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Von Steffen Haffner - Deutsche Olympische Gesellschaft

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Auch bei der Drogenprävention schlage der Fußball in<br />

Deutschland einen falschen Weg ein. Der Fußball mache sich<br />

selbst etwas vor, wenn er behaupte, dass die Jugendlichen<br />

überall trinken und rauchen, nur nicht im Fußballverein.<br />

"Nirgendwo wird so viel getrunken und geraucht wie im<br />

Fußball und im Handball. Es geht aber auch nicht nur darum.<br />

Die Hemmschwellen zu harten Drogen werden durch frühen<br />

Alkohol- und Nikotinkonsum immer geringer", sagt Brettschneider.<br />

So sehr der Forscher die Selbstkritik in weiten Bereichen des<br />

Fußballs vermisst, so sehr hat er sie in anderen Verbänden<br />

gefunden. Das ist ein guter Anfang, vor allem, weil sich der<br />

Sport immer größeren Herausforderungen gegenübersieht.<br />

Die <strong>Gesellschaft</strong> wird immer älter, es gibt steigende soziale<br />

Konflikte, etwa durch Migration, der Bewegungsmangel bei<br />

Kindern wird immer auffälliger. Außerdem muss sich der<br />

Sportverein auch noch gegen kommerzielle Anbieter<br />

behaupten. Wie kann er das alles schaffen?<br />

Er schafft es schon in vielen Regionen Deutschlands, selbst<br />

in den sozialen Krisengebieten der großen Städte. Vereine,<br />

die diese Herausforderungen bewältigen, haben einiges<br />

gemeinsam. Es lässt sich im wesentlichen unter drei Schlagworte<br />

fassen: Qualifizierung, Ausdifferenzierung und Kooperation.<br />

Auf gutes Personal kommt es also an und darauf, dass<br />

die Angebote auf die einzelnen Mitglieder zugeschnitten<br />

sind. Ein Beispiel: Der Berliner Verein SV Empor Köpenick legt<br />

seit einigen Jahren einen Schwerpunkt auf den Vorschulsport.<br />

468 der knapp 1.400 Vereinsmitglieder sind Vorschulkinder.<br />

Um sie kümmern sich Übungsleiter, die sich auf den<br />

Sport mit Kindern spezialisiert haben und auch noch psychologische<br />

Kenntnisse mitbringen. Ein weiterer Grund für den<br />

Erfolg des Konzepts ist die Kooperationsfreude des Vereins.<br />

Seitdem die Köpenicker mit Kindergärten zusammenarbeiten,<br />

hat sich die Zahl ihrer Vorschulsportler fast verdoppelt.<br />

Davon haben alle etwas, auch der Kindergarten, denn er darf<br />

sich das Siegel "Bewegungsintensive Kita" an die Tür heften.<br />

<strong>Von</strong> Beginn an hält sich der Verein an die Erkenntnis, dass<br />

allgemeines Training für Kinder sinnvoller ist als spezielles.<br />

"Die Kinder müssen von allem etwas können, dann sind sie<br />

später körperlich intelligenter", sagt Vereinsgeschäftsführerin<br />

Angelika Lehmann. Beim SV Empor Köpenick trainieren sie<br />

daher ihre Geschicklichkeit, ihre Wahrnehmung, ihre Schnelligkeit<br />

und Beweglichkeit. Im Vorschulsport lernen die Kinder<br />

die Grundrechenarten des Körpers. Der TSV Bayer 04 Leverkusen<br />

hat gleich eine eigene Abteilung für allgemeinen<br />

Kinder- und Jugendsport gegründet, in der zurzeit 2.700<br />

Kinder im Alter zwischen einem Jahr und acht Jahren Sport<br />

treiben - "spielerisch, allgemein und grundmotorisch", sagt<br />

die Abteilungsleiterin Anne Wingchen. Viele Elemente kommen<br />

dabei aus dem Turnen. "Früher als mit acht Jahren<br />

müssen sich die Kinder nicht für eine Sportart entscheiden",<br />

44<br />

sagt Wingchen, "unsere Erfahrung ist: Je später sie sich<br />

spezialisieren, desto eher landen sie im Leistungssport." Viele<br />

Vereine hätten den Schock der Brettschneider-Studie gar<br />

nicht gebraucht. Sie haben schon vorher, teils instinktiv, teils<br />

wohlüberlegt das Richtige getan und einen Wunsch erfüllt,<br />

den Brettschneider an den Sport hat: Er müsse sozialer<br />

werden. Leistungssport - auf jeden Fall. "Aber es muss auch<br />

möglich sein, Leistung zu relativieren. Die Höhe der Aufgaben<br />

in Passung zu bringen mit dem persönlichen Kompetenzniveau<br />

- jemanden nicht zu überfordern und nicht zu<br />

unterfordern", sagt Brettschneider. Das gilt für den Nachwuchsbereich<br />

genauso wie für den Seniorenbereich. Entscheidend<br />

sind auch hier - die Übungsleiter. Das bestätigt<br />

etwa Elke Schramm, die beim Berliner Klub "Kietz für Kids<br />

Freizeitsport" Seniorengruppen betreut und dem Verein in<br />

Berlin damit zu einem ausgezeichneten Ruf verholfen hat.<br />

Wenn die 64-Jährige eine Gruppe leitet und beispielsweise<br />

einen Einbeinstand vorführt, dann wackele sie manchmal mit<br />

Absicht ein bisschen, um zu zeigen, dass sie ebenfalls an<br />

ihren Schwächen arbeiten müsse. "Man muss auf die Bedürfnisse<br />

der älteren Leute eingehen und Ansprechpartner sein",<br />

sagt sie.<br />

Viele Vereine haben erkannt, dass ältere Menschen heute<br />

vitaler sind und andere Ansprüche haben und ihre Angebote<br />

an sie angepasst. Dieser Anpassungsprozess wird auch im<br />

Nachwuchsbereich weitergehen mit den bewährten Mitteln<br />

Qualifizierung, Differenzierung und Kooperation. "Man muss<br />

Gruppen mit unterschiedlichen Niveaus einrichten. Aber das<br />

findet nicht überall Befürworter", sagt Brettschneider. "Die<br />

Pole wandern schließlich immer weiter auseinander. Auf der<br />

einen Seite stehen immer mehr Eliteschulen, auf der anderen<br />

Seite Konzepte, die auch weniger Begabten eine Chance<br />

geben. Die Diskussion um die Ausrichtung der Sportvereine<br />

und ihrer Jugendarbeit wird darum an Heftigkeit zunehmen."<br />

Sie ist jedenfalls schon voll im Gange, teilweise ausgelöst<br />

durch die Studie von Wolf-Dietrich Brettschneider, der selbst<br />

einen Lernprozess mitgemacht hat. "Die Eliteförderung stand<br />

und steht bei mir nicht in Frage, aber ich habe mir zu wenige<br />

Gedanken gemacht um jene, die im Schatten stehen: übergewichtige<br />

Kinder zum Beispiel." Die müsse man nun verstärkt<br />

emotional ansprechen, Frusterlebnisse vermeiden und ihnen<br />

stattdessen vermitteln: Ich kann das. Der Sport müsse also<br />

sich um einzelne Gruppen intensiver kümmern, auch um<br />

Migrantenkinder und um Mädchen, denn der Jugendbereich<br />

der Sportvereine sei immer noch eine Männerdomäne, weil<br />

männliche Übungsleiter dominierten und sich die Angebote<br />

inhaltlich zu wenig an den Bedürfnissen der Mädchen orientierten.<br />

Diese Anforderungen mögen einigen Vereinen noch<br />

unbekannt sein. Doch viele Vereine in Deutschland müssen<br />

sich ihre Arbeit nicht mehr von der Wissenschaft neu bestimmen<br />

lassen. Sie sind täglich dabei, kleine aber sinnvolle Antworten<br />

auf große gesellschaftliche Fragen zu geben.<br />

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