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Fotos: Linda Ellia<br />
immunisierten uns gegen den Unterricht<br />
einer Generation von Lehrern, die gerade<br />
erfolgreich und zu Recht ihrer Vorgängergeneration<br />
vorgehalten hatten, die Nazizeit<br />
nicht aufgearbeitet zu haben.<br />
Dieses Immunisieren ging weit. Bei einem<br />
Besuch in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers<br />
Buchenwald musste uns<br />
unser Lehrer die Kopfhörer der ersten<br />
Walkmen von den Ohren reißen.<br />
Wir mochten diesen Lehrer. Wir hatten<br />
ihn nicht in Geschichte, sondern in<br />
Deutsch. Ein Lehrer aus Leidenschaft, der<br />
uns mit seinem Elan antrieb. Er war für<br />
uns gerade deshalb eine Autorität, weil er<br />
nicht autoritär auftrat. Nie vorher und nie<br />
nachher habe ich ihn so wütend gesehen<br />
wie in diesem Moment auf dem Gelände<br />
von Buchenwald.<br />
Ich habe mich damals geschämt. Wie<br />
benommen saß ich nach der Standpauke<br />
auf einer Mauer, und es pochte in den Ohren.<br />
Ich schäme mich bis heute.<br />
Die sture Ignoranz der Vätergeneration<br />
und die geschichtslose Ignoranz der<br />
Schülergeneration brachten die 68er-Lehrer<br />
im Prinzip dazu, das Richtige zu tun:<br />
Sie ließen nicht locker. Den einen gegenüber<br />
ebenso wenig wie den anderen. Aber<br />
diese Art von Pädagogik hatte einen Nachteil.<br />
Sie tabuisierte, sie verstellte einen direkten<br />
Blick auf die Sache: Wer war dieser<br />
Mann? Wie konnten ihm so viele erliegen?<br />
Und: Ist es gut, wenn man Hitler nur als<br />
Phänomen und nicht als Person betrachten<br />
kann, zum Beispiel in seiner Autobiografie?<br />
2. Zurück zum Lehrer<br />
Der Kontakt zu diesem Lehrer ist nie abgerissen,<br />
und aus dem Lehrer-Schüler-Verhältnis<br />
ist über die Jahre ein freundschaftliches<br />
geworden.<br />
Er sagt, natürlich wäre es besser gewesen,<br />
„Mein Kampf“ längst freizugeben<br />
in Deutschland. Allein schon, damit alle<br />
hätten erkennen können, wie unlesbar das<br />
Buch im Grunde ist.<br />
Er ist Deutsch- und Geschichtslehrer,<br />
immer noch mit Leidenschaft. Gerade hat<br />
er seine Schüler begeistert für ein gemeinsames<br />
Projekt mit Schülern der tschechischen<br />
Stadt Iglau, zwischen Brünn und Prag gelegen.<br />
Die Schüler arbeiten grenzübergreifend<br />
an einem großen Buch zu dieser Stadt.<br />
Sie war vor 1945 vorwiegend von Deutschen<br />
bewohnt, in Iglau brachen sich nationalistische<br />
Aggressionen Bahn. „Hitler<br />
und seine Nazis nützten diese Spannungen<br />
für ihre völkerverachtenden Pläne: Statt ihr<br />
Schicksal selbst zu bestimmen, wurden die<br />
Iglauer letztlich von Tätern zu Opfern des<br />
nationalsozialistischen Herrschaftswahns“,<br />
heißt es in der Ankündigung des Buches.<br />
Er sagt, es erfordere immer noch sehr<br />
viel Fingerspitzengefühl, in dieser Angelegenheit<br />
zu recherchieren.<br />
Von „Mein Kampf“ habe er einmal zwei<br />
Ausgaben im Bücherschrank gehabt. Eine<br />
einbändige und eine zweibändige, die sein<br />
Schwiegervater seinerzeit von der Bäckerinnung<br />
zu irgendeinem Anlass bekam.<br />
Eine der beiden Ausgaben fehlt inzwischen.<br />
Eine Schülerin hatte meinen Lehrer<br />
vor Jahren einmal danach gefragt und<br />
sie wohl vergessen zurückzugeben. Ein<br />
schlechtes Gefühl stellt sich ein, als er das<br />
sagt: Ich hätte einfach nach dem Buch fragen<br />
können. Damals habe ich mich nicht<br />
getraut. Oder ich war zu gleichgültig.<br />
3. Churchill und Hanfstaengl<br />
Das Interesse an weiterer Beschäftigung<br />
mit der Nazizeit und Hitler war nach der<br />
Schulzeit für einige Zeit erloschen. Aber<br />
es wurde vor Jahren wieder geweckt, auf<br />
Seite 83 des ersten Bandes von Winston<br />
Churchills Memoiren. Der britische Premier<br />
beschreibt dort, wie er im Sommer<br />
1932 im Münchner Hotel Regina auf einen<br />
„Gentleman“ traf, eloquent und klug. Der<br />
Mann stellte sich als ein Herr Hanfstaengl<br />
vor, sprach in den wärmsten Worten von<br />
Hitler und versuchte, Churchill während<br />
des Abendessens in brillantem Englisch zu<br />
einem Treffen mit Hitler zu überreden.<br />
Er habe zu dieser Zeit keine Vorurteile<br />
gegen Hitler gehabt, notiert Churchill in<br />
seinen Memoiren, im Gegenteil: Er bewundere<br />
Männer, die in schlechten Zeiten<br />
für ihr Land einstünden – auch wenn<br />
er selbst auf der anderen Seite stehe.<br />
Hitler bewundern? Churchill, <strong>Hitlers</strong><br />
erbitterter Kriegsgegner, bewunderte einen<br />
Massenmörder? Es geht so weiter. Auf<br />
Seite 260 schreibt Churchill über <strong>Hitlers</strong><br />
„Genius“, der ihn beim Überfall auf Österreich<br />
von falschen Ratschlägen seiner<br />
Generäle abhielt. <strong>Hitlers</strong> Genius? Churchill<br />
bescheinigt dem geisteskranken Hitler<br />
Geisteskraft?<br />
Von Churchill weiter zu Ernst Hanfstaengls<br />
Memoiren. Der Mann war Auslandspressechef<br />
der NSDAP. Sicher<br />
keine glasklare Quelle, aus der nur<br />
11.2012 <strong>Cicero</strong> 35