<br />

der intensiven Proben erschöpft. Sie<br />

musste sich auch gegen den Vorwurf des<br />

Ideenklaus wehren, den der Videokünstler<br />

Stan Douglas kurz vor der Premiere gegen<br />

sie erhoben hatte, der jedoch vom Landgericht<br />

Berlin eindeutig abgewiesen wurde.<br />

Auf die Frage, wie man das schafft, fantasievoll<br />

und kreativ zu bleiben und trotzdem<br />

gegen das ganze, nicht eben frauenfreundliche<br />

Musikbetriebssystem zu kämpfen, antwortet<br />

sie gefasst: „Da muss man sehr stark<br />

sein und wissen, was man wirklich will, um<br />

sich nicht irritieren, nicht zerbrechen zu<br />

lassen.“ So ist überdies das Verhältnis zu ihrem<br />

Heimatland Österreich, das sich gern<br />

mit Künstlern schmückt, ohne sie tatsächlich<br />

zu unterstützen, nicht ungetrübt, obwohl<br />

sie 2010 den Großen Staatspreis erhielt<br />

– als erste Frau in der Sparte Musik.<br />

Beim Festival „Wien modern“ ist sie im<br />

November mit einem eigenen Schwerpunkt<br />

vertreten, der einen Querschnitt durch ihr<br />

Oeuvre präsentiert. Eine Genugtuung für<br />

Olga Neuwirth, die der einstige FPÖ-Obmann<br />

Jörg Haider auch gemeint hatte, als<br />

er die Neue Musik als „Weltkatzenmusik“<br />

verunglimpfte. Auf einer Großdemonstration<br />

im Jahr 2000 wehrte sie sich dann mit<br />

den für sie bis heute gültigen Worten: „Ich<br />

weiß, dass man mit Kunst nichts ändern<br />

kann, aber Kunst kann Erstarrtes aufzeigen<br />

und den desolaten Zustand von Gesellschaft<br />

und Politik sichtbar machen. Ich will<br />

mich nicht wegjodeln lassen.“<br />

Irene Bazinger<br />

ist Theaterkritikerin und<br />

veröffentlichte Bücher über die<br />

Regisseurinnen Andrea Breth<br />

und Ruth Berghaus<br />

Fotos: Markus Wächter, Max Lautenschläger (Autorin)<br />

120 <strong>Cicero</strong> 11.2012

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