Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
| K a p i t a l<br />
Europas Vorstopper<br />
Bieder, aber einflussreich – der Start des ESM gibt EU-Währungskommissar Olli Rehn noch mehr Macht<br />
von Eric Bonse<br />
S<br />
chütteres graues Haar, biedere<br />
Brille von der Stange, ein ausweichender,<br />
unsicherer Blick. Sieht<br />
so etwa Europas erster Finanzminister aus?<br />
Olli Rehn hat so gar nichts von der beißenden<br />
Strenge eines Wolfgang Schäuble,<br />
auch die geschmeidige Art von IWF‐Chefin<br />
Christine Lagarde geht ihm ab. Doch<br />
der EU-Währungskommissar aus der finnischen<br />
Provinz ist schon jetzt einer der<br />
mächtigsten Politiker Europas.<br />
Das gilt erst recht, seitdem der dauerhafte<br />
Europäische Stabilitätsmechanismus<br />
Anfang Oktober seine Arbeit aufgenommen<br />
hat. Denn auf Grundlage der Länderberichte<br />
aus Rehns Generaldirektion<br />
entscheidet der ESM, unter welchen Bedingungen<br />
er seine Mittel an die Krisenländer<br />
vergibt.<br />
Wenn Rehn eine Rede hält, ist ihm<br />
höchste Aufmerksamkeit sicher. Seine<br />
Worte bewegen die Märkte, Reporter verfolgen<br />
ihn auf Schritt und Tritt. Dabei<br />
muss man verdammt aufpassen, wenn man<br />
ihm folgen will. Rehn nuschelt, er räuspert<br />
sich, ganze Sätze bringt er nur stockend<br />
hervor. Klare Botschaften oder gar<br />
Pointen darf man von ihm nicht erwarten,<br />
im Gegenteil.<br />
„Der Kommissar beherrscht die hohe<br />
Kunst der Beruhigung durch Einschläferung“,<br />
sagt der Grünen-Europaabgeordnete<br />
Sven Giegold, Rehns Gegenspieler im<br />
Wirtschaftsausschuss. Er rede nicht nur in<br />
einem ermüdenden Ton, sondern weiche<br />
auch in der Sache immer wieder aus. „Rehn<br />
nimmt jeder politischen Veranstaltung die<br />
Energie“, klagt der Finanzexperte. Doch<br />
genau das ist es, was ihn aus Sicht der Euroretter<br />
zu einer Idealbesetzung in Brüssel<br />
macht.<br />
Denn Krise ist schon genug in Europa.<br />
Gebraucht wird ein Verteidiger – kein<br />
Stürmer, schon gar kein Libero. Und genau<br />
diese Rolle füllt Rehn perfekt aus. Genau<br />
wie früher als Vorstopper im örtlichen<br />
Fußballclub in Mikkeli, seiner Heimat,<br />
kümmert er sich jetzt im Berlaymont, dem<br />
Sitz der EU‐Kommission, darum, dass<br />
nichts anbrennt. Rehn wacht über die Einhaltung<br />
der Defizitkriterien, er kontrolliert<br />
die Umsetzung von Reformauflagen und<br />
warnt, wenn eine Schieflage droht.<br />
Er ist der Buchhalter des Euro und der<br />
Diplomat der Währungsunion. Wenn andere<br />
poltern und drohen, feilt er an den<br />
Zahlen und Fakten. Rehn entscheidet, ob<br />
seine 550 Mitarbeiter in der Generaldirektion<br />
Wirtschaft und Finanzen den Daumen<br />
über Krisenländer heben oder senken.<br />
Wenn er will, verhängt er harte Spardiktate,<br />
wie in Griechenland – oder gewährt<br />
ein Jahr Aufschub, wie zuletzt in Spanien<br />
und Portugal.<br />
Dem promovierten Politologen mit Vorlieben<br />
für „politische Ökonomie, Lesen,<br />
Rock und Jazz“ (Rehn über Rehn) ist dieser<br />
Job wie auf den Leib geschneidert. Bevor<br />
er EU‐Kommissar wurde, diente er<br />
dem finnischen Premier als Berater – und<br />
half, die Bankenkrise des Landes zu lösen.<br />
Als überzeugter Liberaler setzte er auf den<br />
Markt, nicht auf den Staat.<br />
In der Griechenland-Krise sprach sich<br />
Rehn für harte Sparmaßnahmen aus. In<br />
Berlin hörte man dies ebenso gern wie seine<br />
Einschätzung, der Euro lasse sich nicht allein<br />
mit Gemeinschaftsanleihen retten.<br />
Zwar fordert die EU‐Kommission weiter<br />
unverdrossen die Einführung sogenannter<br />
Eurobonds – doch der Währungskommissar<br />
warnt, ohne „genuine Stabilitätskultur“<br />
sei die Krise nicht zu meistern.<br />
Ganz so akribisch, wie er sich gerne<br />
gibt, ist Rehn dann doch nicht. Vor seinem<br />
Job als Währungskommissar war er für<br />
die EU‐Erweiterung zuständig – und holte<br />
die korrupten und wirtschaftlich unterentwickelten<br />
Balkanländer Bulgarien und Rumänien<br />
in die Union. Im Fall des Schuldensünders<br />
Ungarn drückte er beide Augen<br />
zu, um den ungarischen EU‐Vorsitz Anfang<br />
2011 nicht zu stören. Auch Deutschland<br />
und Frankreich hat er geschont. Paris<br />
ließ bis vor kurzem unbehelligt das Budgetdefizit<br />
schleifen. Für Deutschland formulierte<br />
Rehn die neuen EU-Regeln gegen<br />
„wirtschaftliche Ungleichgewichte“ sogar<br />
extra so, dass Deutschland weiter fleißig<br />
in die Defizitländer der Eurozone exportieren<br />
kann, ohne eine amtliche Überprüfung<br />
oder gar Strafen fürchten zu müssen.<br />
Anfang dieses Jahres geriet Rehn kurz<br />
selbst in die Schusslinie: Ein Pressebriefing<br />
in der Sauna der EU-Behörde sorgte<br />
für Wirbel in Brüssel. Denn zum Hintergrundgespräch<br />
im Dampfbad waren nur<br />
Männer eingeladen. „Altherrenschwitze“<br />
nannte das die Süddeutsche, und ein italienischer<br />
Korrespondent fragte nach dem<br />
Dresscode.<br />
Rehn ließ erklären, er treffe Journalisten<br />
„in verschiedenen Kontexten“ und<br />
freue sich über das rege Interesse. Geschadet<br />
hat es ihm nicht. Im Gegenteil: Sein<br />
Name fällt immer wieder, wenn es um Zukunftspläne<br />
wie den ersten Euro-Finanzminister<br />
geht. EU‐Kommissionschef José<br />
Manuel Barroso weist seinem Vertrauten<br />
ständig neue Aufgaben zu, Ratspräsident<br />
Herman Van Rompuy möchte ihm sogar<br />
ein eigenes Budget geben.<br />
Im Europaparlament hat Rehn weniger<br />
Fans. Er sei nicht gewählt und müsse erst<br />
einmal beweisen, dass er es ernst meine mit<br />
der Stabilitätskultur, heißt es. Unter ihm<br />
und seinen Vorgängern seien die Maastricht‐Kriterien<br />
86 Mal gebrochen worden,<br />
kritisiert der Grüne Giegold: „Ich<br />
wünschte mir in der Position eine stärkere<br />
Persönlichkeit.“<br />
Eric Bonse, Weltbürger<br />
und überzeugter Europäer<br />
aus Düsseldorf, beobachtet seit<br />
2004 das Raumschiff Brüssel<br />
als Korrespondent<br />
Fotos: Photoshot, privat (Autor)<br />
92 <strong>Cicero</strong> 11.2012