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Cicero Hitlers letzte Bombe (Vorschau)

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T i t e l<br />

Bertolt Brecht setzte sich in „Arturo Ui“ (hier verkörpert von<br />

Martin Wuttke) mit <strong>Hitlers</strong> Machtergreifung auseinander<br />

Christoph Schlingensief (li.) mit Udo Kier bei der Premiere<br />

seiner Produktion „100 Jahre Adolf Hitler“<br />

Nicht er oder „Mein Kampf“ waren Ursache<br />

und Attraktivität des Nationalsozialismus,<br />

sondern eine spezifisch deutsche<br />

Mischung aus Niederlage im Ersten Weltkrieg,<br />

Demütigung und Zukunftsangst,<br />

Militarismus und Inflation, Dolchstoßlegende<br />

und Antisemitismus, Misstrauen gegen<br />

die junge Demokratie und Sehnsucht<br />

nach dem starken Mann.<br />

Hitler und seine „Schergen“ werden zu<br />

Projektionsfiguren der deutschen Schuld:<br />

Indem sie für tabu erklärt, dämonisch aufgeladen<br />

und in die Wüste geschickt werden,<br />

entlastet sich das Kollektiv. Hitler zu dämonisieren,<br />

heißt die Deutschen zu entschuldigen<br />

und die Lüge zu perpetuieren,<br />

sie seien eben nur verführt worden, sie hätten<br />

sich den Händen des Magiers nicht entwinden<br />

können. Aber die Verbrechen des<br />

Nationalsozialismus sind deutsche Verbrechen,<br />

begangen, geduldet und ermöglicht<br />

von Deutschen und Österreichern, die aktiv<br />

teilnahmen, wegsahen oder profitierten<br />

– nicht von Adolf Hitler und seinen<br />

„Nazi-Schergen“. Wer „Mein Kampf“ weiterhin<br />

wegsperren will, der leistet einer verharmlosenden<br />

Erklärung Vorschub, ob freiwillig<br />

oder nicht. „Mein Kampf“ gehört zu<br />

uns und zu unserer Geschichte, genauso<br />

wie die Hunnenrede Wilhelms II und – in<br />

einem Europa, in dem Nationalstaaten obsolet<br />

werden – die anderen Verbrechen der<br />

Europäer, die durch eine Monopolisierung<br />

des Holocaust‐Gedenkens oft ausgeblendet<br />

werden. In Belgien stehen beispielsweise<br />

heute noch Denkmäler für König Leopold<br />

II, der Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

für seinen persönlichen Profit im Kongo,<br />

seiner persönlichen Kolonie, zehn Millionen<br />

Afrikaner verhungern und bestialisch<br />

ermorden ließ.<br />

Hier klingeln Alarmglocken. Der von<br />

Ernst Nolte losgetretene Historikerstreit<br />

und die larmoyante Stimme von Martin<br />

Walser werden laut. Die Eingliederung der<br />

nationalsozialistischen Verbrechen in einen<br />

weiteren historischen Rahmen riecht nach<br />

Aufrechnung, nach Relativierung. Dabei<br />

sind der Holocaust und seine Einzigartigkeit<br />

ein Grundstein des bundesrepublikanischen<br />

Selbstverständnisses.<br />

Historische Narrative folgen gegenwärtigen<br />

Bedürfnissen. Die Massenmorde der<br />

Nazis zu einem stringent erzählbaren „Holocaust“<br />

umzudeuten, war eine US-amerikanische<br />

Interpretation, die viel mit der<br />

Rechtfertigung ihrer Nahostpolitik und<br />

der Ablenkung von eigenen Verbrechen<br />

(an Native Americans, Afroamerikanern,<br />

in Vietnam et cetera) zu tun hatte, wie Peter<br />

Novick in seinem 2000 erschienenen<br />

Buch „The Holocaust and Modern Memory“<br />

argumentierte. Der Holocaust als<br />

mediales Narrativ – von der gleichnamigen<br />

Miniserie bis zum Film „Schindlers Liste“<br />

und den in den Vereinigten Staaten häufigen<br />

Holocaust-Museen – bot eine ideale<br />

Projektionsfläche und tut es heute noch.<br />

Aber diese Projektionsfläche stammt aus<br />

dem Kalten Krieg und aus Machtkämpfen<br />

um die Deutungshoheit der Geschichte<br />

Fotos: Barbara Braun/DRAMA, Gehner/Team Work<br />

26 <strong>Cicero</strong> 11.2012

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