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| B e r l i n e r R e p u b l i k<br />
Unerschrocken spröde<br />
Wie macht sich Anke Spoorendonk, erste Dänen-Ministerin in Kiel? Treffen mit einer Omegapolitikerin<br />
von Katrin Wilkens<br />
W<br />
ENN Manager, Politiker oder Neumitglieder<br />
eines Lion Clubs auf<br />
die Frage „Was lesen Sie gerade?“<br />
antworten: „die jüngste Kennedy-Biografie“,<br />
so tun sie das aus einem mit Fantasielosigkeit<br />
gemischten Arbeitseifer. Mit<br />
Kennedy kann man nichts falsch machen.<br />
Der zeigt die perfekte Symbiose aus Macht<br />
und Schönheit. Das Ideal des Frauenhelden<br />
und Weltverbesserers, von dem man<br />
nur lernen kann.<br />
Mehr lernt man jedoch von den anderen.<br />
Von denen, die weder ästhetisch auftrumpfen<br />
noch rhetorisch. Die emsig und<br />
konsensorientiert sind. Nicht die Alphabullen<br />
einer Herde, sondern die Omegarinder.<br />
Die, die den Vertrag zustande bringen,<br />
nicht die, die ihn präsentieren. Das<br />
sind Menschen wie Anke Spoorendonk,<br />
Omegapolitikerin.<br />
Spoorendonk amtiert seit Juni dieses<br />
Jahres in Schleswig-Holstein als Ministerin<br />
für Justiz, Europa und Kultur. Sie garantiert<br />
der Regierung von Ministerpräsident<br />
Torsten Albig die Ein-Stimmen-Mehrheit.<br />
Und, wenn es so etwas gäbe, wäre sie auch<br />
noch Ministerin für Minderheiten, Ungerechtigkeit<br />
und Underdogs, denn Spoorendonk<br />
ist die erste Ministerin, seit sich<br />
der SSW, der Südschleswigsche Wählerverband,<br />
1948 gegründet hat.<br />
Im Büro hat Anke Spoorendonk lauter<br />
Bilder ihrer Kinder und Enkelkinder und<br />
einen Schreibtisch, von dem sie selbst sagt,<br />
er sei zu groß, den sie aber in über vier Monaten<br />
nicht losgeworden ist. Sie ist so ziemlich<br />
das Gegenteil einer PR-Politikerin.<br />
Keine von denen, die eine geschmeidige<br />
Verve besitzen, kein Claudia-Roth-Auftritt,<br />
kein Silvana-Koch-Mehrin-Aussehen.<br />
Spoorendonk ist spröde bis zur Unerschrockenheit.<br />
Kanariengelbe Blusen unter<br />
gerafften Lederwesten-Ensembles, kein<br />
Haarschnitt, sondern Fasson, eine Brille,<br />
die man guten Gewissens als geschmacksfrei<br />
bezeichnen darf – solche Frauen sind<br />
auf Kirchentagen gefürchtet, sie haben<br />
immer eine Regenhaut in der Handtasche<br />
und singen „Geh aus mein Herz“ ein bisschen<br />
zu laut. Und doch machen Menschen<br />
wie sie die Politik, die Roths und Koch-<br />
Mehrins repräsentieren sie nur.<br />
Spoorendonk ist das Gegenteil vom eleganten,<br />
kosmopolitischen Kennedy: regional<br />
verwurzelt – sie spricht deutsch, dänisch<br />
und platt – und mit der Haptik einer<br />
Heide Simonis oder Regine Hildebrandt.<br />
Politik machen solche Frauen mit Sachthemen,<br />
nicht mit einer Föhnwelle.<br />
Der SSW ist als Regionalpartei in<br />
der bundesdeutschen Parteienlandschaft<br />
ebenso einmalig wie rührend: Als einzige<br />
Partei Deutschlands darf sie auch dann in<br />
den Landtag, wenn sie weniger als 5 Prozent<br />
der Wählerstimmen hat. Der SSW ist<br />
so eine Art unverheiratete Patentante, die<br />
nie ganz ernst genommen wird, aber weil<br />
sie schon immer Weihnachten dabei war,<br />
wird sie auch dieses Jahr eingeladen. Wenn<br />
Vater und Mutter über die Geschenke streiten,<br />
ist sie nicht mehr nur die, die geduldet<br />
wird, sondern auch die, die schlichtet.<br />
Die Oberstreitschlichterin des SSW ist<br />
seit 2009 Anke Spoorendonk. Gemäß ihrer<br />
Patentantenfunktion will sie nicht nur<br />
Repräsentantin der dänischen Minderheit<br />
in Schleswig-Holstein sein, sondern auch<br />
noch das dänische Prinzip in die Politik<br />
bringen.<br />
Im dänischen Parlament sei es unüblich,<br />
dass geklatscht oder gar gepöbelt werde, erzählt<br />
sie, Dialogbereitschaft sei dort wichtiger<br />
als Rhetorik und Grabenkampf. „Ein<br />
guter Vorschlag ist ein guter Vorschlag“,<br />
sagt sie, „auch wenn er von der Opposition<br />
kommt.“<br />
Man nimmt die Deutsch- und Geschichtslehrerin<br />
in ihr wahr, wenn sie<br />
sich über das Gebaren deutscher Politiker<br />
echauffiert. Über solche, die sich profilieren.<br />
Die sich darstellen, womöglich noch<br />
in Brioni. Genauso gut könnten es Jugendliche<br />
sein, die ihre Malzbierdosen direkt<br />
ins Gebüsch werfen statt in den Müllkorb.<br />
Spoorendonk hat eine Grundschulpädagogen-Autorität,<br />
gespeist aus Überzeugung<br />
und Pragmatismus und einer kirchentagshellen<br />
Birkenholzmoral, die man auch mit<br />
einem Atomkrieg nicht kaputt kriegte, weil<br />
diese humorfreie Vernunft resistent gegen<br />
jeden Wandel ist.<br />
Aufgewachsen ist sie als Einzelkind in<br />
einem Kommunalpolitikerhaushalt kurz<br />
nach dem Schreckensdemagogen Hitler.<br />
Nie wieder Rhetorik, hieß die schämende<br />
Devise damals. Nie wieder Inszenierung,<br />
die 1939 ins Verderben führte.<br />
Spoorendonks Onkel zählte zu den<br />
Gründern der Partei, ihr Vater saß im<br />
Stadtrat. Butterdänen nannte man damals<br />
diejenigen Schleswiger, die sich nach<br />
1945 zu Dänemark bekannten und somit<br />
die von den Dänen produzierten Lebensmittelüberschüsse<br />
bekamen, während die<br />
Ernährungslage deutscher Schleswiger bis<br />
1948 karg war.<br />
Spoorendonk ist eine Zähe, selbst eine<br />
Morddrohung hielt sie 2005 nicht ab, die<br />
Politik zu machen, die sie für richtig hält.<br />
Sie wollte damals eine rot-grüne Landesregierung<br />
unter Heide Simonis dulden, deren<br />
Gegner sie dafür attackierten. Also hieß<br />
es: Zähne zusammenbeißen, Polizeischutz,<br />
weiterarbeiten. Simonis fiel 2005 durch<br />
und ging. Spoorendonk blieb. Sieben Jahre<br />
später ist sie in der Regierung. Dort sitzt sie<br />
nun als Prototyp des dänischen Politikprinzips,<br />
das sich entlang der skandinavischen<br />
Jante-Moral entwickelt hat: Glaube nicht,<br />
dass du etwas Besonderes bist.<br />
Ist sie aber doch.<br />
Katrin Wilkens<br />
ist freie Journalistin in Hamburg<br />
Fotos: Roland Magunia, Simone Scardovelli (Autorin)<br />
42 <strong>Cicero</strong> 11.2012