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| K a p i t a l | M o h n s s ü S S e R a c h e<br />
hatte. Er erfuhr es aus dem Manager Magazin,<br />
an dem Gruner und Jahr beteiligt ist,<br />
und musste in dem Artikel zudem lesen,<br />
dass er seiner Aufgabe nicht gewachsen sei.<br />
In Gütersloh, dem Stammsitz von Bertelsmann,<br />
hielt man es nicht mal für nötig, einen<br />
neuen G+J-Vorstandschef zu ernennen.<br />
Die Belegschaft in Hamburg ist verunsichert.<br />
Bisher waren es die G+J-Mitarbeiter<br />
gewohnt, dass jedes Übernahmeansinnen<br />
aus Gütersloh von Angelika<br />
Jahr-Stilcken im Keim erstickt wurde. So<br />
war es 2001, als der damalige Bertelsmann-<br />
Chef Thomas Middelhoff im Spiegel sein<br />
Interesse am Kauf der Jahr-Anteile bekundete.<br />
Sofort hielt ihm Angelika Jahr in einem<br />
Zeitungsinterview entgegen: „Wir<br />
tauschen nicht und wir verkaufen nicht.“<br />
Wenn angeblich, wie kolportiert, eine Investmentbank<br />
im Auftrag von Bertelsmann<br />
den Wert der Jahr-Beteiligung am Verlag<br />
errechne, sei das „unnötig“, sagte sie: „Zu<br />
keinem Preis sind wir gewillt zu verkaufen.“<br />
Bei den vier Familienstämmen gebe es „keinerlei<br />
Dissens“. Jeder Angriff werde „ins<br />
Leere“ laufen. So war es auch 2008, als Jahr<br />
vom Vorstand in den Aufsichtsrat wechselte<br />
und in der Fischauktionshalle sagte:<br />
„Der Jahr-Clan wächst, und er hält zusammen<br />
wie Pech und Schwefel. Und wenn<br />
es wirklich einmal so weit kommen sollte<br />
mit dem Verkauf, dann werden wir zu Gruner<br />
und Jahr stehen, denn wie ich schon<br />
sagte, es ist Liebe, und dies ist ein Versprechen.“<br />
Mit anderen Worten: Eher würde<br />
der Mehrheitsgesellschafter Bertelsmann<br />
seine Anteile zu Geld machen als dass die<br />
Jahrs jemals aussteigen würden. Das war<br />
das große Versprechen. Gilt es viereinhalb<br />
Jahre später noch?<br />
Der Wert des Verlags sinkt, Gruner und<br />
Jahr verliert gegenüber Burda, Springer<br />
und Bauer Marktanteile. Im immer wichtigeren<br />
Digitalgeschäft drohen Stern, Brigitte<br />
und Geo den Anschluss zu verlieren,<br />
weil die Gesellschafter die Entwicklung in<br />
den vergangenen zehn Jahren verschlafen<br />
haben. Vor allem Bertelsmann drängte G+J,<br />
jährlich im Schnitt 200 Millionen Euro<br />
an beide Gesellschafter auszuzahlen, um<br />
Schulden zu begleichen. Diese Schulden,<br />
darin liegt eine Ironie, waren entstanden,<br />
weil Bertelsmann einen fremden Investor<br />
rausgekauft hatte. Die Jahrs mussten also<br />
zusehen, wie die Gütersloher den Verlag<br />
auspressten, weil der Mitgesellschafter im<br />
eigenen Haus keine fremde Mitsprache<br />
duldete. Im Hamburger Verlagshaus aber<br />
Der Wert des Verlags sinkt, Gruner und Jahr<br />
verliert weiter Marktanteile und droht den<br />
Anschluss an die Konkurrenz zu verpassen<br />
Bertelsmann-CEO Thomas Rabe braucht Geld für den von ihm<br />
geplanten Konzernumbau – ein Argument für die Zerschlagung von G+J<br />
fehlte diese Milliardensumme, sodass über<br />
Jahre notwendige Investitionen unterblieben.<br />
Den Jahrs selber waren die Hände gebunden,<br />
da sie mit ihrer Sperrminorität nur<br />
verhindern, aber nichts durchsetzen können<br />
– und andererseits haben auch sie die<br />
jährlichen Ausschüttungen gerne genommen,<br />
um in Immobilien, Spielbanken und<br />
andere Projekte zu investieren.<br />
Überhaupt muss man inzwischen am<br />
von Angelika Jahr beschworenen Zusammenhalt<br />
der Familie zweifeln. Die ihr nachfolgende<br />
zweite Erben-Generation arbeitet<br />
nicht mehr im Verlag und hat kaum Interesse<br />
am Journalismus. In der Jahr-Holding<br />
hat seit 2011 Winfried Steeger als<br />
Geschäftsführer das Sagen, der sich gut<br />
mit Bertelsmann-Chef Thomas Rabe versteht.<br />
Zu den aktuellen Entwicklungen bei<br />
G+J schweigen die Jahrs. Als der NDR jetzt<br />
Angelika Jahr an ihr Versprechen von 2008<br />
erinnerte, sagte sie, es sei „nicht der richtige<br />
Zeitpunkt für Spekulationen“. Dass sie<br />
ihr Versprechen, die Familie stehe zu G+J,<br />
nicht erneuerte, verunsicherte ihre Mitarbeiter<br />
erst recht.<br />
Angelika Jahr ist eine journalistische Autorität<br />
bei Gruner und Jahr, und sie hat sich<br />
diese Position erarbeitet. Die 71-Jährige studierte<br />
Psychologie, Germanistik und Philosophie,<br />
absolvierte ein Volontariat bei der<br />
Welt. Sie arbeitete in den USA bei Glamour,<br />
Vogue und Time Magazine und stieg in den<br />
väterlichen Verlag als stellvertretende Chefredakteurin<br />
der Petra und Schöner Wohnen<br />
ein, der Einrichtungsfibel für Besserverdienende.<br />
1972 entwickelte sie mit essen & trinken<br />
das erste Magazin dieser Art in Deutschland.<br />
1988 übernahm sie die Chefredaktion<br />
von Schöner Wohnen, fungierte als Herausgeberin<br />
weiterer Titel und leitete schließlich<br />
bis 2008 acht Hochglanztitel in der Verlagsgruppe<br />
G+J-Life als Geschäftsführerin. Angelika<br />
Jahr spielte zwei Rollen: Sie war angestellte<br />
Chefredakteurin und zugleich das<br />
wachsame Auge der Besitzer als Wahrerin<br />
der Familientradition.<br />
Foto: Michael Jungblut/Laif<br />
112 <strong>Cicero</strong> 11.2012