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F r a u F r i e d F r a g t s i c h …<br />
Illustration: Jan Rieckhoff; Foto: Picture alliance<br />
an und werden dauernd von seinen Biografen<br />
zitiert. Heute hat nicht mal mehr<br />
der Spiegel eine eindeutige Agenda, was<br />
ja vielleicht gar nicht so schlecht ist. Von<br />
„den“ Hamburger Blättern als Gesamtwesen,<br />
gar als politischer Mediendrache, redet<br />
man eigentlich gar nicht mehr – höchstens<br />
sehr weit innerhalb der Branche, und<br />
dann geht es meistens um so Sachen wie<br />
die Nannen-Preis-Jury, die Frauenquote<br />
oder Doppelspitzen.<br />
Kohl, der immer so viel geredet hat,<br />
spricht nicht mehr. Er kann es nicht mehr,<br />
jedenfalls nicht so wie manche anderen Alten<br />
aus jener Zeit, in der man selbst jung<br />
war. Egon Bahr und Erhard Eppler, Heiner<br />
Geißler und Hans-Dietrich Genscher<br />
und natürlich Helmut Schmidt, der ewig<br />
währende Oberleutnant Dr. Staat, von dem<br />
man glauben könnte, er habe noch persönlich<br />
Fürst Bismarck gesehen. Diese Alten<br />
reden und schreiben. Sie haben, mit Ausnahme<br />
Schmidts, ihre damaligen Rollen<br />
längst hundertmal neu interpretiert und<br />
gelten heute nicht nur als weise, sondern<br />
sogar als Weise. Dass mancher von ihnen<br />
früher gehetzt hat oder ein DDR-Appeaser<br />
war, ist eigentlich nur noch von zeitgeschichtlichem<br />
Interesse.<br />
Jedenfalls kann Helmut Kohl sogar ein<br />
Spiegel sein. Ein Spiegel, in den man blickt<br />
und feststellt, wie lange vieles schon her ist,<br />
von dem man heute eigentlich gerne erzählt.<br />
Man erzählt heute gerne davon, weil<br />
man älter wird.<br />
Menschen, die älter werden, neigen<br />
stärker dazu zurückzuschauen. Das ist einerseits<br />
banal, weil sie schlichtweg mehr<br />
erlebt haben als Jüngere. Andererseits fragt<br />
man sich, was wohl noch kommen kann,<br />
da man doch jene Jahre hinter sich hat, in<br />
denen man die kleinen Ekstasen der Unvernunft<br />
auslebte und nicht bei jedem<br />
überambitionierten Ziel nach den realistischen<br />
Rahmenbedingungen fragte. Gewiss,<br />
auch im Alter sind Ekstasen der Unvernunft<br />
möglich. Es besteht nur eine erhebliche<br />
Gefahr, sich dabei lächerlich zu machen.<br />
Im schlimmsten Fall vor sich selbst.<br />
Kurt Kister<br />
55 Jahre alt, ist Chefredakteur<br />
der Süddeutschen Zeitung<br />
... ob Homöopathie den<br />
gesellschaftlichen<br />
Frieden gefährdet<br />
S<br />
eit kurzem habe ich eine Freundin weniger.<br />
Sie hat mich bei Facebook entfreundet,<br />
weil ich geschrieben habe, dass ich nicht an<br />
Homöopathie glaube. Homöopathie habe nichts mit<br />
Glauben zu tun, fauchte sie – und kündigte mir die<br />
Freundschaft. Ich kenne sie seit 30 Jahren.<br />
Wenn man früher eine Party aufmischen<br />
wollte, musste man sagen, dass man Terroristen<br />
versteckt oder seine Kinder schlägt.<br />
Heute genügt es, die Wirksamkeit der<br />
weißen Zuckerkügelchen anzuzweifeln,<br />
schon wird man von Anhängern der<br />
Hahnemann’schen Heilslehre verfolgt, als<br />
habe man eine Mohammed-Karikatur aufs<br />
Papstgewand gepinkelt.<br />
Dass bislang in keiner wissenschaftlichen Studie die Wirksamkeit der Methode<br />
nachgewiesen werden konnte, ficht die Gläubigen nicht an. Sie warten mit<br />
unglaublichen Wunderheilungen auf, die ihnen oder ihren Bekannten oder ihren<br />
Haustieren widerfahren sind. Bei Tieren wirkt kein Placebo! Wer heilt, hat recht!<br />
Wer’s glaubt, wird selig.<br />
Inquisition war früher, heute gibt es Homöopathie. Wer zweifelt, ist der Häresie<br />
überführt und wird mit wütender Verachtung nicht unter 200 Jahren bestraft.<br />
Die Gläubigen halten sich selbst für Wissende. Und wollen – wie alle religiösen<br />
Fanatiker – die Ungläubigen bekehren. Dass auch Angehörige der gebildeten<br />
Stände die Homöopathie (und andere zweifelhafte Heilslehren vom Handauflegen<br />
bis zur Irisdiagnostik) propagieren, legt den Verdacht nahe, dass wir das Zeitalter<br />
der Aufklärung verlassen haben. Das magische Denken, das diesen Methoden zugrunde<br />
liegt, gilt aus medizinischer Sicht als psychopathologisch. Oder wie sonst<br />
soll man eine Lehre nennen, deren Anhänger sich mit Filzstift Zeichen auf den<br />
Körper malen, um ihre energetischen Schwingungen zu harmonisieren? Es handelt<br />
sich um die sogenannte „Neue Homöopathie“, ihr Guru Erich Körbler war gelernter<br />
Antennentechniker.<br />
Wenn das so weitergeht, haben wir hierzulande bald die gesellschaftliche Spaltung,<br />
um nicht von einem Religionskrieg zu sprechen. So beobachtete ich kürzlich<br />
auf einem Spielplatz, wie sich ein Kind das Knie aufschlug. Seine Mutter näherte<br />
sich mit Wundspray und Pflaster, wurde aber von einer engagierten Homöopathin<br />
weggerissen, die in die Runde blickte und rief: „Ein Filzstift, schnell!“ Die Dame<br />
kann von Glück sagen, dass es nicht mein Kind war.<br />
Es ist klar, dass mir nach diesem Text eine Fatwa der Homöopathie-Dschihadisten<br />
droht. Kurz dachte ich daran, Asyl in Nordkorea zu beantragen, wo es keine<br />
Kügelchen-Krieger gibt. Aber nun gehe ich erst mal hier in den Untergrund. Vielleicht<br />
habe ich ja noch ein, zwei noch nicht erleuchtete Freunde, die bereit sind,<br />
mich zu verstecken.<br />
Amelie Fried ist Fernsehmoderatorin und Bestsellerautorin. Für <strong>Cicero</strong> schreibt sie über<br />
Männer, Frauen und was das Leben sonst noch an Fragen aufwirft<br />
11.2012 <strong>Cicero</strong> 65