Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
das Tabu: <strong>Hitlers</strong> 1924 in dessen Haft in<br />
Landsberg am Lech geschriebene Nazimanifest<br />
darf nicht veröffentlicht werden.<br />
Markus Söder ist 45 Jahre alt. Meine<br />
Generation. Man spricht eine Sprache, hat<br />
einen gemeinsamen Erfahrungshorizont.<br />
Söder sitzt in dem Büro, in dem ihm<br />
seine Beamten vor einem halben Jahr seine<br />
neue Herausforderung erklärten. Wohl<br />
auch das Paradox: Übers Internet oder im<br />
Antiquariat ist „Mein Kampf“ ja erhältlich.<br />
Wird das Buch damit nicht zur Bückware,<br />
die viel reizvoller ist als Tresenware?<br />
Heimlich liest es sich doch viel lustvoller<br />
als offen am Tisch.<br />
Er spricht von einer „Gratwanderung“.<br />
Die Morde des NSU gingen ihm<br />
durch den Kopf, und der Satz eines Demonstranten<br />
im arabischen Raum gegen<br />
die Mohammed-Karikaturen, der sinngemäß<br />
in die Kamera klagte: „Das eine ist<br />
bei euch Meinungsfreiheit und das andere<br />
Antisemitismus.“<br />
Der Satz hallt nach in Söders Kopf. Er<br />
unterschreibt ihn nicht, aber er beschäftigt<br />
ihn.<br />
Verbote kosten etwas. Sie machen eine<br />
freiheitliche Gesellschaft angreifbar.<br />
Der Minister ist groß geworden in einer<br />
Zeit, als die einen „Stoppt Strauß“-Buttons<br />
trugen und er den FJS-Button. Als er als<br />
kleiner Junge einmal zu Hause mit einem<br />
Anstecker von Willy Brandt auftauchte,<br />
gab es vom Vater einen Satz heiße Ohren.<br />
Heute, sagt Söder, lebten wir in einer<br />
unideologischen Gesellschaft. „Eine<br />
Charlotte<br />
Knobloch<br />
will eine<br />
Neuausgabe<br />
der Hetzschrift<br />
verhindern<br />
unideo logische Gesellschaft ist anfälliger<br />
für Extreme.“ Diese Anfälligkeit gebe es<br />
besonders bei jungen Menschen, deshalb<br />
sei eine pädagogisch sinnvolle Aufarbeitung<br />
des Buches gerade für die Schulen so<br />
wichtig. „Wir müssen uns über das Buch<br />
auseinandersetzen. Es muss entmystifiziert<br />
werden.“ Die Gesellschaft habe sich verändert,<br />
der kulturelle Umgang mit Hitler<br />
habe sich verändert. „Allein der Film ‚Der<br />
Untergang‘ …“, denkt Söder laut.<br />
Der Eindruck ist eindeutig. Er denkt<br />
im Grunde genauso. Er sieht das mit der<br />
Bückware auch. Seine politische Funktion<br />
zwingt ihn zu vorsichtigeren Formulierungen.<br />
Aber es treibt ihn um, und es ärgert<br />
ihn, dass andere tun, als ginge sie das alles<br />
nichts an. „Beim Thema ‚Mein Kampf‘ soll<br />
sich auch der Bund äußern und einbringen.<br />
Aber bislang ist da nichts passiert.“ Es sei<br />
„ein historischer Zufall, dass das Urheberrecht<br />
dazu in Bayern liegt. Aber das kann<br />
kein Grund für Berlin sein, sich bei diesem<br />
Thema zu enthalten.“<br />
Israel, sagt Söder beim Abschied noch,<br />
mache Druck. Aber das werde Frau Knobloch<br />
sicher ausführen können.<br />
5. Das Nein<br />
Besuch bei Charlotte Knobloch, der Präsidentin<br />
der Israelitischen Kultusgemeinde<br />
München und Oberbayern. An der Pforte<br />
stehen drei ernst dreinblickende Männer,<br />
zum Teil in Uniform. Termin mit Frau<br />
Knobloch? Einen Moment bitte. Dann<br />
Schleuse, Taschendurchsuchung, den Ausweis<br />
bitte. Ein Zivilist, freundlich, aber<br />
wortkarg, begleitet mich in den vierten<br />
Stock, im Flur zwei bewaffnete Bodyguards.<br />
Charlotte Knobloch saß mit am runden<br />
Tisch in Nürnberg, den Söder nach der<br />
McGee-Sache einberufen hatte. Sie hatte<br />
sich dort damit einverstanden erklärt, dass<br />
der Freistaat eine wissenschaftlich-kritische<br />
Ausgabe in Auftrag gibt.<br />
Es muss etwas passiert sein in der Zwischenzeit.<br />
Denn jetzt sagt sie: „Betrachten<br />
Sie alles, was ich bisher dazu gesagt habe,<br />
als obsolet. Es muss rechtlich geprüft werden,<br />
ob es möglich ist, die Veröffentlichung<br />
über den Straftatbestand der Volksverhetzung<br />
zu verhindern. Ich werde da sicher<br />
nicht lockerlassen.“<br />
Knobloch war vor einigen Wochen in<br />
Israel, zusammen mit Bayerns Ministerpräsident<br />
Horst Seehofer, eine mehrtägige<br />
Reise, hochrangige Gesprächspartner.<br />
Bei allen Terminen hatte sich die Delegation<br />
aus Bayern auf Kritik am Beschneidungsurteil<br />
vorbereitet. Aber es<br />
kam nicht so. Beschneidung? Eure Sache!,<br />
signalisierten die Gastgeber. Aber „Mein<br />
Kampf“ demnächst in deutschen Buchläden?<br />
Niemals!<br />
Anzeige<br />
Informieren &<br />
Akzente setzen<br />
Lothar Fritze<br />
Anatomie des totalitären Denkens<br />
Kommunistische und nationalsozialistische<br />
Weltanschauung im Vergleich<br />
608 Seiten,<br />
Hardcover<br />
ISBN<br />
978-3-7892-8324-6<br />
EUR 58,—<br />
NEU<br />
Warum konnten zwei inhaltlich<br />
so unterschiedliche Ideensysteme<br />
wie das nationalsozialistische und<br />
das marxistische als Herrschaftsideologien<br />
totalitärer Diktaturen<br />
fungieren? Wie konnten sie sich<br />
als tauglich erwiesen, Menschen<br />
zu begeistern, Überzeugte zu<br />
opferträchtigen Handlungen zu<br />
inspirieren und entsprechende<br />
Vorgehensweisen (scheinbar)<br />
moralisch zu rechtfertigen?<br />
www.olzog.de<br />
Marie Katharina Wagner<br />
DIE PIRATEN<br />
Von einem Lebensgefühl<br />
zum Machtfaktor<br />
192 Seiten / geb. mit Schutzumschlag<br />
€ 19,99 (D) / € 18,50 (A) / CHF* 25,90<br />
ISBN 978-3-579-06645-5<br />
Wie politisch sind die »Piraten« wirklich?<br />
Die Autorin hat diese von Beginn<br />
an intensiv beobachtet und begleitet.<br />
Mit ihrer fundierten Analyse geht sie<br />
dem Hype um die Bewegung auf den<br />
Grund und wagt eine Prognose, wohin<br />
der Kurs die Partei und Deutschland<br />
führt.<br />
11.2012 <strong>Cicero</strong> 37<br />
*empf. Verkaufspr.<br />
GÜTERSLOHER<br />
VERLAGSHAUS<br />
www.gtvh.de