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Ausgabe 4/2007 - Deutsche Olympische Gesellschaft

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Gegenbild die pflichtbewussten und enthaltsamen Lifesaver;<br />

die Bodybuilder, für die ihr Körper gleich dreierlei ist: das<br />

Rohmaterial, das bearbeitet wird, das "Werkzeug", mit dem<br />

dies geschieht und schließlich das ästhetische "Kunstwerk",<br />

das am Ende steht, wie die Soziologin Anne Hohner aufzeigt<br />

- sie alle schaffen sich eigene (sportliche) Subkulturen und<br />

subkulturelle "Szenen" oder kleine mentalitätsprägende<br />

soziale Sinnwelten, in denen die Instrumentalisierung des<br />

Körpers und seine Verwendung zur individuellen oder<br />

gemeinsamen Selbststilisierung gleichermaßen konkret werden<br />

können.<br />

Wenn nun in einer solchen durchaus ambivalenten Weise der<br />

Sport "Teil" der Kultur geworden ist, wurde er dies aber nicht<br />

deshalb, weil er sich zu einem im traditionellen Sinne wertvollen<br />

Kulturgut entwickelt hätte. Er wurde zu einem "Kulturgut",<br />

indem er für viele Menschen zu einem wichtigen<br />

Bereich ihrer Alltagskultur wurde und sich zugleich eine<br />

andere Auffassung von Kultur durchsetzte, wobei er den<br />

Status eines Teils dieser anders als zuvor verstandenen Kultur<br />

erlangte - was nicht zuletzt auch mit seiner gewachsenen<br />

politischen, ökonomischen und medialen Bedeutung zusammenhängt.<br />

Ein verflachtes, ausgeweitetes und unscharf<br />

gewordenes Kulturverständnis bezieht inzwischen fast alle<br />

menschlichen Tätigkeiten und Lebensbereiche ein: Brutalitäten,<br />

Obszönitäten, Dümmlichkeiten und Banalitäten ebenso<br />

wie herausragende wissenschaftliche, technische, künstlerische,<br />

literarische und ästhetische Leistungen und moralische<br />

Haltungen - jetzt gehört eben auch der Sport dazu. Varianten<br />

und selbst Extreme des kulturellen Lebens spiegeln sich nun<br />

auch in ihm wider.<br />

Aber immer hat er auch den Anspruch, mit seinen Fairneßregeln,<br />

seiner <strong>Olympische</strong>n Idee, seiner Internationalität und<br />

sozialen Bindekraft ein wenig besser zu sein als die <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

zu der er gehört - dies unterscheidet ihn übrigens<br />

deutlich von manchen anderen Teilkulturen. Genau das muss<br />

als Chance begriffen und entsprechend genutzt werden. Es<br />

gibt schöne Beispiele dafür, dass dies möglich ist. Ein überzeugendes<br />

Beispiel dafür sind die <strong>Olympische</strong>n Spiele von<br />

München, bei denen es unter der Regie von Willi Daume in<br />

einmaliger Weise gelang, dem olympischen Ideal der Verbindung<br />

von sportlicher Athletik mit Kunst, Musik, Theater,<br />

Design, Wissenschaft, Ausstellungen, Landschaftsgestaltung,<br />

Sportstätten-Architektur und urbanem Leben gerecht zu<br />

werden - bis ein furchtbares Attentat die Spiele in eine existentielle<br />

Krise stürzte, aber ihre Idee doch nicht zerstören<br />

konnte.<br />

Aber an all diesem ändert sich jedoch weder etwas, wenn<br />

man sich einfach nur das Wort "Kulturgut" als Etikett anheftet,<br />

noch wenn man dafür die Nennung im Grundgesetz zur<br />

Voraussetzung macht. Von den meisten Bundesländern, auf<br />

die man sich in diesem Zusammenhang gerne beruft, weil sie<br />

Sport bereits in ihre Landesverfassungen aufgenommen<br />

haben, kann man wirklich nicht sagen, dass in ihnen ein<br />

besserer Sport zu besichtigen ist als dort wo dies nicht der<br />

Fall ist. Manche zögern nicht einmal, Schulsportstunden zu<br />

kürzen oder die Schließung von akademischen Ausbildungsstätten<br />

für Sportlehrer vorzusehen. Dabei gehörten gerade<br />

die Sporterziehung und die Sportwissenschaft an den Universitäten<br />

zu den wichtigen Belegen für die Bedeutung des<br />

Sports als Kultur.<br />

Der Sport hat sich auch selbst<br />

verändert<br />

Die Veränderungen im Verhältnis von Sport und Kultur hängen<br />

auch mit Veränderungen des Sports zusammen. Er ist in<br />

den letzten Jahrzehnten nicht nur quantitativ gewachsen, er<br />

hat sich auch qualitativ verändert: mehr Sportarten und<br />

Sportaktivitäten, mehr Vereine und Verbände im organisierten<br />

Sport, neben diesen neue kommerzielle, kommunale und<br />

sogar kirchliche Sportanbieter, insgesamt mehr Sportteilnehmerinnen<br />

und Sportteilnehmer sowie mehr Zuschauer.<br />

"Sport" gibt es in vielfältigen Formen. Deren Wahrnehmung<br />

und Verständnis reicht inzwischen von den "klassischen"<br />

Sportarten bis zum Spazierengehen, Rasenmähen und Trampen<br />

und vom Abenteuer-, Risiko-, Erlebnis-, Event-, Gefängnis-<br />

und Spaßsport bis zu Sporttherapie und Herz- und<br />

Gefäßsport, Sportreisen und Sporturlaub, Denksport, Theatersport<br />

und Fernsehsport. Auch Ladendiebstahl, Krankfeiern,<br />

Versicherungsbetrug und Steuerhinterziehung werden als<br />

Sport bezeichnet, sogar als Volkssport.<br />

Daneben gibt es noch die vielen privaten Sportaktivitäten.<br />

Während von Abenteuerlust und manchmal auch verdrängten<br />

Gefühlen geleitete Wildwasserfahrer, Langläufer, Segler,<br />

Tourengänger, Surfer und Alpinisten - Männer und Frauen -<br />

sich auf die individuelle Suche nach dem ultimativen Erlebniskick<br />

machen, wählen andere den umgekehrten Weg: Mit<br />

Hilfe von fernöstlichen Entspannungs-, Körper- und Bewegungsübungen<br />

begeben sie sich auf den umweltfreundlichen<br />

Selbstfindungstrip ins eigene Innere, wo man die noch unbekannten<br />

Seiten des eigenen Ichs zu finden hofft.<br />

Dabei haben sich auch die Beweggründe der Menschen,<br />

Sport zu treiben, verändert. "Nehmen Sie ein bisschen<br />

Sportsgeist mit ins Büro" konnte man vor Jahren auf der<br />

Reklame für ein Tennishemd lesen. Diese (neue) Art von<br />

Sportlichkeit ist aber nicht mehr nur Angelegenheit von<br />

aktiven Sportlerinnen und Sportlern. Sie breitet sich inzwischen<br />

über die sozialen Schichten und Altersstufen, auf die<br />

sich der traditionelle Sport vor allem konzentrierte, also<br />

Jugend und mittleres Alter (und vor allem Männer) hinweg<br />

aus und wird zum festen Bestandteil individueller Lebensstile<br />

fast aller Alterstufen und beider Geschlechter. Aber auch in<br />

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