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| S a l o n | B i b l i o t h e k s p o r t r ä t<br />
Links: eine Trionfi-Handschrift von Petrarca aus dem Jahre 1472; das Bild im Regal zeigt sechs toskanische<br />
Dichter, im Vordergrund Dante und Petrarca, eine Kopie nach Giorgio Vasari um 1570<br />
Mitte: Reiner Speck im Vortragsraum seiner Petrarca-Bibliothek im ehemaligen Wohnhaus des Stararchitekten O. M. Ungers<br />
Rechts: Originalmanuskript von Marcel Proust aus „Im Schatten junger Mädchenblüte“, circa 1914<br />
bezeichnet“, sagt Dr. Speck, der abwechselnd lateinisch, englisch<br />
oder französisch zitiert.<br />
Die Bibliothek ist längst nicht mehr alphabetisch geordnet,<br />
vieles sogar in Dreierreihen hintereinander verstaut. „Irgendwann<br />
einmal musste ich die Bücher den Formaten entsprechend sortieren.<br />
Ich weiß, was ich habe, aber ich weiß nicht, wo es steht“,<br />
sagt Speck. Denn jedes Zimmer des großen Hauses ist bis unters<br />
Dach eine eigenständige Bibliothek. So auch im ersten Stock: Hier<br />
reihen sich umfangreiche Konvolute von Erstausgaben und Autografen<br />
von Louis-Ferdinand Céline neben Gottfried Benn, Alfred<br />
Döblin und Oskar Panizza, dessen „Liebeskonzil“ sogar in der<br />
Originalhandschrift – sämtlich geschätzte Schriftstellerärzte, über<br />
die Speck selbst publiziert hat. Neben einem antiken Bett, in dem<br />
er seit seinem vierten Lebensjahr schläft, türmen sich „manchmal<br />
für die Nacht bis zu 50 Bücher, und am nächsten Morgen ist<br />
doch vieles ungelesen“, sagt Speck resigniert, der sich selbst als<br />
„Bücherfresser“ bezeichnet. Ein einziger Raum ist ohne Buch: das<br />
Esszimmer. Dort hängen ausschließlich sieben großformatige Bilder<br />
mit erotischem Sujet von Pierre Klossowski – <strong>letzte</strong>n Endes<br />
doch nur wieder gemalte Literatur, wie der Gastgeber beinahe<br />
entschuldigend bemerkt.<br />
Schon als Schüler habe er davon geträumt, eine Universalbibliothek<br />
zu haben, die es einem erspart, in öffentliche Bibliotheken<br />
zu gehen. In seinem Zimmer in der elterlichen Villa hatte der<br />
Sohn der als Ärzte tätigen Eltern nicht nur drei, vier Regale an der<br />
Wand, sondern bereits raumhohe Bücherschränke. Es sollte ein<br />
Studiolo sein, ein Bücherspeicher mit der Aura einer Bibliothek.<br />
Die Sammelsucht begann später, schleichend. Als 20-Jähriger stöberte<br />
Speck zu Hause in den Regalen und stieß auf Prousts siebenbändige<br />
Ausgabe; dann blätterte er lustlos in „Tage der Freuden“.<br />
Aber erst bei „Tage des Lesens“ war es um ihn geschehen, und er<br />
wurde zum Proust-Leser und -Sammler. Eine Sternstunde sei der<br />
Moment gewesen, in dem er den Avant-Text, das Originalmanuskript<br />
„Sur la Lecture“, in Paris erwerben konnte.<br />
Die Bibliothek mit schätzungsweise 40 000 Büchern sei ein<br />
„Zeugnis der Kontextualität und Komparatistik, denen ich immer<br />
hinterher bin und die lebenslang meine Lesegewohnheiten<br />
bestimmt haben“. Aus Platzmangel „transplantierte“ Speck Anfang<br />
des Jahres die beiden Herzkammern seiner Bibliothek, die<br />
monomanisch aufgebaute „Bibliotheca Proustiana“ und die weltweit<br />
größte private „Bibliotheca Petrarchesca“, in die Casa senza<br />
qualità im nahe gelegenen Stadtteil Müngersdorf. Es handelt sich<br />
hierbei um das „architektonische Manifest“ des Kölner Stararchitekten<br />
O. M. Ungers, das dieser selbst bis zu seinem Tod bewohnte.<br />
Mehr als hundert Proust-Briefe, zahlreiche Manuskripte, private<br />
Dokumente und bibliophile Kostbarkeiten, illuminierte<br />
Handschriften auf Papier und Pergament, Frühdrucke berühmter<br />
Vorbesitzer haben am zweiten Standort der Speck’schen Bibliothek<br />
ein Refugium gefunden. Doch so etwas gehe nicht ohne<br />
Opfer. Das größte sei der Verzicht darauf, jedes Buch immer und<br />
sofort greifbar zu haben. Erworben hat Speck das Haus, auch Sitz<br />
der „Dr. Speck Literaturstiftung“, um darin „die Einmaligkeit meiner<br />
Obsession für die Nachwelt zu konservieren“, gleichzeitig betonend,<br />
diese Diktion entspreche nicht seiner Bescheidenheit. Ironische<br />
Distanz gegenüber sich selbst scheint bei Speck auch immer<br />
auf Erhöhung der Distinktion angelegt.<br />
Überhaupt, wie hat er sein Sammeln finanziert? Der freudige<br />
Verzicht auf die als banal eingeschätzten Begehrlichkeiten habe<br />
sein ganzes Leben geprägt. Der Arztberuf habe ihn zur „inneren<br />
und äußeren Disziplin“ gezwungen. „Ich bin kein Restaurantläufer,<br />
Luxushotels langweilen mich. Ich fahre immer zweiter Klasse<br />
und seit Jahrzehnten mit dem Fahrrad, selbst Hausbesuche habe<br />
ich damit gemacht.“ Und der Jaguar vor der Tür? „Ich habe immer<br />
alte, längst überholte Modelle.“ Der Wagen sei eine fahrende<br />
Hundehütte für Dobermann und Weimaraner. Ein feines, süffisantes<br />
Lächeln umspielt seine Lippen, als Speck sagt: „Meine Lebensformel<br />
ist eben Jaguar und Spiegelei.“ Seine Obsession sei ein<br />
<strong>letzte</strong>s Aufbegehren gegen den Verlust der Aura einer Bibliothek,<br />
die die Summe alles je von ihm Gelesenen ist. Und am Ende sei<br />
er als Sammler – wie von Proust vorgeschlagen – nicht Leser seiner<br />
selbst, sondern wie Petrarca „sein eigener Bibliothekar oder<br />
Museumswärter“.<br />
Claudia Rammin<br />
lebt als freie Journalistin in Hamburg<br />
Fotos: Marcus Gloger, Privat (Autorin)<br />
150 <strong>Cicero</strong> 11.2012