Stefan f l Gergely - stefan m. gergely
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»Man hat uns belogen«, entrüstet sich nun, zwei Wochen nach dem Reaktorunglück,<br />
ein sonst betont zurückhaltender Präsentator einer aktuellen<br />
Sendung des französischen Femsehens. Der Zorn scheint berechtigt:<br />
Seit der Reaktorkatastrophe in der Ukraine hatten die mit der<br />
Überwachung der Radioaktivität beauftragten Amtsstellen den Franzosen<br />
einzureden versucht, die »Todeswolke« sei Dank einem (offenbar<br />
frankophilen) »Azorenhoch« präzise über dem Rhein, über dem Jura<br />
und den Alpen zum stehen gekommen und habe dort brav kehrt gemacht.<br />
Wer sich zur Frage erkühnte, warum zum Beispiel in Kehl der<br />
Genuß von Salat und Spinat verboten, im unmittelbar danebenliegenden<br />
Straßbuig aber erlaubt sei, erhielt als Antwort einen verächtlichen Hinweis<br />
auf die »typisch deutsche Hysterie«. Die Gründe für das wohl dirigierte<br />
Verdunklungsmanöver sind klar: Frankreich ist mit 40 Reaktoranlagen,<br />
gemessen an der Größe des Landes und seiner Bevölkerung, bei<br />
der Nutzung der Kernkraft am weitesten: 65 Prozent ihres Strombedarfes<br />
werden inzwischen aus Atomkraftwerken gedeckt. Kernenergie stellt<br />
seit langem in Frankreich ein Tabu-Thema dar; sie zu kritisieren, kommt<br />
einer Nestbeschmutzung gleich. Deshalb konnte der Leiter des Amtes<br />
für Strahlenschutz zunächst jegliche Gefahr ableugnen, ohne kritisiert<br />
zu werden. Plötzlich aber brechen die Dämme: Die alarmierenden Meldungen<br />
aus den Nachbarländern lassen sich nicht länger unterdrücken,<br />
Bauern aus der Provence erscheinen vor den Fernsehkameras mit ihrem<br />
verseuchten Gemüse und mit ihrer Milch, die man an der Grenze zur<br />
Schweiz und zu Deutschland zurückgewiesen hat Mit großer Verspätung<br />
stellt sich heraus, daß am 2. Mai über dem größten Teil Frankreichs<br />
eine radioaktive Belastung der Atmosphäre gegeben war, die bis<br />
zu 400 Mal über den normalen Werten lag. Umweltschutzminister Alain<br />
Carignon wäscht seine Hände in Unschuld: Für die Sicherheitsmaßnahmen<br />
sei der Industrieminister verantwortlich, für die Überwachung der<br />
Radioaktivität die ihm vorgesetzte Gesundheitsministerin (beide scheinen<br />
vom Erdboden verschluckt zu sein). Die verspätete Information der<br />
Bevölkerung sei im übrigen durchaus begreiflich und normal: Frankreich<br />
habe ja mit dem 1. und 8. Mai zwei verlängerte Wochenenden mit<br />
einigen Ruhetagen hinter sich.<br />
In den sowjetischen Medien wird zunehmend über das Reaktorunglück<br />
berichtet. Die Medien schildern heroische Attacken gegen die widerspenstigen<br />
Naturelemente und venbreiten dabei Gegensätzliches. So<br />
heißt es an einer Stelle, die Evakuierung sei Dank dem selbstlosen Einsatz<br />
vieler Helfer hervorragend organisiert gewesen. Dagegen meldet<br />
die Prawda Strafen für Genossen, die versagt hatten. Berichten, die<br />
knapp 100.000 Evakuierten aus der Sperrzone wären bei der Aktion ruhig<br />
geblieben, stehen Informationen gegenüber, es habe »auch einige<br />
Fälle von Panik« gegeben (Prawda).<br />
Daten über die Verseuchung der ukrainischen, baltischen und weißrussi-<br />
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