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Ausgabe 4/2007 - Deutsche Olympische Gesellschaft

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der DDR May<br />

"wegen Verstoßes<br />

gegen die Amateurregel"lebenslang<br />

und tilgte<br />

seinen Namen aus<br />

allen seinen<br />

Ergebnislisten. Die<br />

100 Dollar stiftete<br />

der DVfL während<br />

einer Pressekonferenz,<br />

in der "dem<br />

habgierigen Kapitalismus"vorgeworfen<br />

wurde,<br />

DDR-Sportler anund<br />

abzuwerben,<br />

dem "Roten Kreuz".<br />

Über den Vorfall<br />

und das beabsichtigte Vorgehen berichtete die Sportführung der<br />

DDR schriftlich Erich Honecker und ließ sich die Maßnahmen vom<br />

Staatsratsvorsitzenden genehmigen. Die Puma-Laufschuhe, die<br />

May abgeben musste, verwahrte der Internationale Leichtathletik-<br />

Verband (IAAF) in seiner Londoner Geschäftsstelle. Skurrile Pointe:<br />

Als die IAAF nach Monte Carlo umzog und beim Aufräumen Mays<br />

Schuhe fand, schickte sie diese nach der Wende ausgerechnet an<br />

den DLV-Ehrenpräsidenten Professor Georg Wieczisk, den Mann,<br />

der als Präsident des DVfL der DDR May gemaßregelt hatte. Vor<br />

fünf Jahren schickte ihm dieser das Corpus delicti zu, gerade zum<br />

60. Geburtstag.<br />

Der Staatssicherheitsdienst hatte vergeblich von Jürgen May<br />

verlangt, "aus gesundheitlichen Gründen" seinen Rücktritt zu<br />

erklären. Von da an bespitzelte ihn die Stasi, verschaffte sich<br />

Zugang zu seiner Wohnung und hörte ihn ab. Die Karriere des 24jährigen<br />

Läufers schien beendet. Und auch die Ambitionen des<br />

gelernten Schriftsetzers und Volontärs bei der Erfurter Zeitung "Das<br />

Volk", Sportjournalist zu werden, waren dahin. Der zum Stillstand<br />

verurteilte Läufer gab sich mit diesem perspektivlosen Leben nicht<br />

zufrieden. "Ich sandte Signale nach Westen: Holt mich hier raus."<br />

Nach ihrer Flucht genossen es Jürgen May und seine Freundin erst<br />

einmal, in der Bundesrepublik frei durchatmen zu können. Freilich<br />

war die Zeit vorbei, in der sich der Thüringer weitgehend auf den<br />

Leistungssport konzentrieren konnte. Im Vordergrund stand nun<br />

der berufliche Werdegang. Bei Berno Wischmann in Mainz studierte<br />

er Sport, dazu Politik. Nebenbei musste er sehen, wie er seinen<br />

Drittel-Anteil an den insgesamt 30.000 Mark Kosten für die<br />

Fluchthelfer zurückzahlte. Karl Eyerkaufer hatte die Aktion mit<br />

20.000 Mark vorfinanziert. Den Rest hatte Jürgen Mays Bruder<br />

aufgebracht. Beide beteiligten sich gemeinsam mit Puma an der<br />

Summe. Sportlich musste sich der Läufer, der für Schwalbe Hanau,<br />

dann für den LAZ Main-Kinzig startete, vorerst mit nationalen<br />

Wettkämpfen zufrieden geben. Die IAAF hob zwar die lebenslange<br />

Sperre auf, sperrte ihn aber wegen des Verstoßes gegen den<br />

Amateurparagraphen bis nach den <strong>Olympische</strong>n Spielen von<br />

Mexiko 1968.<br />

Doch damit nicht genug. Die Rachsucht der DDR verhinderte 1969<br />

sein internationales Comeback bei der Europameisterschaft in<br />

Athen. Die ostdeutschen Funktionäre erreichten mit Verweis auf<br />

das Regelwerk, dass der Europäische Leichtathletik-Verband dem<br />

damals Siebenundzwanzigjährigen die Starterlaubnis versagte. In<br />

einem Akt der Solidarität zu ihrem Kameraden beschlossen die<br />

bundesdeutschen Leichtathleten erst mit 51:10 Stimmen und in<br />

einer zweiten Abstimmung, in Kenntnis der Tatsache, dass der<br />

eigene Verband die Lage falsch eingeschätzt hatte, mit 29:27<br />

Stimmen, die Europameisterschaft zu boykottieren. Nur die Staffeln<br />

starteten als Geste gegenüber den Griechen. "Ich habe ihnen<br />

damals gesagt: Macht das nicht. Denn ich wusste, viele verspielen<br />

die Chance ihres Lebens." Die Brüche in seiner Sportkarriere und<br />

die veränderten Lebensumstände waren schuld daran, dass May<br />

die großen Erfolge bei <strong>Olympische</strong>n Spielen und Europameisterschaften<br />

nicht vergönnt waren. Auch sei ihm die (altersbedingte)<br />

Umstellung auf die 5.000 Meter nie so recht gelungen. Und doch<br />

zeigte der Thüringer hin und wieder die Zähne. So, als er 1969 in<br />

Stockholm in der Jahresweltbestzeit von 13:33,0 Minuten die<br />

Weltelite mit Ron Clarke, Mohamed Gammoudi und Harald Norpoth<br />

bezwang.<br />

Die Schatten der Vergangenheit verflüchtigten sich. Doch dreißig<br />

Jahre nach der Flucht kamen die Ereignisse von einst noch einmal<br />

hoch. "Aus den Stasi-Akten habe ich erfahren, dass ich meine<br />

Sperre der damaligen Führung von Adidas zu verdanken hatte, die<br />

auf Einhaltung ihres Exklusivvertrages mit dem DDR-Verband<br />

bestand. Adidas hat die DDR-Funktionäre aufgefordert, die Dinge<br />

zu revidieren." Das einstige Sportidol der DDR war also nicht nur<br />

ein Opfer des Kalten Krieges, sondern auch des Herzogenauracher<br />

Bruderkriegs zwischen Adidas und Puma. Ein Gutes aber hatte die<br />

Lektüre bei der Gauck-Behörde. Der Verdacht, ein Sportkamerad<br />

hätte ihn verraten, erwies sich als unbegründet. Seit dem verkehrt<br />

er wieder unbeschwert mit seinen Lauffreunden Siegfried Herrmann,<br />

Hans Grodotzki und Manfred Matuschewski.<br />

Im Beruf ging Jürgen May seinen Weg. Der Diplom-Sportlehrer<br />

wurde 1972 Sportreferent und 1986 Amtsleiter der Abteilung<br />

Bildung, Kultur und Sport im Landkreis Hanau-Main-Kinzig. Sein<br />

Vorgesetzter als Landrat war sein Freund Karl Eyerkaufer. Ein<br />

Glücksfall. Seit zwei Jahren genießt Jürgen May gemeinsam mit<br />

seiner Frau den Ruhestand, kümmert sich aber weiterhin als<br />

Vorstandsvorsitzender der "Sparkassen-Sportstiftung Main-Kinzig"<br />

um zahlreiche Aktivitäten. Gemeinsam mit seiner Frau treibt er<br />

begeistert Sport, spielt Tennis, macht Touren mit dem Mountainbike,<br />

zuletzt 120 Kilometer auf dem Rennsteig, tummelt sich gerne<br />

beim Bergwandern und Skifahren in den Dolomiten. Nach wie vor<br />

nimmt er Anteil an den Ereignissen im Spitzensport. Das Thema<br />

Doping aber hat die Begeisterung gedämpft. Selbst sei er mit<br />

Doping nicht in Berührung gekommen. In der DDR habe es jedoch<br />

damals Hinweise gegeben, dass in den Polizei- und Armeesportklubs<br />

Dynamo und ASK Vorwärts mit Aufputschmitteln aus dem<br />

Radsport nachgeholfen worden sei. Daheim in Oberrodenbach<br />

werkelt Jürgen May gern im Garten. Das Haus hat sich geleert.<br />

Sohn Mike unterhält als gelernter Goldschmied ein Juweliergeschäft<br />

in Hanau, Tochter Anja, eine promovierte Germanistin,<br />

wurde Gymnasiallehrerin. Zurzeit kümmert sie sich um den einjährigen<br />

David. Seither genießen die Mays auch noch Großelternfreuden.<br />

Mitte Juni beging der Mann, der einst Schlagzeilen machte, in<br />

aller Stille seinen 65. Geburtstag mit der Familie im Rheingau. Das<br />

Leben hat Jürgen May versöhnt mit den Nackenschlägen der<br />

Vergangenheit.<br />

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