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| S a l o n<br />
Politische Sprechblasen<br />
Der Zeichner Christophe Blain reüssiert mit einem Comic über den ehemaligen französischen Außenminister<br />
von Matthias Heine<br />
A<br />
ls der französische Comiczeichner<br />
Christophe Blain vor zwei<br />
Jahren den ersten Teil eines realistisch-satirischen<br />
Comicromans über die<br />
Vorgänge hinter den Kulissen des Pariser<br />
Außenministeriums am „Quai d’Orsay“<br />
veröffentlichte, war das ein spektakulärer<br />
Wechsel des Genres – vergleichbar dem<br />
Neuanfang, den Joanne K. Rowling nach<br />
acht „Harry Potter“-Romanen mit ihrem<br />
ersten sozialkritischen Gesellschaftsroman<br />
wagte, aber künstlerisch erfolgreicher.<br />
Denn während Rowling von den Kritikern<br />
zerrissen wurde, feierte man „Quai<br />
d’Orsay“, das jetzt im Verlag Reprodukt<br />
auf Deutsch erschienen ist, in Frankreich<br />
als Offenbarung, als einen Meilenstein der<br />
satirischen Darstellung großer Politik.<br />
Zuvor hatte Blain vor allem im Abenteuergenre<br />
Aufsehen erregt. Seine bekanntesten<br />
Schöpfungen sind das mehrteilige<br />
Seeräuberepos „Isaak der Pirat“ und die komische<br />
Cowboy-Serie „Gus“. In die Sphäre<br />
der Politik katapultierte den 42‐jährigen<br />
Blain die Begegnung mit Abel Lanzac.<br />
Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich<br />
ein Pariser Intellektueller, der als junger<br />
Mann Anfang der Nullerjahre zum Berater<br />
und Redenschreiber des Außenministers<br />
Dominique de Villepin berufen wurde.<br />
„Quai d’Orsay“ beruht auf den Erlebnissen<br />
Lanzacs (in der Graphic Novel heißt<br />
er Arthur Vlaminck) in jener bewegten<br />
Zeit, als Villepin bestrebt war, den Krieg<br />
der USA gegen den Irak zu verhindern. In<br />
Frankreich ist es ganz selbstverständlich,<br />
dass in Comics politische Vorgänge dargestellt<br />
werden: „Quai d’Orsay“ stand auf<br />
den Bestsellerlisten direkt neben „Sarkozy<br />
et les Riches“, in dem Nicolas Sarkozy als<br />
Schoßhündchen der französischen Superreichen<br />
dargestellt wird.<br />
Der Außenminister heißt im Comic<br />
Alexandre Taillard de Vorms: „Wir haben<br />
die Figur nicht ,Dominique de Villepin‘ genannt,<br />
weil es uns darum ging, eine gewisse<br />
künstlerische Freiheit zu bewahren“,<br />
berichtet Blain. „Aber alles Erzählte ist<br />
wahr, mit der kleinen Einschränkung, dass<br />
es in Wirklichkeit viel mehr Berater mit<br />
viel komplexeren Verzweigungen im Amt<br />
gibt. Einige Figuren sind also die Synthese<br />
aus mehreren real existierenden Personen.“<br />
Nur die Person des Ministers selbst und<br />
der Beauftragte für den Nahen Osten seien<br />
„chemisch rein“.<br />
Das Storygerüst, das Blain normalerweise<br />
selbst schreibt, verfasste er diesmal<br />
zusammen mit Abel Lanzac. Der holte sich<br />
die Erlaubnis seines ehemaligen Arbeitgebers:<br />
„Villepin sagte nur: ,Macht, was ihr<br />
wollt, ich bin nicht so leicht kaputt zu kriegen‘“,<br />
erzählt Blain. Mittlerweile signiert<br />
Villepin die „Quai d’Orsay“-Bände sogar,<br />
und „manchmal schreibt er Widmungen<br />
in das Buch“, hat Blain erfahren. Dabei<br />
wird Alexandre Taillard de Vorms in dem<br />
Comic keineswegs ein Denkmal errichtet:<br />
Der Minister ist als ein sprunghafter, von<br />
Eingebungen getriebener, intellektueller<br />
Blender dargestellt, der mit Lektürefundstücken<br />
um sich wirft. Aber eben auch als<br />
ein faszinierender Charismatiker mit großem<br />
persönlichen Mut. Einmal bringt er<br />
in Afrika einen wütenden Mob dazu, den<br />
Weg zum Flughafen frei zu geben, indem er<br />
sich direkt unter die Leute begibt und mit<br />
ihnen redet – während seine Bodyguards<br />
nervös schwitzen.<br />
Zum Comiczeichnen kam Christophe Blain<br />
nach einem Kunststudium in Cherbourg,<br />
als er Ende der neunziger Jahre in Paris der<br />
Gruppe um die Zeichner Lewis Trondheim,<br />
Joann Sfar, David B. und Emile Bravo begegnete.<br />
An der Fantasy-Parodie „Donjon“<br />
arbeitete er gemeinsam mit Trondheim<br />
und Sfar. Mit der kafkaesken Geschichte<br />
„Das Getriebe“ über drei seekranke Matrosen<br />
auf einem Schlachtschiff verarbeitete<br />
er seine eigene Militärzeit auf der<br />
Fregatte „Tourville“. 2002 bekam er den<br />
großen Preis des Festivals in Angoulême<br />
für den ersten Band von „Isaak der Pirat“.<br />
Spätestens damit war er als einer der Erneuerer<br />
der französischen „Bandes dessinées“<br />
etabliert.<br />
„Quai d’Orsay“ ist Blains größter kommerzieller<br />
Erfolg geworden. Die beiden<br />
Bände verkauften sich in Frankreich mehrere<br />
100 000 Mal. Kenner des dortigen Literaturbetriebs<br />
erklären sich das nicht nur<br />
mit der Qualität des Werkes, sondern auch<br />
mit der Seelenlage der Nation: In der Endphase<br />
der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys<br />
habe es eine nostalgische Sehnsucht<br />
nach nobleren Politikern gegeben. Bei allem<br />
Spott, den Blain und Lanzac über den<br />
Minister ausgießen, sei doch auch dessen<br />
Kampf vor der Uno gegen den Irakkrieg<br />
gewürdigt worden. Sarkozy selbst kommt<br />
im Buch zwar nicht vor, obwohl er als Innenminister<br />
ja Villepins Kabinettskollege<br />
war. Dafür hat der deutsche Außenminister<br />
Joschka Fischer einen kurzen Auftritt<br />
als Redner vor der Uno-Vollversammlung,<br />
und Italiens Ministerpräsident wird<br />
ganz lebensgetreu als Satyr gezeichnet: „Es<br />
stimmt tatsächlich, dass er die Frau von<br />
Abel Lanzac im Fahrstuhl angebaggert hat“,<br />
amüsiert sich Blain.<br />
Gemeinsam mit Lanzac arbeitet er<br />
nun an einem Drehbuch für den „Quai<br />
d’Orsay“-Film, den Bertrand Tavernier<br />
drehen will. Danach planen die beiden<br />
möglicherweise eine Art Fortsetzung unter<br />
dem Arbeitstitel „Matignon“ – benannt<br />
nach dem Hôtel de Matignon in Paris, wo<br />
Villepin 2005 bis 2007 als Premierminister<br />
amtierte: „Das politische Milieu ist<br />
wie eine Droge. Wer einmal dazugehörte,<br />
hat Schwierigkeiten, sich davon loszumachen“,<br />
kommentiert der Zeichner. Das gilt<br />
für Villepin genauso wie für Blains Partner<br />
Lanzac.<br />
Matthias Heine<br />
ist Redakteur im Feuilleton der<br />
Tageszeitung Die Welt<br />
Fotos: Eric Fougere/VIP Images/Corbis, Privat (Autor)<br />
122 <strong>Cicero</strong> 11.2012