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Cicero Hitlers letzte Bombe (Vorschau)

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| S a l o n | z e i t g e s c h i c h t e<br />

Damit ist der Weg frei für die von<br />

Hitler ersehnte Umgliederung der Wehrmachtspitze.<br />

Das Reichskriegsministerium<br />

wird gestrichen, oberster Befehlshaber der<br />

Wehrmacht (und damit Inhaber nicht nur<br />

der formellen Befehls-, sondern auch der<br />

ungleich wichtigeren Kommandogewalt)<br />

wird der „Führer“ selbst; ihm unterstellt<br />

ist das neu geschaffene „Oberkommando<br />

der Wehrmacht“ unter seinem Chef, dem<br />

General der Artillerie Wilhelm Keitel: niedersächsisches<br />

Großbürgertum, eine „fantasielose<br />

Null“ (Will Berthold), aber genau<br />

der Typ Bürovorsteher, den Hitler für dieses<br />

dienstbare Amt braucht; sein Spitzname<br />

wird bald „Lakaitel“ sein.<br />

Neuer Oberbefehlshaber des Heeres anstelle<br />

des geschassten Fritsch wird Generaloberst<br />

Walther von Brauchitsch. Auch<br />

er preußischer Schwertadel, auch er wie<br />

Blomberg zahnlos und gefügig, unter anderem<br />

durch die 80 000 Reichsmark, die<br />

ihm Hitler zur Abfindung seiner Frau –<br />

noch ein frisch Geschiedener im zweiten<br />

Frühling – hat zukommen lassen. Marine<br />

und Luftwaffe behalten ihre Oberbefehlshaber;<br />

der geschmeidige, notorisch faule<br />

und prunkliebende Göring, dem Hitler<br />

insgeheim nicht einmal eine vernünftige<br />

Truppenvisite zutraut, wird für sein hilfreiches<br />

Zuträgertum mit dem Feldmarschallsrang<br />

belohnt. Außenminister Konstantin<br />

von Neurath, ein alter Deutschnationaler<br />

und Relikt des „Kabinetts der Barone“<br />

von 1932, der auf der Hoßbach-Konferenz<br />

ebenfalls Bedenken geäußert hatte, wird<br />

durch Joachim von Ribbentrop ersetzt,<br />

„<strong>Hitlers</strong> Papagei“, der schon als Botschafter<br />

in London durch den völligen Mangel<br />

an diplomatischer Qualifikation glänzte, es<br />

dafür aber liebt, in seiner Uniform als SS-<br />

Obergruppenführer ehrenhalber im Auswärtigen<br />

Amt herumzustolzieren.<br />

Mit dieser Mannschaft kann Hitler den<br />

Griff nach den Nachbarn seines Reiches<br />

wagen. Noch im März 1938 annektiert er<br />

im Handstreich Österreich; im Oktober<br />

folgt, nach entwürdigendem Gezerre, das<br />

Sudetenland. Die „Hassgegner England<br />

und Frankreich“, denen „ein starker deutscher<br />

Koloss inmitten Europas ein Dorn<br />

im Auge“ hätte sein müssen, geben klein<br />

bei und erfüllen unwissend, was Hitler auf<br />

der Novemberkonferenz – durchaus ohne<br />

seine skeptischen Generäle zu überzeugen<br />

– orakelt hatte: „An sich glaube der<br />

Führer, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

England, voraussichtlich aber auch Frankreich<br />

die Tschechen bereits im Stillen abgeschrieben<br />

und sich damit abgefunden<br />

hätten, dass diese Frage eines Tages durch<br />

Deutschland bereinigt würde. Die Schwierigkeiten<br />

des Empire und die Aussicht, in<br />

Nach der Besprechung ist<br />

Hitler klar, dass er neue<br />

Militärs braucht, um<br />

seine Feldzüge zu führen<br />

einen lang währenden europäischen Krieg<br />

erneut verwickelt zu werden, seien bestimmend<br />

für eine Nichtbeteiligung Englands<br />

an einem Kriege gegen Deutschland. Die<br />

englische Haltung werde gewiss nicht ohne<br />

Einfluss auf die Frankreichs sein.“<br />

Hitler behielt recht: Auf der Münchner<br />

Konferenz im Oktober 1938 wurde<br />

ihm das deutsch besiedelte Sudetenland<br />

zugesprochen; die Annexion der „Rest-<br />

Tschechei“ im folgenden März war zwar<br />

offen vertrags- und versprechungswidrig<br />

(„Deutschland ist gesättigt“) und wurde<br />

von den Westmächten entsprechend missbilligt;<br />

aber auch diesmal griff niemand<br />

ein, und die Standfotos vom deutschen<br />

Einmarsch in Prag überliefern die zornigen<br />

Gesichter tschechischer Passanten, in<br />

deren Hass auf die Invasoren sich Wut<br />

über die Nichtintervention der westlichen<br />

Schutzmächte mischen mochte. Ein <strong>letzte</strong>s<br />

Mal hatte Hitler auf volles Risiko gespielt<br />

und gewonnen.<br />

Doch auch diesmal war er nicht saturiert.<br />

Er wollte weitermarschieren, wenn<br />

auch alles in Scherben fiel, wie schon seine<br />

Pimpfe und Jungmädel auf den Heimabenden<br />

sangen. In der Novemberbesprechung<br />

mimte er, wie später noch oft, noch in den<br />

Tagen des Zusammenbruchs, den souveränen<br />

Spieler am Pokertisch der Macht; der<br />

Nihilist setzte die Maske des Machiavellisten<br />

auf, der zwar nicht die Moral, wohl<br />

aber – wenigstens – die Vernunft als Ratgeberin<br />

achtet; in Wahrheit achtete er weder<br />

die eine noch die andere. Er war der „Revolutionär<br />

des Nihilismus“, als den Hermann<br />

Rauschning, einst nationalsozialistischer<br />

Senatspräsident in Danzig, der<br />

sich früh vom Regime losgesagt hatte, in<br />

einem damals (im Exil) erschienenen Buch<br />

beschrieb.<br />

Und so war der Diktator auch nach<br />

der Annexion Tschechiens, dem er in der<br />

Rechtsform des „Reichsprotektorats Böhmen<br />

und Mähren“ ein brutales Besatzungsregime<br />

oktroyierte, nicht mit seinem Raub<br />

zufrieden. Schon liefen die Planspiele für<br />

den Überfall auf Polen. Doch diesmal<br />

sollten die Garantiemächte England und<br />

Frankreich (das faschistische Italien war<br />

mittlerweile offizieller Verbündeter des<br />

Deutschen Reiches) Wort halten: Am<br />

3. September 1939, zwei Tage nach dem<br />

Überfall, gingen, nach fristlos verstrichenem<br />

Ultimatum, die Kriegserklärungen<br />

beider Mächte in der Reichskanzlei ein.<br />

Bis zuletzt hatte Hitler gehofft, England<br />

würde neutral bleiben; doch diese Illusion<br />

erfüllte sich nicht.<br />

Ihm, dem Nihilisten und „Vollstrecker<br />

des Bösen“ – so nannte ihn Graf Berthold<br />

Stauffenberg, der nach dem Attentatsversuch<br />

auf Hitler vom 20. Juli 1944 seinem<br />

Bruder auf dem Schafott folgte –, dürfte<br />

diese Enttäuschung letztlich gleichgültig<br />

gewesen sein; er hatte nun, was er wollte<br />

und was er auf der Hoßbach-Konferenz,<br />

wenngleich unter taktischen Klauseln verborgen,<br />

als sein eigentliches Ziel skizziert<br />

hatte: den europäischen Krieg, den er mit<br />

dem gleichen fatalen Zielbewusstsein zur<br />

europäischen Katastrophe machen sollte,<br />

vor deren Grausamkeit selbst die Düsternis<br />

von 1648, der Schrecken des Dreißigjährigen<br />

Krieges, verblassen würde.<br />

Konstantin Sakkas<br />

ist freier Autor und Historiker.<br />

Er schreibt Essays und<br />

Reportagen für Presse und<br />

Rundfunk<br />

Fotos: Bundesarchiv, Privat (Autor)<br />

132 <strong>Cicero</strong> 11.2012

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