26.02.2014 Aufrufe

Cicero Hitlers letzte Bombe (Vorschau)

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

| B e r l i n e r R e p u b l i k | A u f k l ä r u n g d e s N S U - S k a n d a l s<br />

für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, vorzeitig<br />

in den Ruhestand zurückzog.<br />

Im September wurde im Ausschuss<br />

bekannt, dass das Berliner Landeskriminalamt<br />

einen der mutmaßlichen Unterstützer<br />

der Zwickauer Zelle jahrelang als<br />

Informanten in der Neonazi‐Szene geführt<br />

hatte: den einst mit Beate Zschäpe liierten<br />

Thomas S. Er war es auch, der dem Trio das<br />

TNT für die Rohrbomben beschaffte, die<br />

nach dessen Abtauchen in einer Garage gefunden<br />

wurden.<br />

Wenn der Anwalt Yavuz Narin der Familie<br />

des NSU-Opfers Theodoros Boulgarides<br />

von den immer neuen Enthüllungen<br />

berichtet, bekommt er inzwischen die Antwort:<br />

Da fällt man doch vom Glauben ab!<br />

„Diese Mordserie“, sagt er, „stellt die Strukturen<br />

des Staates grundlegend infrage.“<br />

„Was haben Sie gedacht, als der NSU im<br />

November 2011 aufgeflogen ist?“ Eva Högl<br />

von der SPD, eine Juristin mit zehn Jahren<br />

Erfahrung im Bundesarbeitsministerium,<br />

stellt diese Frage fast jedem Zeugen,<br />

der vor den Ausschuss zitiert wird. Högl<br />

lächelt dabei betont freundlich. Es ist ein<br />

doppelbödiges Lächeln, das sagt: Ich gebe<br />

Ihnen die Chance, ihre Betroffenheit zum<br />

Ausdruck zu bringen, Selbstkritik zu üben,<br />

Demut zu zeigen. Diese Chance sollten Sie<br />

gefälligst nutzen.<br />

Clemens Binninger von der Union beginnt<br />

Zeugenbefragungen meist mit einem<br />

nüchternen Satz: „Wir haben jetzt etwa<br />

23 Minuten zusammen.“ Das ist die Zeit,<br />

die seiner Fraktion pro Fragerunde zusteht.<br />

Binninger war früher Polizist in Baden-<br />

Württemberg. Den Commissario nennen<br />

ihn Ausschussmitarbeiter. Als am 28. Juni<br />

der BKA-Chef Jörg Ziercke im Saal 4.900<br />

saß, geriet er mit Binninger aneinander.<br />

Der ließ Ziercke auflaufen: „Für Hochmut<br />

ist in diesem Ausschuss wenig Platz“, sagte<br />

er dem BKA-Boss. Die Botschaft: Hier haben<br />

nicht Sie das Sagen, sondern wir. Einen<br />

ehemaligen Landesgeheimdienstchef fragte<br />

Binninger: „Wozu brauchen wir einen Verfassungsschutz,<br />

wenn er nicht mitdenkt?“<br />

„Wir können jede Gangart“, sagt der<br />

Grünen-Obmann Wolfgang Wieland.<br />

„Von ganz lieb bis ganz böse.“<br />

Das Selbstbewusstsein gegenüber den<br />

Behörden, das parteiübergreifende Wir-<br />

Gefühl: So außergewöhnlich die Atmosphäre<br />

in diesem Ausschuss ist, ganz frei<br />

von Parteiinteressen ist die Arbeit nicht.<br />

Wenn im Ausschuss Spitzenpolitiker geladen<br />

sind, steigt die Versuchung der Parteitaktik<br />

– und je näher die Bundestagswahl<br />

2013 rückt, desto größer wird sie werden.<br />

Ende September war der hessische<br />

Ministerpräsident Volker Bouffier von der<br />

CDU als Zeuge geladen. Es ging um die<br />

Frage, ob Bouffier, als er noch Innenminister<br />

in Hessen war, die Ermittlungen der<br />

Polizei blockierte. Beim neunten Mord des<br />

NSU in einem Kasseler Internetcafé im April<br />

2006 war Sekunden vor oder gar zur Tatzeit<br />

ein Verfassungsschützer des Landes anwesend,<br />

angeblich zufällig und rein privat,<br />

zum Cyberflirt. Bouffier erlaubte es den Ermittlern<br />

nicht, die V-Leute des damals von<br />

„Was haben Sie gedacht,<br />

als der NSU im November<br />

aufgeflogen ist?“ Die<br />

SPD-Abgeordnete Högl<br />

fragt das jeden Zeugen<br />

der Polizei verdächtigten Geheimdienstmannes<br />

zu vernehmen – eine Entscheidung,<br />

die er noch heute für richtig hält,<br />

wie er im September im Ausschuss sagte.<br />

Da schaltete Eva Högl von der SPD auf Attacke:<br />

Bouffier sei ein „eiskalter Bürokrat“.<br />

Während Commissario Binninger auf Beschwichtigungskurs<br />

ging und den CDU-<br />

Kollegen in Schutz nahm. Skandal? Iwo!<br />

Auf der Tribüne im Paul-Löbe-Haus<br />

sitzt Yavuz Narin. Er registriert jene Tiefpunkte,<br />

jene Momente, in denen ein Stück<br />

des Vertrauens wieder verspielt wird, das<br />

der Ausschuss gewonnen hat. Was soll er<br />

den Opferangehörigen berichten? Dass<br />

sich in Berlin die Politiker übereinander<br />

aufgeregt haben?<br />

Wenn demnächst Ex-Bundesinnenminister<br />

Otto Schily befragt wird, dürfte die<br />

Union dem Sozialdemokraten vorwerfen,<br />

dass er 2004 voreilig verneint hatte, der<br />

Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße<br />

könne terroristische Hintergründe<br />

haben. Die SPD wird rufen: Dafür hat er<br />

sich doch längst entschuldigt!<br />

Doch dann gibt es wieder diese anderen<br />

Momente, in denen die Akteure selbst<br />

stutzen, als wären sie verblüfft über den<br />

Geist dieses Ausschusses. Etwa als der ehemalige<br />

bayerische Innenminister Günther<br />

Beckstein als Zeuge auftrat. Da lobte Petra<br />

Pau von der Linkspartei den CSU-<br />

Mann für seine Entschlossenheit gegen<br />

Neonazis. Beckstein runzelte die Stirn.<br />

Das Lob von links sei ihm „fast peinlich,<br />

Entschuldigung!“<br />

Für ausgiebige Parteitaktik fehlt den<br />

Politikern auch schlicht die Zeit. Ein Untersuchungsausschuss<br />

muss seine Arbeit bis<br />

Ende der jeweiligen Legislaturperiode abschließen.<br />

Deshalb müsste der Ausschuss<br />

im Frühjahr die <strong>letzte</strong>n Zeugen hören und<br />

bis zum Sommer den Abschlussbericht<br />

schrei ben. Darin soll nicht nur stehen, was<br />

in den Behörden falsch lief, sondern auch,<br />

was passieren muss, damit sich ein solches<br />

Versagen nicht wiederholt. „Das ist eigentlich<br />

nicht zu bewältigen“, sagt Ströbele von<br />

den Grünen.<br />

Die Behörden decken die Abgeordneten<br />

in Berlin mit Akten ein. Das ist klüger,<br />

als den Vorwurf der Vertuschung zu riskieren.<br />

Neulich hat Thüringen an einem Freitag<br />

778 weitere Aktenordner an die Geheimschutzstelle<br />

des Bundestags geschickt.<br />

Insgesamt sind dem Ausschuss seit Januar<br />

knapp zwei Millionen Seiten an Dokumenten<br />

zugegangen. Auf einen Stapel aufgehäuft<br />

wäre dieser Papierberg vier Mal so<br />

hoch wie das Reichstagsgebäude.<br />

Weil immer mehr Abgeordnete das Gefühl<br />

bekommen, dass ihnen die Zeit nicht<br />

reicht, gibt es nun Überlegungen, den Ausschuss<br />

in der nächsten Legislaturperiode<br />

neu zu starten. Um das zu Ende zu bringen,<br />

was in den restlichen Monaten bis zur<br />

Wahl nicht mehr geschafft wurde. Auch das<br />

hat es in der Geschichte der Bundesrepublik<br />

so noch nicht gegeben.<br />

„Auch der nächste Bundestag wird sich<br />

intensiv mit den Konsequenzen für Geheimdienst<br />

und Polizei beschäftigen müssen“,<br />

sagt Ströbele. Er rechnet fest damit.<br />

Das sei mit der Grund, warum er noch<br />

mal für den Bundestagswahlkampf antreten<br />

will, wenn seine Krankheit geheilt ist.<br />

Er will die Aufklärung mit zu Ende bringen.<br />

Und das Versprechen einlösen.<br />

Wolf Schmidt<br />

ist Redakteur für Innere Sicherheit<br />

der Berliner „tageszeitung“. Er<br />

beobachtet die Arbeit des Untersuchungsausschusses<br />

seit Januar<br />

Foto: Urban Zintel<br />

62 <strong>Cicero</strong> 11.2012

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!