Meer. Seit der radikalen Öffnung der Grenzen für Spieler jeder Nationalität ist der Lebensstandard für die Nowitzkis der zweiten und dritten Kategorie hier zu Lande deutlich gesunken. Man spielt nicht unbedingt schlechter in der Bundesliga, aber mehr für weniger Geld. Gute Ausländer greifen für rund 35.000 bis 85.000 Euro (netto) nebst Wohnung und Auto pro Jahr zu. Und sind so stark, dass sie <strong>Deutsche</strong> mehrfach aufwiegen: "Ich bekomme für einen Nationalspieler zwei bis drei Amerikaner von gleicher Qualität", sagt der Leverkusener Manager Otto Reintjes. Und so hat eine Landflucht eingesetzt. Das Gros der Nationalspieler wirft und dribbelt im Ausland. "Es geht sicher nicht nur ums Geld", sagt der frühere Frankfurter Aufbauspieler Pascal Roller, "aber in Italien oder Spanien kann man das Dreifache verdienen." Einen Spieler vom Format Demond Greene, der geschätzte 250.000 Euro brutto erhalten soll, leisten sich allenfalls Bundesligagrößen wie Alba Berlin. Der Rest des deutschen Nachwuchses zwischen den Körben schaut sich die Bundesligapartien überwiegend von der Bank aus an: Die zehn Begabtesten im Alter bis zu 24 Jahren kommen auf Einsatzzeiten von durchschnittlich zehn Minuten, also auf ein Viertel der Spielzeit. Selbst Johannes Herber gehört dazu, ein Nationalspieler und WM-Teilnehmer. Dessen Handballkollegen sind in diesem Alter schon deutlich weiter. Michael Kraus darf sich nicht nur Weltmeister nennen. Der 23 Jahre alte Spielmacher übernahm auf dem Weg zum Titel spielentscheidende Verantwortung. Und was haben Sie gemacht? Als Profi auf der Bank gesessen! Das Risiko, mit spätestens 18 Jahren ganztags auf den Sport zu setzen und nach ein paar Jahren mehr oder weniger mittellos in einem Bewerbungsgespräch zu stranden, erscheint immer höher. Zumal die jüngste Bildungsoffensive jüngere Hochschulabsolventen mit größeren Qualifikationen zum Ziel hat. Konzerne wie Bayer Leverkusen bieten jungen Basketballspielern mit einer parallelen Ausbildung etwa zum Bürokaufmann zwar Perspektiven für das Leben nach dem Sport. Doch Bayer ist nicht überall. In ganz Deutschland aber klopfen Profis aus allen Herren Ländern an, die notfalls bereit sind, das Trikot für eine Handvoll Dollars (2.500 Euro) überzustreifen. "Da kann ich meinem Jungen doch nicht zur Basketballkarriere raten", sagt der Vater eines Junioren-Nationalspielers. Man spielt das Prinzip Hoffnung: "Aber wenn er doch das Zeug für einen Spitzenspieler hat?" André Lange ist ein Spitzenpilot. Der Star des Bobsports in den vergangenen Jahren, Weltmeister, Olympiasieger mit beiden Schlitten, hoch dekoriert mit allen möglichen Medaillen. Ein Schumacher des Eiskanals. Für die Rente wird er dennoch nach der Karriere schuften müssen. Selbst die besten Bobfahrer oder Rodler kommen pro Saison mit ihren Einkünften aus "selbstständiger Tätigkeit", Prämien für die Erfolge, kaum über 20.000 Euro hinaus. "Ich bin als Pilot", sagt Lange zu seiner Berufsbezeichnung, "in der glücklichen Lage, mich nicht auf andere Dinge konzentrieren zu müssen." Weil sein Lohn für die Erfolge im Namen der Bundesrepublik jeden Monat überwiesen wird: Lange steht im Sold der Bundeswehr. Wie die meisten deutschen Kollegen, wenn sie nicht bei der Bundespolizei eine Chance nutzen: ein geregeltes Einkommen trotz des Sonderauftrags fern der Truppe. In Oberhof oder auf allen Bahnen der nördlichen Hemisphäre wird zwar nicht unbedingt die Freiheit des Landes verteidigt, aber zur Freude der Regierung am Glanz des Vaterlandes poliert. Jedenfalls reicht dem Verteidigungs- und dem Innenminister der Image-Gewinn, die Finanzierung der Staats- Profis zur rechtfertigen. Zumal der Sport liefert: 65 Prozent aller Medaillen bei den Winterspielen in Turin wurden allein von Soldaten im Trainingsanzug gewonnen. Mit den Prämien, den Einnahmen durch persönliche Sponsoren, dem Gehalt des Dienstherren und der monatlichen Unterstützung durch die Stiftung <strong>Deutsche</strong> Sporthilfe lässt sich leben. Sparsame Zeitgenossen wie Lange bringen es mit 30 zum Bau eines Häuschens. Zumal die Ausgaben im Winter überschaubar bleiben: Für Kost und Logis bei den Wettkämpfen, für den Transport zahlt der Verband, für Kleidung mitunter ein Sponsor. "Natürlich müssen unsere Athleten Spitzenleistungen bieten, immer wieder", sagt der Generalsekretär des Bob- und Schlittenverbandes für Deutschland, Stefan Krauß, "andernfalls fällt man relativ schnell aus der Förderung." Aber nicht wie aus heiterem Himmel in die Perspektivlosigkeit. Der junge Rodler, der es nie schaffte, der Ikone Georg Hackl oder Weltmeister David Möller im Eiskanal annähernd zu folgen, läuft inzwischen ganz zufrieden Streife in Dresden. Aber selbst ohne doppelten Boden und Netz muss man nicht untergehen. Ein erstklassiger deutscher Ruderer hat nach seiner Karriere laut Statistik einen Job als Steuermann in einem akademischen Beruf vor sich. Weil diese Amateure mit professioneller Einstellung ihre Wege wie wahre Lebenskünstler organisieren? Trainingslager zahlen die Vereine, wenn sie können. Andernfalls leiten die Sportler auch schon mal die "lebenswichtige" Elite-Förderung der Sporthilfe um. "Zeitmanagement" ist das Zauberwort, die erfolgreiche Bewältigung von Studium und Training die inoffizielle Reifeprüfung für höhere Aufgaben im wirklichen Leben. Der Sport als Schule. Denn auf größere Rücksicht sollte ein Ruderer nicht vertrauen, wenn er sich in die Riemen legen will. In Cambridge stehen deutsche Ruderer um 5.30 Uhr auf, um schon vor dem Studium das Training absolvieren und dem Unmut der Professoren entgehen zu können: Sie sollen Denker werden, nicht Ruderer, mahnen die Dozenten, falls die Leistung nachlässt. Handball-Spieler Immel setzt dagegen auf die Kombination von Körper und Geist zur Überwindung aller Hindernisse: "Ich mache mir keine Sorgen, wenn ich den Nachwuchs sehe. Da sind viele intelligente Kinder darunter. Die werden Spitzensport und Ausbildung gut verbinden." OF 15
Sven Felski oder Die Vereinstreue eines Profis in Zeiten sportlichen Söldnertums <strong>Von</strong> Andreas Müller 16