Antike Philosophie: Platon - Mathematik ... - Griechische Antike
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U. Neumann; <strong>Platon</strong>: Trotzdem ist die Anlage der platonischen Staatskonzeption nicht totalitär, und<br />
tatsächlich besteht zwischen den Wächtern <strong>Platon</strong>s und einem Tyrannen nur hinsichtlich der Machtfülle<br />
eine Gemeinsamkeit. Die Tyrannis brandmarkt <strong>Platon</strong> als die schlechteste Staatsform – und<br />
zwar gerade deshalb, weil beim Tyrann der begehrliche Seelenteil die Oberhand hat. 156<br />
Kleine Nachfrage: Wenn sich so einfach feststellen lässt, welcher Seelenteil bei wem die<br />
Oberhand hat und daran der Unterschied zwischen Tyrannis und Nicht-Tyrannis hängt,<br />
wie konnte dann so ein kleines Unglück wie bei der Tyrannis des Dion zu Stande<br />
kommen? Oder belügen uns da die Historiker einfach?<br />
U. Neumann; <strong>Platon</strong>: Oft – und am wirkungsmächtigsten bei Popper – ist zu lesen, dass der<br />
platonische Staat totalitär sei. Dies suggeriert jedoch völlig sachfremde Übertragungen aus dem 20.<br />
Jahrhundert. Denn wichtige Kriterien der totalitären Herrschaft sind bei <strong>Platon</strong> nicht erfüllt. Es gibt<br />
keine Massenorganisation, keine Geheimpolizei, selbst Gefängnisse werden in der Politeia nicht<br />
erwähnt. <strong>Platon</strong> beschreibt keinen Spitzelapparat, der systematisch die Beherrschten unter Kontrolle<br />
hält. Völlig fehlt das Spitzelsystem, das das Vertrauen zwischen den Menschen zerstört; auch eine<br />
Identität von Staat und Gesellschaft wird nicht angestrebt. 157<br />
Alles was dazu zu sagen wäre, ist schon gesagt.<br />
M. Bordt; <strong>Platon</strong>: Die Notwendigkeit der Kontrolle über die Bürger führt <strong>Platon</strong> bis zu einem<br />
eugenischen Programm, bei dem die Herrscher bestimmen, wer mit wem Kinder zeugen darf und<br />
wer nicht. Es ist nicht nur die Eugenik, sondern auch die Vorstellung, daß das Individuum sich<br />
vollständig dem Ganzen unterordnen muß, die manche Kritiker, an prominentester Stelle Karl<br />
Popper, dazu veranlaßt haben, in <strong>Platon</strong> den geistigen Wegbereiter des modernen Totalitarismus zu<br />
sehen. Auch wenn sich gezeigt hat, daß Poppers Kritik am Staatskonzept <strong>Platon</strong>s an vielen Stellen<br />
der philologisch-philosophischen Detailanalyse des Staates nicht standhält, so hat er doch<br />
wesentlich zu einem kritischeren Verständnis von <strong>Platon</strong>s Konzeption des Idealstaates beigetragen<br />
und gezeigt, wie zwiespältig <strong>Platon</strong>s Programm des ‚guten Totalitarismus‘ ist. 158<br />
Als erstes wird davon ausgegangen, dass <strong>Platon</strong> in seiner Staatsutopie Politeia der<br />
Notwendigkeit unterliegt die Kontrolle über die Bürger zu erlangen. Eine interessante<br />
Präsupposition die Bordt hier herausarbeitet. Gehört es nicht zu den typischen Merkmalen<br />
totalitärer politischer Systeme, nach umfassender Kontrolle über die Bürger zu streben?<br />
Und was ist bitte ‚guter Totalitarismus‘? Hat schon jemals jemand eine totalitäre Utopie<br />
konzipiert, ohne zu beanspruchen, dass es so am besten wäre? Und es ist auch nicht so,<br />
dass man Poppers Kritik in ihrem wesentlichen Kern durch philologisch-philosophische<br />
Detailanalysen als erledigt ansehen kann. Es wird aber doch immerhin zugegeben, dass<br />
Poppers Analyse auch nützliche Aspekte hatte. Schon mal etwas.<br />
F. v. Kutschera; <strong>Platon</strong>s <strong>Philosophie</strong>: In der Geschichtsschreibung der <strong>Philosophie</strong> divergieren die<br />
Urteile über die Sophistik stark, Während man sich unter dem Einfluß des Idealismus – zumal in<br />
Deutschland – meist dem Urteil <strong>Platon</strong>s anschloß und die Sophisten als Schwätzer, als nur an ihren<br />
Honoraren, nicht aber an der Wahrheit interessierte Leute, und ihre Lehren rein destruktiv ansah,<br />
wurde die Sophistik von G. Grote schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgewertet und z.B. von<br />
K. Popper als Trägerin des geistigen Fortschritts, von Humanismus, Liberalität und Demokratie<br />
gepriesen – <strong>Platon</strong> denunziert er dagegen als Vorläufer Hitlers. Solche extremen Urteile sind<br />
natürlich unsinnig und werden der Komplexität des historischen Phänomens nicht gerecht. 159<br />
Kutschera schreibt ein dreibändiges Werk zur <strong>Philosophie</strong> <strong>Platon</strong>s und der im obigen Zitat<br />
enthaltene Halbsatz ist die einzige direkte Bezugnahme auf Poppers Vorwurf des<br />
Totalitarismus. Nun gut, jeder setzt seine eigenen Prioritäten. Manchem reicht es halt, so<br />
was einfach unsinnig zu nennen.<br />
156 U. Neumann: <strong>Platon</strong>. Hamburg: Rowohlt 2006. S. 97f<br />
157 U. Neumann: <strong>Platon</strong>. Hamburg: Rowohlt 2006. S. 108f (Hervorhebungen im Text)<br />
158 M. Bordt: <strong>Platon</strong>. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder. S. 133f (Hervorhebungen im Text)<br />
159 F. v. Kutschera: <strong>Platon</strong>s <strong>Philosophie</strong> Bd 1. Paderborn: Mentis Verlag 2002. S. 25<br />
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