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Der Dionysos von Basel<br />
Das Porträt als memento mori: Arnold Böcklins<br />
„Selbstbildnis mit fiedelndem Tod“ aus dem Jahr 1872<br />
versteht sich als Testament für die Nachgeborenen<br />
Von Beat Wyss<br />
Fotos: Jörg P. Anders/BPK/Nationalgalerie SMB, artiamo (Autor)<br />
W<br />
enden wir uns im Totenmonat<br />
November einem Gemälde<br />
zu, das vom Tod zu handeln<br />
scheint. Arnold Böcklin malt sich im<br />
Moment, da er sich im Spiegel betrachtet,<br />
dessen Reflex er mit Pinsel und Palette<br />
auf die Leinwand überträgt: „So hat<br />
mein Schöpfer im Alter von 45 Jahren<br />
ausgesehen“, soll sein Gemälde uns sagen,<br />
uns, die wir wissen, dass Böcklin schon<br />
111 Jahre tot ist.<br />
Jedes Porträt ist memento mori. Das<br />
abgemalte Gesicht versteht sich als Testament<br />
an die Nachgeborenen. In diesem<br />
Sinne schaut Böcklin die Betrachtenden<br />
an, als wollte er prüfen, ob wir<br />
seiner, des großen Malers, auch gebührend<br />
gedenken. Um das Todesträchtige<br />
in seinem Bildnis zu untermalen, lässt er<br />
den Tod hinter seinem Rücken auftreten.<br />
Er malt ihn auf herkömmliche Art<br />
als grinsenden Spielmann mit der Fiedel.<br />
So kennt ihn die Kunstgeschichte aus<br />
den Totentänzen des 15. Jahrhunderts:<br />
den großen Gleichmacher, der die Menschen<br />
aller Stände, von Kaiser und Papst<br />
über Mönch und Lebemann bis hin zur<br />
Dirne und zum Tagelöhner alle mit gleicher<br />
Melodie heimholt. Der Totentanz<br />
erinnert an den Massentod der Pest, der<br />
damals in den überfüllten, florierenden<br />
Städten des Spätmittelalters reiche Ernte<br />
einfuhr. Einer der Berühmtesten zierte<br />
einst die Friedhofsmauer der Predigerkirche<br />
zu Basel, Böcklins Heimatstadt. Der<br />
Bürger und das standesbewusste Patriziat<br />
identifizierten sich gern mit einer Darstellung,<br />
die von der gerechten Natur des<br />
Todes handelt. Er war einer, der auch vor<br />
den Pfaffen nicht haltmachte.<br />
Bleiben wir jetzt aber bei dieser besinnlichen<br />
Betrachtung über das Unabänderliche<br />
im Leben stehen, so haben<br />
wir das Gemälde nicht ganz verstanden.<br />
Schauen wir dem Maler noch einmal genau<br />
in die Augen: Sieht er sich denn überhaupt<br />
an im Spiegel? Oder unterbricht er<br />
nicht vielmehr gerade jetzt seinen prüfenden<br />
Blick auf sich selbst? Ja, er vergisst in<br />
diesem Moment sein Geschäft des Sehens,<br />
weil er der Melodie des fiedelnden Todes<br />
lauscht. Und diese Melodie mag ihn an<br />
eine Textstelle in Jean Pauls „Vorschule der<br />
Ästhetik“ erinnert haben, die das Genie<br />
mit der Saite einer Windharfe vergleicht,<br />
die von der Eingebung berührt wird. Der<br />
knochige Fiedler ist nichts anderes als jener<br />
„überirdische Engel des inneren Lebens“,<br />
der den Künstler antreibt, „Todesengel<br />
des Weltlichen im Menschen“ zu<br />
spielen: jenen Genius, der uns in ein Jenseits<br />
alltäglicher Banalität entführt. Böcklins<br />
Tod verkörpert die Inspiration.<br />
Diese Idee ist weit entfernt von den<br />
makabren Totentänzen des Mittelalters.<br />
Modern ist die Umwertung des Todes als<br />
Leben. Böcklins Selbstbildnis mit Tod<br />
stammt von 1872, dem Erscheinungsjahr<br />
von der „Geburt der Tragödie“, verfasst<br />
von Friedrich Nietzsche, dem Basler<br />
Dionysos. Zu gering war die Verbreitung<br />
von dessen Erstauflage, als dass der Künstler<br />
das Buch gekannt hätte. Doch Ideen<br />
haben ihre Fahrpläne. Die einschlägigen<br />
Stichworte einer Epoche raunt die Zeitgenossenschaft<br />
ihren Agenten direkt zu.<br />
Böcklin porträtiert sich als apollinischen<br />
Helden, der der dionysischen<br />
Melodie von Urlust und Urleiden bleibende<br />
Gestalt abringt. Dass im Wollen<br />
immer auch das Vergehen-Wollen enthalten<br />
sei, hat Arthur Schopenhauer gelehrt.<br />
Sigmund Freud wird die gemeinsame<br />
Wurzel von Eros und Thanatos das<br />
Nirvanaprinzip nennen, nach dem Ort,<br />
wo höchste Selbstvergessenheit ist. Der<br />
Rausch, die Liebe, der Schlaf sind die<br />
kleinen Tode vor der Rückkehr zum großen.<br />
Sie alle enthalten das schmeichelnde<br />
Versprechen, auf das der Künstler jetzt<br />
hinhorcht: Er weiß sich verführbar, aber<br />
er will wach bleiben! Der malende Zeitgenosse<br />
Nietzsches versteht sein Schaffen<br />
als ein Bannen des tödlichen Sirenengesangs.<br />
Kunstgenuss sei, wie Traum und<br />
Liebe, ein kleiner Tod, der durch das dauerhafte<br />
Werk immer wieder gefahrlos und<br />
mit heilender Wirkung wiederholt werden<br />
kann.<br />
B e at W y s s<br />
ist einer der bekanntesten<br />
Kunsthistoriker des Landes.<br />
Er lehrt in Karlsruhe<br />
11.2012 <strong>Cicero</strong> 137