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| B e r l i n e r R e p u b l i k<br />
zu Hause. Deshalb nimmt er an den Nachmittagen<br />
die S-Bahn nach München, im<br />
Kaufhaus am Marienplatz fährt er in die<br />
Elektronikabteilung hoch und stellt sich in<br />
die Schlange. Dann hat er immer zehn Minuten<br />
am Vorführcomputer, einem Commodore<br />
64. Er wünscht sich ein eigenes<br />
Gerät, aber 1000 Mark, das wollen seine<br />
Eltern nicht ausgeben. Mit 16 bekommt er<br />
einen C16 von Aldi, auf dem er versucht,<br />
Matheaufgaben zu lösen. Für den Englischunterricht<br />
programmiert er einen Vokabeltrainer.<br />
Er sagt, dass er eigentlich faul<br />
gewesen ist, die Siebte musste er wiederholen,<br />
die Elfte auch. Aber Neugier treibt ihn.<br />
Technik kann ein grenzenloses Spiel sein, er<br />
verliert sich darin.<br />
Er hat die Entstehung der Netzwelt<br />
von Grund auf erfahren, er hat das Neue<br />
ausgekostet, durchdacht, sogar mitentwickelt.<br />
Eigentlich ideal für so eine FDP, die<br />
sich behaupten muss in dieser Zeit mit den<br />
neuen Themen, neuen Mechanismen und<br />
neuen Mitbewerbern. Er hat ein Gefühl<br />
für Momente, 2010 hat er die erste Bundestagsrede<br />
mit Notizen vom iPad gehalten.<br />
Als er noch Schüler ist, kauft sich<br />
seine Mutter einen PC für ihre Arztpraxis.<br />
Wenn der Rechner hochfährt, blinkt nur<br />
ein Pfeil, die passende Software wäre sehr<br />
teuer. Jimmy hilft. Datenverwaltung, Textverarbeitung,<br />
Druckertreiber, er macht das<br />
gern. Seine Mutter ist so froh, dass er sich<br />
einen Computer aussuchen darf. Er freut<br />
sich heute noch, wenn er darüber spricht,<br />
wie er ein günstiges Gerät kaufen wollte.<br />
Und die Mutter sagte: „Welchen hättest du<br />
wirklich gern?“ Es wird ein Amiga 2000.<br />
Mit Farbmonitor! Mit Maus!<br />
Im Frühjahr 1989, die Familie macht<br />
Urlaub in Kitzbühel, geht eine Lawine ab.<br />
Die Mutter stirbt.<br />
Jimmy Schulz sagt, dass ihn das verändert<br />
habe. Er musste sich um seine kleine<br />
Schwester kümmern. Er musste das Abitur<br />
schaffen. Im Sommer 1989 unternahm<br />
er noch etwas: Er trat den Republikanern<br />
bei, den Rechtspopulisten. Er sagt, das sei<br />
die einzige Partei gewesen, die die deutsche<br />
Einheit damals gewollt hätte, und seine<br />
Mutter war einst aus der DDR geflüchtet.<br />
Die Ausländerhetze habe er erst langsam registriert,<br />
ein Jahr später trat er aus.<br />
Er bestand das Abi. Danach ging er zu<br />
den Gebirgsjägern, fuhr Snowboardrennen<br />
mit, begann ein Politikstudium, jobbte bei<br />
einer Computerzeitschrift. Das Jonglieren<br />
mit vielen Dingen liegt ihm, aber wenn<br />
Jimmy Schulz erzählt, hat man den Eindruck,<br />
dass nach dem Tod der Mutter zu<br />
seiner wuseligen Begeisterungsfähigkeit der<br />
Wille gekommen ist, die Dinge durchzuziehen.<br />
Als wollte er sich die Kontrolle<br />
über das Leben wieder erkämpfen. Vielleicht<br />
ist das ja so: Dass Kämpfer in der<br />
Politik ein existenzielles Erlebnis durchgemacht<br />
haben.<br />
Noch während des Studiums hat er mit<br />
Freunden eine Firma gegründet. CyberSolutions,<br />
cys.de, sie haben alles angeboten,<br />
Seine<br />
Internetfirma<br />
machte ihn<br />
noch als<br />
Student zum<br />
Millionär<br />
was mit dem entstehenden Netzwerk zusammenhing,<br />
das heute Internet heißt. Einige<br />
Kunden hatten ihre Mailadresse bei<br />
CyberSolutions, um modern auszuschauen,<br />
und die Mail faxten Jimmy und seine Leute<br />
ihnen dann zu. Sie entwickelten ein Analysetool<br />
namens Big Brother, das den Datenfluss<br />
beobachtete, sodass man Leistungen<br />
abrechnen konnte. Da ging es richtig<br />
los: Große Kunden meldeten sich, er arbeitete<br />
100 Stunden die Woche, das Geschäft<br />
boomte. Investoren kauften sich<br />
die Firma und gliederten sie in ein größeres<br />
Unternehmen namens Telesens ein.<br />
Jimmy Schulz blieb Geschäftsführer und<br />
bekam Anteile. Die Firma wuchs, sie zogen<br />
in neue Räume. Börsengang 2000, Party in<br />
Köln, gleichzeitig Studienabschluss, Party<br />
in München, die Aktie zwischen 33 und<br />
38 Euro, Party auf der Cebit, Millionär, die<br />
Aktie über 60 Euro. Dann ging es abwärts,<br />
die Investoren sparten, sie drängten ihn aus<br />
der Firma. Seine Anteile durfte er erst verkaufen,<br />
als er mehrere Millionen Euro verloren<br />
hatte. Die Telesens ging pleite.<br />
Nach dem Ausstieg aus der Firma hat<br />
er erst einmal durchgeatmet. Er hatte noch<br />
genug Geld, auch wenn er seine Firma verloren<br />
hatte. Er kümmerte sich um seinen<br />
Sohn und nahm Beratungsaufträge an.<br />
Und er interessierte sich für die FDP, die<br />
damals in Bayern ein außerparlamentarischer<br />
Winzling war. Er setzte auf sie, besuchte<br />
Parteistammtische, es ging oft um<br />
Otto Schilys Überwachungsgesetze. 2002<br />
zog er in den Gemeinderat von Hohenbrunn<br />
ein, kam in den Bezirksvorstand.<br />
Dann wuchs und wuchs die FDP wie vorher<br />
die Internetblase.<br />
Und Jimmy Schulz wurde Abgeordneter<br />
des Deutschen Bundestags. Ein Traum,<br />
fast ein Rausch. In Berlin rast er durch<br />
die Verbindungsgänge zwischen den Parlamentsgebäuden<br />
wie eine kräftige kleine<br />
Lok. Unter der Wilhelmstraße durch, unter<br />
der Dorotheenstraße, iPhone am Gürtel,<br />
Cola light in der Hand, Laptoptasche<br />
über der Schulter. Zurück ins Büro,<br />
er lässt sich in den Drehstuhl fallen, sein<br />
Blick flirrt durch den Raum, zum iPhone,<br />
zum Computer, zum Laptop, zum Telefon.<br />
Die Mitarbeiterin schaut rein, ob sie was<br />
von Feinkost Lindner holen soll, du musst<br />
was essen, Jimmy. Nur 150 Gramm von<br />
den Flusskrebsen, wir machen Trennkost,<br />
nein 200 Gramm. Helmut Markwort ruft<br />
noch an, und nachher muss er zur Vodafone<br />
Night, rauskriegen, wie er verhindert,<br />
dass in die internationalen Internetverträge<br />
in Dubai Quatsch reinkommt. Ein bisschen<br />
wichtigtuerisch wirkt er schon, aber<br />
die Blogger nehmen ihn ernst und die arrivierten<br />
Politiker holen sich Rat.<br />
Aber was zählt das in Bayern?<br />
Am 17. November stellt dort die FDP<br />
ihre Liste zusammen. Wenn sie es überhaupt<br />
in den Bundestag schafft, bedeutet<br />
jeder Prozentpunkt ungefähr ein Berlinticket.<br />
Zum Beispiel wären 6 Prozent sechs<br />
sichere Plätze in Bayern. Die Landesvorsitzende<br />
Leutheusser-Schnarrenberger, der<br />
niederbayerische Staatssekretär, der Bezirkschef<br />
Oberbayern, die bayerisch-schwäbische<br />
Generalsekretärin, dann wären mal<br />
die Franken dran, die Jungliberalen hätten<br />
auch einen Kandidaten und den Meierhofer<br />
aus der Oberpfalz, den gibt’s ja a no.<br />
Und den Jimmy.<br />
Georg Löwisch<br />
ist Textchef von <strong>Cicero</strong><br />
Foto: Wolfgang Borrs<br />
48 <strong>Cicero</strong> 11.2012