Ausgabe 4/2007 - Deutsche Olympische Gesellschaft
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angenommenen Organ bieten kann - und was man dem<br />
Leben damit geben kann. Gauder schenkt den Kranken auf<br />
den Wartelisten für eine Transplantation als quicklebendiges<br />
Anschauungsobjekt Hoffnung. Und nicht nur ihnen.<br />
Jeder Mensch gerät früher oder später in einen Abstiegskampf.<br />
Wir verlieren unsere Arbeit, Lebenspartner, werden<br />
arm oder vielleicht selbst krank. Wer sich dann in erster<br />
Linie als Opfer fühle, verliere seine Kraft, glaubt Gauder.<br />
"Mit Jammern verschwendet man am Ende nur Zeit und<br />
Energie." Deswegen hat er das Leben nach der schweren<br />
Operation auch wieder selbst in die Hand genommen, sich<br />
nicht allein auf Ärzte verlassen, sondern auch in seinen<br />
Körper gehört. Gauder vermied es, "jede einzelne Stunde<br />
über Risiken und Nebenwirkungen nachzugrübeln". Er blieb<br />
sein ganz eigener Patient, fühlte, dass Sport ihm gut tun<br />
würde. Nur vier Tage nach der Transplantation saß er auf<br />
dem Fahrrad-Ergometer. Er reduzierte die tägliche Kortisondosis,<br />
bewegte sich wieder und steigerte dosiert die Belastung.<br />
Nicht alles ging glatt, auch Gauder hatte mit akuten<br />
Abstoßungsreaktionen zu kämpfen, die das Leben wieder<br />
ernsthaft in Gefahr brachten. Doch der Sportsgeist ließ ihn<br />
weder im Krankenbett noch in der Rehabilitation los. Wie<br />
auch, wenn jemand eine Hochleistungssportkarriere hinter<br />
sich hat, von der er selbst sagt: "Ich wollte so hart trainieren,<br />
dass ich an meinem schwächsten Tag immer noch<br />
besser als die anderen war." Der härteste Gegner war seine<br />
Krankheit. Dr. Susanne Kapell vom <strong>Deutsche</strong>n Herzzentrum<br />
in Berlin fasst die Geschichte so zusammen: "Hartwig<br />
Gauder ist durch die Hölle gegangen. Obwohl er wie verrückt<br />
gekämpft hat, drohte er allmählich zu erlöschen. Sein<br />
Leben stand auf der Kippe, und trotzdem habe ich nicht ein<br />
einziges Mal erlebt, dass er sich fallengelassen hätte. Im<br />
Gegenteil, er hat uns immer wieder überrascht."<br />
Das zweite Leben von Hartwig Gauder ist vor allem von<br />
einem geprägt: Optimismus. Sein Ja zum Leben spiegelt<br />
sich in einer Anekdote wider, die er gerne erzählt: Am<br />
42<br />
längsten mit einem fremden Herzen, mehr als 22 Jahre,<br />
lebte bisher ein US-Amerikaner - ehe er von einem Lastwagen<br />
überfahren wurde. Und dann fügt er hinzu: "Ich sollte<br />
mich vor Lastwagen in Acht nehmen." Gauder hat es<br />
geschafft, dass ihn seine Wegbegleiter heute keinesfalls<br />
mehr als kranken Menschen bezeichnen würden. Auch<br />
wenn Marathonläufe oder eine Bergbesteigung mit transplantiertem<br />
Herzen für ihn "keine extremen" Belastungen<br />
seien, möchte er mit solchen Aktionen nicht ausdrücken,<br />
dass jeder Transplantierte ihm nacheifern sollte. Er erwartet<br />
auch nicht von jedermann Verständnis für seine Extremtouren,<br />
aber die seien eben seine persönliche Art, als Sportler<br />
mit seiner speziellen Situation umzugehen. "Ich überanstrenge<br />
mich nicht und komme mit einem Lächeln ins Ziel."<br />
Sicher, es könne nicht Sinn und Zweck einer Transplantation<br />
sein, nachher Marathonläufe zu absolvieren. "Doch jeder<br />
Transplantierte sollte seine Grenzen vorsichtig austesten,<br />
ohne mit seinem neuen Organ lax umzugehen."<br />
Mit seiner anhaltenden Sportlichkeit will Gauder nicht<br />
zuletzt auch anderen Menschen den Anstoß geben, Spendebereitschaft<br />
zu zeigen und einen Organspendeausweis<br />
auszufüllen. Denn er weiß, dass er großes Glück hatte.<br />
Jeden Tag sterben in Deutschland drei Menschen auf der<br />
Warteliste für ein neues Organ. Wer eines gespendet<br />
bekommt, darf sich als Lottogewinner fühlen - obwohl die<br />
rechnerische Chance, eine Spende anzunehmen, noch<br />
größer ist als die Möglichkeit, selbst nach dem Tod Organe<br />
zu geben.<br />
Wer Hartwig Gauders Geschichte im Hinterkopf hat (im<br />
Frühjahr <strong>2007</strong> als Buch mit dem Titel "Zwei Leben, drei<br />
Herzen" erschienen), der mag für eine Lebenskrise besser<br />
gewappnet sein, und wenn er nur mal innehält und über<br />
Gauders Lebensmotto nachdenkt: "Fürchte dich nicht,<br />
langsam zu gehen, fürchte dich nur, stehen zu bleiben."<br />
Wie Gauder kann nur jemand denken, an dem das Leben<br />
nicht spurlos vorüber<br />
gegangen ist. Er ist durch<br />
alle Höhen und Tiefen<br />
gegangen. Gerade aus der<br />
Todesnähe und dem vor<br />
mehr als zehn Jahren täglich<br />
geführten Kampf ums<br />
Leben schöpft sich seine<br />
neue Kraft, die Signale der<br />
Zuversicht in die Welt funkt.<br />
"Ich möchte Spuren hinterlassen",<br />
sagt Gauder, "anderen<br />
etwas geben, nicht nur<br />
nehmen." Und das Geben,<br />
ohne etwas dafür zu erwarten,<br />
wird ihm heute selbst<br />
zur größten Hilfe.