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Antike Philosophie: Platon - Mathematik ... - Griechische Antike

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SOKRATES beginnt die Vorbereitung der Aporie mit einem für den Leser etwas<br />

überraschenden Schachzug: Er verlangt MENON das Zugeständnis ab, dass Tugend nur<br />

dann lehrbar ist, wenn sie zugleich Wissen ist. Nur Wiedererinnerbares ist lehrbar? Wozu<br />

eigentlich Lehre, wenn Wissen Wiedererinnern ist? Und außerdem: Sind nicht gerade<br />

Irrtümer durch Lehre bestens tradierbar? Nach moderner Auffassung leben sogar die<br />

ganzen empirischen Wissenschaften davon, dass ihre tradier- und lehrbaren Irrtümer im<br />

Lauf der Zeit durch immer intelligentere Irrtümer ersetzt werden.<br />

SOKRATES: (...) Da wir nämlich hinsichtlich ihrer (der Tugend; NF) weder wissen was sie ist,<br />

noch wie sie beschaffen ist, so laß uns auf Grund einer Voraussetzung erwägen, ob sie<br />

lehrbar ist oder nicht lehrbar. Und zwar formulieren wir die Sache in Frageform so: Welche<br />

Beschaffenheit muß die Tugend als Teil unseres Seelenlebens haben, wenn sie lehrbar<br />

oder nicht lehrbar sein soll? Gesetzt nun zunächst, sie wäre etwas anderes als Wissen,<br />

wäre sie dann lehrbar – was nach unserer vorigen Erörterung so viel heißt als durch<br />

Wiedererinnerung gewinnbar – oder nicht? Beide Bezeichnungen sollen dabei ganz gleich<br />

gelten. Nun ist sie dann lehrbar? Oder ist nicht allgemein anerkannt, daß durch Lehre dem<br />

Menschen nichts anderes beigebracht wird als Wissen?<br />

Kleine Anmerkung am Rande: SOKRATES versucht hier einen recht billigen rhetorischen<br />

Trick. Er beruft sich auf den (angeblichen) Gemeinplatz, dass durch Lehre dem Menschen<br />

nichts anderes beigebracht wird als Wissen. Diesen (vorgeblichen) Gemeinplatz verbindet<br />

er aber mit seiner sehr speziellen Interpretation von Wissen (was nach unserer vorherigen<br />

Erörterung so viel heißt als durch Wiedererinnerung gewinnbar). Mit dieser speziellen<br />

Interpretation von Wissen versehen ist aber die These, dass durch Lehre dem Menschen<br />

nichts anderes beigebracht wird als Wissen alles andere als ein Gemeinplatz der antiken<br />

Kultur. Eine nicht einmal besonders geschickte Wortverdreherei. Ist Wortverdreherei aber<br />

nicht genau der Vorwurf, den <strong>Platon</strong> sonst und fast unermüdlich den Sophisten macht?<br />

Kommen wir zur Aporie. Das Grundschema der Aporie läuft so:<br />

● Tugend muss Wissen sein, denn nur was auf Einsicht beruht kann nützlich sein und<br />

Tugend gilt als nützlich. Ergo: Tugend ist Wissen.<br />

● Wenn Tugend Wissen ist, dann muss es Lehrer der Tugend geben. Lehrer der<br />

Tugend gibt es aber nicht. Ergo: Tugend ist kein Wissen.<br />

Bei der Erörterung der Frage, ob es Lehrer der Tugend gibt, kommt auch der bisher<br />

schweigsame ANYTOS zu Wort. ANYTOS erklärt erst einmal, dass die Sophisten keinesfalls<br />

als Lehrer der Tugend in Betracht kommen. Nachdem ANYTOS ausgiebig vor den Sophisten<br />

als Verderbern gewarnt hat und SOKRATES ihm darin kräftig beigepflichtet hat, kommt das<br />

Gespräch darauf, ob vielleicht die herausragendsten Männer des demokratischen Athens<br />

als Lehrer der Tugend in Betracht kämen. SOKRATES weist dies entschieden zurück:<br />

Themistokles, Aristides, Perikles und Thukydides hätten sich allesamt als unfähig<br />

erwiesen, Tugend zu lehren. Er benutzt das Argument, dass sie nicht einmal in der Lage<br />

waren ihren eigenen Söhnen Tugend zu vermitteln. 97<br />

Nachdem <strong>Platon</strong> seine Figuren ANYTOS wie SOKRATES erst einmal ausgiebig auf seine<br />

Lieblingsfeinde, die Sophisten, hat einschlagen lassen und SOKRATES danach noch ein<br />

wenig am Nimbus der angesehendsten Athener Politiker gekratzt hat, findet der Dialog<br />

wieder zu einem etwas sachlicheren Stil zurück.<br />

97 Ich möchte an dieser Stelle ganz beiläufig in Erinnerung rufen, dass Kritias, der Anführer der Dreißig (und damit<br />

zentrale Figur der Athener Schreckensherrschaft nach Ende des Peloponnesischen Kriegs), ein Schüler des<br />

historischen Sokrates war. Im Vergleich zu den Verfehlungen des Kritias erscheinen die von SOKRATES ins Feld<br />

geführten, kaum näher benannten Mängel der Söhne der führenden Männer des demokratischen Athens höchstens<br />

als ein under-performing angesichts herausragender Väter. War Sokrates in puncto Tugend ein noch untauglicherer<br />

Lehrer als die von SOKRATES kritisierten Staatsmänner? Zur Entschuldigung des Sokrates lässt sich allerdings<br />

anführen, dass er ja immer gesagt hat, dass er nichts weiß.<br />

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