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| W e l t b ü h n e<br />
Des Sultans Pascha<br />
Türkeis Generalstabschef Necdet Özel könnte die Nato in einen Krieg mit Syrien treiben<br />
von Markus Bernath<br />
S<br />
chultern klopfen, Wangen tätscheln,<br />
im Kampfanzug ein Gläschen<br />
Tee auf dem Dorfplatz trinken.<br />
Necdet Özel, der Mann, der die Nato<br />
und den Westen in einen Krieg mit Syrien<br />
reißen könnte, muss erst noch die Heimatfront<br />
auf Linie bringen. In Akçakale, einem<br />
Grenzstädtchen im Südosten der Türkei,<br />
reißt er den Arm hoch und ballt die Faust.<br />
„Wir haben ihnen eine Antwort verpasst“,<br />
sagt der türkische Armeechef und meint<br />
die Syrer auf der anderen Seite der Grenze.<br />
„Wenn es sein muss, schlagen wir noch härter,<br />
noch schlimmer zu.“ Nur Stunden später<br />
zwingen türkische Kampfjets eine syrische<br />
Passagiermaschine auf dem Flug von<br />
Moskau nach Damaskus zur Landung.<br />
Die Türken aber wollen keinen Krieg<br />
mit den Nachbarn, keine syrischen Flüchtlinge<br />
in Lagern und erst recht keine Artilleriegeschosse,<br />
die im Garten einschlagen.<br />
Sie wollen ihre Soldaten wie früher beim<br />
Paradieren bewundern und keine Generäle<br />
im Gefängnis sehen. Alles scheint ihnen<br />
wie auf den Kopf gestellt, und Necdet Özel<br />
müsste es richten. Doch die Zweifel an diesem<br />
„sehr besonderen Armeechef“, wie ein<br />
türkischer Kolumnist süffisant schrieb, nagen<br />
an der Bevölkerung.<br />
Den Einmarschbefehl nach Syrien hat<br />
die türkische Armee bereits in der Tasche.<br />
Özel, der Vier-Sterne-General, so heißt<br />
es in Ankara, habe die Regierung überzeugt,<br />
dass er mehr Spielraum brauche,<br />
um auf die Grenzverletzungen zu reagieren.<br />
Schwer war das nicht. Außenminister Ahmet<br />
Davutoğlu drängt ohnehin schon auf<br />
eine „Pufferzone“, ein militärisch besetztes<br />
Gebiet möglichst im Norden Syriens, damit<br />
die Armee auch gleich die Kurden dort<br />
unter Kontrolle bekommt. Regierungschef<br />
Tayyip Erdoğan wiederum will keine<br />
Schwäche zeigen. Özel ist sein Armeechef.<br />
Der erste, den sich eine gewählte türkische<br />
Regierung selbst ausgesucht hat.<br />
„Pascha“ nennt er ihn höflich, und<br />
Necdet „Pascha“, Herr über knapp eine<br />
halbe Million Soldaten, lässt kaum eine<br />
Gelegenheit aus, um sich bei Erdoğan zu<br />
revanchieren. Ein freundliches Wort hier,<br />
ein gut gewählter Auftritt dort. Über Politik<br />
redet er nicht, anders als seine Vorgänger<br />
und Kollegen, die nun im Gefängnis<br />
sitzen und denen wegen angeblicher<br />
Putschpläne gegen die konservativ-religiöse<br />
Regierung der Prozess gemacht wird.<br />
„Unser Land gehört uns allen. Unser Land<br />
kommt zuerst“, sagt Özel. Das findet auch<br />
Erdoğan gut.<br />
Seit dem Sommer 2011 steht der 62-Jährige<br />
an der Spitze der türkischen Armee. Die<br />
schlechten Nachrichten kommen seither<br />
in immer kürzeren Abständen: Schlampereien<br />
in Kommandostellen, Nachlässigkeit,<br />
Inkompetenz, die türkische Rekruten und<br />
Zivilisten das Leben kosten. 25 Soldaten<br />
starben zuletzt bei einer Explosion in einem<br />
Munitionslager. Und jetzt droht der<br />
syrische Sumpf.<br />
Als Özel bei einer Trauerfeier für tote<br />
Soldaten die Tränen kommen, fällt die<br />
Presse über ihn her. Der islamische Prediger<br />
Fethullah Gülen, die graue Eminenz der<br />
türkischen Politik, kommt ihm zu Hilfe.<br />
„Auch Mohammed hat geweint“, sagt Gülen.<br />
Es ist ein Zeichen, wie sehr der Armeechef<br />
vom Lager der Konservativen kooptiert<br />
wird.<br />
Dabei ist Necdet Özel, Sohn eines Offiziers<br />
an der Militärakademie in Ankara, in<br />
seiner Laufbahn allen kompromittierenden<br />
Wegmarken glücklich ausgewichen: Er war<br />
zu jung für den Putsch von 1971, zu weit<br />
weg beim nächsten Coup 1980. Özel ist<br />
damals Stabsoffizier im türkisch besetzten<br />
Norden von Zypern. Sein Name fehlt auch<br />
1997, als die Armeeführung den islamistischen<br />
Regierungschef Necmettin Erbakan<br />
aus dem Amt drängt. Dafür spricht er als<br />
Truppenkommandeur in den Kurdengebieten<br />
vom notwendigen „Gleichgewicht zwischen<br />
Sicherheitsbedürfnissen und Menschenrechten“<br />
– ein neuer Ton.<br />
Özel fällt den frommen Männern an<br />
der Macht auf. Er akzeptiert die Regierung<br />
der Zivilisten. Er ist Demokrat aus<br />
Einsicht. Bei der Sitzung des obersten Militärrats<br />
2010, einem Gremium, das jedes<br />
Jahr die Beförderungen der höchsten<br />
Generäle festlegt, sichern Erdoğan und<br />
Staatschef Abdullah Gül Özels Platz auf<br />
den <strong>letzte</strong>n Sprossen der Karriereleiter.<br />
Er wird Kommandeur der Gendarmerie.<br />
Seine Einheiten vereiteln einen Anschlag<br />
auf Erdoğans Konvoi während des Wahlkampfs<br />
im vergangenen Jahr. Einen Gendarmeriekommandanten,<br />
der seine Männer<br />
bei gewalttätigen Protesten während<br />
eines Wahlkampfauftritts des Regierungschefs<br />
zusehen lässt, setzt er ab. So etwas vergisst<br />
Erdoğan nicht. Als im Sommer 2011<br />
Armeechef IŞik Koşaner und die Kommandeure<br />
von Marine, Heer und Luftwaffe aus<br />
Protest gegen die Serie von Verhaftungen<br />
zurücktreten, schlägt Özels Stunde. Er ist<br />
der Einzige, der in der Stabsführung übrig<br />
bleibt. Erdoğan und Gül machen ihn<br />
zum Chef.<br />
Özel, ein Spezialist im Kampf gegen<br />
die PKK, ist einer der wenigen türkischen<br />
Generäle, die nie in Nato-Strukturen gearbeitet<br />
haben oder in den USA ausgebildet<br />
wurden. Zehn Monate lässt Özel sich nach<br />
seiner Ernennung zum Armeechef Zeit,<br />
bis er eine Einladung nach Washington<br />
annimmt. Der General schmeichle der Regierung<br />
und sei überfordert, heißt es jetzt<br />
in vielen Leitartikeln türkischer Zeitungen.<br />
„Das sind freche Bemerkungen“, grummelt<br />
Erdoğan. „In meinen zehn Jahren im Amt<br />
als Ministerpräsident haben wir nie willkürliche<br />
Ernennungen durchgeführt.“ Der<br />
Sultan und sein Pascha sind ein Team.<br />
Markus Bernath<br />
ist Türkei-Korrespondent der<br />
österreichischen Tageszeitung<br />
Der Standard und der Financial<br />
Times Deutschland<br />
Fotos: Picture Alliance/DPA, privat (Autor)<br />
68 <strong>Cicero</strong> 11.2012