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Ausgabe 4/2007 - Deutsche Olympische Gesellschaft

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ehaupten muss, sondern wie er sich unter diesen Bedingungen<br />

behaupten kann.<br />

In Coubertins Sinne war der Sport eine Art zeitgemäßer<br />

Unzeitgemäßheit, eine Gegenbewegung, zumindest aber<br />

keine Antriebswelle, sondern eine Ausgleichwelle im Motor<br />

des Fortschrittes. Diese einerseits stimulierende, andererseits<br />

retardierende Rolle vermag der Sport heute nicht mehr<br />

wahrzunehmen. Der Sport ist in die dominierenden Kräfte der<br />

gesellschaftlichen Entwicklung integriert. Die Visionen eines<br />

Coubertin, eines Diem oder eines Daume bleiben jedoch<br />

historisch stimulierend, sie haben, trotz aller dramatischen<br />

Veränderung, tiefe Spuren hinterlassen.<br />

Der Sport als moralisches Zugpferd war dennoch schon<br />

immer missbräuchlich wie alle moralischen Zugpferde. Er ist<br />

heute im übrigen auch ein moralisches Sorgenkind. Die<br />

Phänomene der Professionalisierung und der Kommerzialisierung<br />

des Sportes, der Medikalisierung und schließlich der<br />

Mediatisierung drängen sich auf. Das Phänomen der zunehmenden<br />

Aggressivität hat eigene Ursprünge in der Ellenbogengesellschaft.<br />

Dennoch ist der Sport nicht total verwandelt worden. Er<br />

bleibt auch in seinem Breiten- und Spitzenbereich ein<br />

moralisches Exponat der <strong>Gesellschaft</strong>, ein Seismograph des<br />

sichtbar Guten und sichtbar Schlechten, des Richtigen und<br />

Falschen überhaupt. Immer noch geschieht im Sport moralisch<br />

Vorbildliches, z.B. an Ausländerintegration, an sozialen<br />

Aufstiegschancen, an Solidarität mit Behinderten und<br />

Benachteiligten, an Bemühen um Frieden, um ausgleichende<br />

Gerechtigkeit und schließlich um ein ökologisches Bewusstsein.<br />

Auch eine offene Leibfreundlichkeit hat uns der Sport<br />

gelehrt.<br />

Es wäre deshalb falsch, wenn man nur von Auswüchsen, von<br />

der Missbräuchlichkeit des Guten, von schwarzen Schafen<br />

und dergleichen reden würde. Damit würde die grundsätzliche<br />

Ambivalenz der Sportentwicklung, die olympische eingeschlossen,<br />

nicht ausreichend markiert. Das Problem liegt<br />

durchaus in Institutionen und Systemen, die sich unter der<br />

Dominanz der normativen Kräfte vermeintlicher Zwänge so<br />

angepasst haben, dass man, etwa in Analogie zu einem<br />

alternativen Nobelpreis, schon Ausschau hält nach einem<br />

"alternativen Olympia".<br />

Wenn nach der Tradition der moralischen Haltungsbilder, die<br />

wir Tugenden nennen, derjenige gut ist, der auch unter<br />

Belastung, unter Verführung oder unter erfolgsorientierten<br />

strategischen Erwägungen zu seinen Maximen steht, dann ist<br />

auch deutlich, wo die individuelle, moralische Vorbildlichkeit<br />

im Sport zu suchen ist, nicht nur, was ein faires Verhalten<br />

betrifft.<br />

10<br />

Oft wird einer Anerkennung des eigenen Erfolges bzw. der<br />

Verhinderung fremden Erfolges in der Weise das Wort geredet,<br />

das eben doch der Zweck die Mittel heiligt. Wird ein Foul<br />

als Zeichen der Ernsthaftigkeit gelobt, mit welcher sich der<br />

Wille zum Erfolg zum Ausdruck bringt, so spiegelt dies wiederum<br />

die Mentalität: richtig ist, was effizient ist. Würde man<br />

hingegen die Folgen, z.B. des Dopings, nicht nur einbahnig<br />

auf der Ebene von Sieg und Niederlage betrachten, sondern<br />

quer dazu auf der Ebene der Auswirkungen auf einzelne<br />

beteiligte Menschen, müsste man auch hier die Folgen sehen<br />

und bewerten: die Selbstschädigung ebenso wie die Fremdschädigung,<br />

die man etwa bei rohem Spiel im Mannschaftsport<br />

oder im körpernahen Wettbewerb in Kauf nimmt, die<br />

Entwertung des Erfolgs vor den moralischen Maximen. Letzteres<br />

setzt freilich ein sensibles Gewissen voraus, das die<br />

Moral nicht nur als Waffe gegen andere sondern vor allem als<br />

Selbstkontrolle einsetzt.<br />

Neben der moralisch falschen Zweck-Mittel-Beziehung ist<br />

das ebenfalls weitverbreitete Vorurteil zu beachten, das<br />

moralisch Richtige sei auf die Ebene des Leistbaren herabzufahren,<br />

sobald es in konkrete Wettbewerbsprozesse eingeführt<br />

werde. Diese bequeme Art "Implementierungs"-Ethik<br />

schlägt dann vor, unvermeidliche und erfolgsnotwendige<br />

Ermäßigungen des moralischen Anspruches so durchzuführen,<br />

dass sogenannte "Querfolgen", etwa die Möglichkeit<br />

gesundheitlicher Schädigung, nicht eintreten. Es gehe also<br />

darum, Fouls oder auch verdächtige Medikalisierungen<br />

auf eine Weise zu üben, dass sie funktionsgerecht sind,<br />

wenig Schaden anrichten und möglichst nicht bemerkt<br />

werden. Falls sie doch bemerkt werden, ist man bereit, die<br />

Sanktionen zu akzeptieren. Schuldig ist nur der erwischte<br />

Täter.<br />

Die Frage ist aber, ob Sportler bereit sind, ihre moralische<br />

Selbstverpflichtung bis zur Akzeptanz des Misserfolges zu<br />

treiben, oder unterstellen sie diese vorbehaltlos der Kategorie<br />

des Erfolges? Wie schon angedeutet, ist dies nicht nur<br />

eine Frage der Sporttreibenden, sondern auch ihres Umfeldes,<br />

von den Trainern über die Funktionäre bis hin zu den<br />

Mediatoren, zu den Sponsoren und zum Publikum. Wo sind<br />

dort die Vorbilder? So hat die Dopingfrage auch deshalb<br />

einen hohen Stellenwert, weil sie am Leistungsport illustriert,<br />

was auch sonst in der <strong>Gesellschaft</strong> im Argen liegt,<br />

wenn sich zum Beispiel Prüflinge medikalisieren lassen und<br />

wenn Leistung zwischen Stimulanzien und Tranquilizern<br />

erbracht wird.<br />

Gerade in olympischem Zusammenhang wird Sport oft als<br />

Möglichkeit zu mehr Menschlichkeit ausgewiesen. Dem ist<br />

auch nicht zu widersprechen, insoweit der Sport um diese<br />

Mittelfunktion im Verhältnis zu anderen Werten weiß: um die<br />

Friedensförderung, um den Kampf gegen Diskriminierungen<br />

durch Rassismus, Seximus und Klassismus, durch Ausbeutung

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