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Ausgabe 4/2007 - Deutsche Olympische Gesellschaft

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gerecht zu werden, das ihm die Anerkennung als Kulturgut<br />

verweigerte.<br />

Dieses Verständnis von Kultur hat sich in den letzten Jahrzehnten<br />

allerdings tiefgreifend verändert. Kultur ist nun alles,<br />

und alles ist Kultur, wie der Kulturwissenschaftler Hermann<br />

Bausinger bemerkt. Kultur wird kaum noch normativ verstanden.<br />

Ein einheitliches Kulturverständnis gibt es nicht mehr. Der<br />

Kulturbegriff ist schillernd und vieldeutig. Er umfasst natürlich<br />

noch das, was traditionell unter Kultur verstanden wurde, geht<br />

inzwischen aber weit darüber hinaus und reicht von Beamten-<br />

, Kneipen- und Liebeskultur bis hin zu Wirtschafts-, Wissenschafts-,<br />

Gesundheits-, Medizin-, Politik-, Jugend- und Jeans-<br />

Kultur, Leitkultur und Streitkultur, von der Kultur der öffentlichen<br />

Wandsprüche und der Kehlkopfkultur, womit das Jodeln<br />

in der Schweiz gemeint ist, bis zu Nacktkörperkultur und<br />

Freibadkultur. Nach dem Urteil über die Münchener Biergärten<br />

hieß der partei- und geschlechtsübergreifende Kampfruf im<br />

Freistaat: Rettet die bayerische Biergartenkultur. Und angesichts<br />

der Verbotspläne der EU artikulierten die Bierbrauer<br />

ihren Protest mit dem Satz: Bier ist ein Kulturgut.<br />

In diesem Zusammenhang hat sich aber auch die Praxis der<br />

traditionellen "Hochkultur" selbst verändert. Indem ihr mit<br />

Kulturnächten, Kulturstädten, Kulturfahrten, Kulturfestivals,<br />

Kulturgipfeln, Kulturbotschaftern, Opern auf Seebühnen und<br />

Theaterstücken in Fabrikhallen ein moderneres Image verschafft<br />

werden soll, entfernt sie sich von ihrem ursprünglichen<br />

Verständnis und übernimmt zunehmend Elemente der<br />

lange verachteten Erlebnis-, Pop- und Eventkultur. Dazu<br />

passt, dass viele, die sich früher lieber der traditionellen<br />

Kultur zurechnen ließen, sich heute auch gern in den<br />

gepflegten VIP-Logen der neuen Sportarenen aufhalten, wo<br />

sie mit der Prominenz aus Staat, Wirtschaft und Sport in der<br />

ersten Reihe sitzen und gelegentlich sogar unmittelbar mit<br />

erleben können, wie die Bundeskanzlerin verschwitzte und<br />

etwas erschrockene Fußballspieler herzt.<br />

Fazit: Auch die Kultur ist in Auflösung begriffen. Ein anderes,<br />

weites Kulturverständnis hat sich ausgebreitet. Die Empfehlung,<br />

die ein renommierter Verfassungsrechtler in seinem<br />

ansonsten schlüssigen FAZ-Artikel an den Sport richtete, er<br />

könne auch als Staatsziel nicht vor Gefährdungen durch<br />

Dritte geschützt werden, wenn er gefährdet sei, dann durch<br />

sich selber, muss auch für eine Kultur gelten, die inzwischen<br />

nicht mehr die alte ist.<br />

Auch der Sport ist dabei:<br />

Sport als Teilkultur<br />

In der bunten Reihe von heute mit dem Wort Kultur verbundenen<br />

Phänomenen wie Wirtschaft, Medien, Medizin, Theater,<br />

30<br />

Politik, Universitäten, Jodeln, Bier, Erotik, Kino und Spaghetti<br />

ist nun auch der Sport dabei, und so verwundert es nicht,<br />

wenn deshalb auch von Sportkultur die Rede ist. Nicht mehr<br />

nur das, was in Firmen, Verwaltungen, Küchen und Schlafzimmern,<br />

in Kneipen und auf Theaterbühnen, sondern eben<br />

auch das, was beim Fußball und Skifahren, in Turnhallen und<br />

Schwimmbädern passiert, gilt inzwischen als Teil (alltags-<br />

)kulturellen Lebens.<br />

Die Feststellung, dass der Sport "Kultur" ist, bekommt damit<br />

allerdings eine andere Qualität. Ein Grund dafür liegt darin,<br />

dass sich das, was traditionell zumindest in Deutschland als<br />

Kultur verstanden wurde, verändert und auch noch in unterschiedliche<br />

"Teilkulturen" aufgelöst hat; und über diese<br />

hinaus werden inzwischen auch noch andere Lebensbereiche,<br />

die bislang nicht zur Kultur zählten, mit dem Namen "Kultur"<br />

verbunden. Alle diese Teilbereiche wiederum sind aber nicht<br />

mehr von übergreifenden kulturellen Wertorientierungen<br />

geprägt, sondern konstituieren sich intern über ihre eigenen,<br />

spezifischen Sinnzusammenhänge und sind bemüht, über<br />

diese ihren mehr oder weniger festen inneren Zusammenhalt<br />

zu finden. Auch der Sport ist in diesem Sinne eine solche<br />

"Teilkultur".<br />

Diese Teilkultur des Sports hat sich dabei sogar noch weiter<br />

ausdifferenziert. Inzwischen spricht man auch von Leistungssportkultur,<br />

Breitensportkultur, Fußballkultur, Laufkultur,<br />

Spielkultur, Vereinskultur, Schulsportkultur oder sogar einer<br />

"alternativen" Sportkultur. Sportkultur wird zu einer Sammelbezeichnung<br />

für ganz unterschiedliche körperkulturelle<br />

Bereiche und vielfältige Ausprägungen sportlichen Lebens in<br />

Vereinen und Verbänden, aber auch Schulen, Universitäten,<br />

gewerblichen Einrichtungen, Volkshochschulen, Krankenkassen,<br />

Gemeinden und Kirchen. Auch das auf Unterhaltung und<br />

Werbung ausgerichtete Sportangebot der Medien wird zur<br />

Sportkultur gezählt, ebenso der professionelle Sport mit all<br />

seinen Varianten und Darstellungsformen von aufgeblasenen<br />

Boxevents im Fernsehen bis zu den schönen Sommer- und<br />

Wintermärchen im Fußball und Handball.<br />

Darüber hinaus entwickeln sich inzwischen im Rahmen dieser<br />

neuen Sportkultur auch noch eigene "Subkulturen", die sich<br />

wiederum durch besondere und oft eigenwillige Sinnmuster,<br />

Mentalitäten, Verhaltensweisen und Symbole Formen der<br />

Abgrenzung nach außen und der Bindung nach innen verschaffen.<br />

Die Frankfurter Eintracht-Fans mit ihren Fahnen,<br />

Ritualen, Schlachtgesängen und ihrer Bekleidung,<br />

geschmückt mit den Namen ihrer besten Spieler; die englischen<br />

Rugbyspieler mit ihrem großen Repertoire an unanständigen<br />

Liedern, inzwischen auch Rugbyspielerinnen, für<br />

die im Internet ein eigenes Liederbuch angeboten wird,<br />

dessen Texte nicht gerade für sensible Männernaturen geeignet<br />

sind; die langhaarigen und angeblich moralisch ziemlich<br />

lockeren Brandungssurfer an australischen Küsten und als ihr

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