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| B e r l i n e r R e p u b l i k | A u f k l ä r u n g d e s N S U - S k a n d a l s<br />
Haus, in dem die beiden mit ihrer Komplizin<br />
Beate Zschäpe gewohnt hatten. Und<br />
das Vertrauen in die Behörden implodierte.<br />
Es gab Debatten und Gedenkstunden, der<br />
Staat bemühte sich um die Opfer. Von einer<br />
„Schande für unser Land“ sprach Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel bei der Gedenkfeier<br />
für die Ermordeten im Februar.<br />
Saal 4.900 im Paul-Löbe-Haus ist der<br />
Ort, an dem die Schande ein Stück weit<br />
wiedergutgemacht werden könnte, indem<br />
die Abgeordneten Zeugen vernehmen,<br />
Unmengen von Akten auswerten und<br />
„Dieser Untersuchungsausschuss arbeitet<br />
besser und effektiver als alle davor“<br />
Der Grüne Hans-Christian Ströbele<br />
Parteiübergreifendes<br />
Wir‐Gefühl. Die Mitglieder des<br />
Untersuchungsausschusses von links:<br />
Wolfgang Wieland (Grüne), Hartfrid<br />
Wolff (FDP), Sebastian Edathy (SPD),<br />
Clemens Binninger (CDU), Petra Pau<br />
(Linkspartei) und Eva Högl (SPD)<br />
Der Opfer-Anwalt Yavuz<br />
Narin beobachtet jede<br />
Sitzung des Ausschusses<br />
aufklären – ohne in die üblichen Rituale<br />
der Profilierung zu fallen.<br />
Typischerweise sind Untersuchungsausschüsse<br />
ein Mittel der Opposition, um<br />
die Regierung anzugreifen. „Ein Untersuchungsausschuss<br />
ist erstens ein Kampfinstrument,<br />
zweitens ein Kampfinstrument<br />
und drittens ein Kampfinstrument“, hat<br />
Joschka Fischer einmal gesagt. Mal sollte<br />
die CDU als quasi mafiöse Vereinigung<br />
entlarvt werden, mal die Grünen als Multikulti-Spinner,<br />
die osteuropäische Horden<br />
ins Land lassen, mal die SPD als willfährige<br />
Gehilfin finsterer US-Geheimdienstmachenschaften.<br />
Es geht um die Show. Und<br />
der Showdown ist das Kreuzverhör eines<br />
Ministers oder gar Kanzlers.<br />
Dieser Ausschuss kann sich das nicht<br />
leisten. Eine Inszenierung, in der sich die<br />
Abgeordneten aufplustern und stolzieren<br />
wie die Gockelhähne, würde alles noch<br />
schlimmer machen. Aber kann es anders<br />
laufen? Ist ein Ausschuss möglich, der mit<br />
der eingeübten politischen Kultur bricht<br />
und dessen Mitglieder sich die parteitaktischen<br />
Reflexe verbieten? Jedenfalls ging<br />
es so los. Im Januar wurde auf Antrag aller<br />
Fraktionen, von Union bis Linkspartei, ein<br />
Untersuchungsausschuss eingesetzt. Man<br />
werde „alles tun“ für eine „gründliche und<br />
zügige Aufklärung“, hieß es in dem Beschluss.<br />
Das ist das Versprechen.<br />
Yavuz Narin, oben auf der Besuchertribüne,<br />
ist eine Art Bindeglied zwischen<br />
den Opfern und der Politik. An ihm kann<br />
man sehen, wie schwer es ist, das Vertrauen<br />
in den Staat wiederherzustellen. Für Narin<br />
ist dieser Fall wichtig, auch persönlich.<br />
Acht der zehn Mordopfer der NSU‐Terroristen<br />
hatten wie er türkische Wurzeln.<br />
„Der Staat hat sie alleine gelassen“, sagt er.<br />
Schlimmer noch: Jahrelang hatten die Ermittler<br />
die Opfer dem falschen Verdacht<br />
ausgesetzt, in kriminelle Machenschaften<br />
verstrickt zu sein und an ihrem Tod eine<br />
Mitschuld zu tragen. „So etwas darf sich<br />
nie mehr wiederholen.“<br />
Der junge Anwalt hat keine der bald<br />
50 Zeugenvernehmungen verpasst. Dieses<br />
Mal ist er am Abend vor der Ausschusssitzung<br />
nach Berlin gefahren, sechs Stunden<br />
war er auf der Autobahn. Meist ruft<br />
er nach den Vernehmungen Theodoros<br />
Boulgarides’ Witwe an und berichtet ihr<br />
von den Fragen, die aufgeworfen wurden.<br />
Und von den Abgründen, die sich aufgetan<br />
haben.<br />
Die Sitzungen dauern. Stundenlang lümmeln<br />
die Kameraleute auf den Lederpolstern<br />
vor dem Sitzungssaal herum. Auf dem<br />
Boden liegen zerlesene Bild-Zeitungen und<br />
leere Cola-Flaschen. Drinnen dürfen die<br />
Fernsehleute nicht filmen, höchstens zwei,<br />
drei Minuten vor den Zeugenvernehmungen.<br />
Deshalb müssen sie warten, bis die<br />
Türen aufgehen und sich die Abgeordneten<br />
nach draußen bewegen, zu den Mikrofonen<br />
neben dem Treppenaufgang. Innerhalb<br />
einer halben Minute steht ein Pulk<br />
Fotos: Hans Christian Plambeck/Laif, Julian Röder/Ostkreuz<br />
58 <strong>Cicero</strong> 11.2012