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Ausgabe 4/2007 - Deutsche Olympische Gesellschaft

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falsche Spur gelegt werden. Larmoyanz wäre ebenso fehl am Platz<br />

wie heuchlerische Entrüstung. Statt um Moralin geht es hier um<br />

offenkundig fehlende Fairness und Vernunft des Fernsehens im<br />

qualitativen wie quantitativen Umgang mit dem, was man unter<br />

real existierendem Sport in seiner Gesamtheit zu verstehen hat -<br />

also nicht nur um den Profi-/Spitzensport sondern vor allem -und<br />

gerade jetzt- auch um den Sport an seiner imponierend großen<br />

Basis.<br />

Betrachten wir es mal nüchtern: Das aus dem Dunkeln immer<br />

deutlicher und massiver ans Tageslicht und somit in unser<br />

Bewusstsein gebrachte Doping-Problem wirft längst riesige Schatten<br />

auf alles, was unter Sport firmiert. Käme es dazu, dass Sport<br />

in unserer <strong>Gesellschaft</strong> allgemein als unsauber und somit diskreditiert<br />

wahrgenommen wird, hätte dies fatale Folgen, denn was<br />

gerade er an seinem breiten Fundament durch millionenfach<br />

praktizierte ehrenamtliche Arbeit Tag für Tag in den zigtausend<br />

Vereinen leistet und - das nicht zuletzt auch im Auftrag der<br />

Politik - zu leisten hat, ist so von niemandem sonst auch nur<br />

annähernd erfolgreich zu bewältigen. Und was hat das alles mit<br />

dem Fernsehen zu tun, respektive mit dem öffentlich-rechtlichen?<br />

Hier eröffnet sich gerade jetzt für ARD und ZDF die große Chance,<br />

ihrer diesbezüglichen Verpflichtung nachzukommen und bisherige<br />

Vernachlässigungen endlich zu korrigieren, Versäumtes nachzuholen,<br />

vernünftiges und faires Handeln gegenüber dem Basis- und<br />

Breitensport zu praktizieren, in dem man dessen vielfältigen<br />

Aktivitäten zur Bewältigung von gesellschaftsrelevanten Aufgaben<br />

wie beispielsweise in Sachen Gesundheit, Erziehung, Integration,<br />

Sozialisierung usw. usw. durch mehr und kompetentere Berichterstattung<br />

den Platz einträumt, der ihnen zusteht. Niemand wird<br />

freilich ernsthaft erwarten und verlangen, dass ARD und ZDF<br />

gerade im Massenphänomen Sport künftig auf das Spektakuläre<br />

großartig verzichten. Aber damit, dass Bemühungen um entsprechende<br />

Platzierung von Sendungen über Aktivitäten des organisierten<br />

Sports mit dem Argument "bringt keine Quoten" in ziemlich<br />

penetranter Regelmäßigkeit die kalte Schulter gezeigt wird,<br />

muss endlich Schluss sein.<br />

Abgesehen von Ignoranz und Hochnäsigkeit, die häufig nur<br />

schlecht verborgen hinter dieser Praxis der aus Steuergeldern<br />

finanzierten Anstalten steckt, ist einer solchen Denk- und Handlungsweise<br />

auch ein bemerkenswertes Quantum an Unlogik, gar<br />

Dummheit immanent. Denn wie jeder im TV-Metier wissen müsste,<br />

erwächst nur aus dem organisierten Sport an seiner Basis und<br />

in seiner Breite (übrigens getragen von der wohl größten und<br />

aktivsten Personenvereinigung in unserer <strong>Gesellschaft</strong>) der ach so<br />

attraktive Spitzen-/Profisport, aus dem das Massenmedium Fernsehen<br />

mit seinen Protagonisten später so gern und gierig Popularität<br />

und Werbeeinnahmen saugt. Ergo: vom Sport an seiner<br />

Wurzel, davon, wie er dort lebt, arbeitet und wächst, adäquat zu<br />

berichten, wäre nicht nur für ihn selbst eine der wichtigsten<br />

Voraussetzungen auf dem Weg zum Erfolg, sondern - unter ganz<br />

bewusster Inkaufnahme zunächst mäßiger Quoten - auch für das<br />

öffentlich-rechtliche Fernsehen eine durchaus weitsichtige Investition.<br />

Nun: Gute Zeiten oder schlechte Zeiten im Sport, mit diesem<br />

Fernsehen und mitten im Doping-Kampf? Dass Doping, die Manipulation<br />

unserer mentalen und physischen Möglichkeiten, beileibe<br />

weder neu noch ein exklusives Problem des Sports ist, dürfte<br />

allgemein bekannt sein. In der Kunst, im Show-Business, selbst bei<br />

der Arbeit, gerade auch bei kriegerischen Auseinandersetzungen<br />

unter den Soldaten, in vielen extremen Stresssituationen des<br />

Lebens, nimmt "Doping" in vielfältiger Form seit Menschengedenken<br />

einen gefährlichen, weil letztlich zerstörerischen Platz ein.<br />

Doch in kaum einem anderen Bereich unserer Existenz, als dem<br />

des zur Steigerung der Lebensqualität konzipierten und dafür<br />

prädestinierten, vernünftig praktizierten Sports, ist der Kampf<br />

gegen Doping so eminent wichtig und Erfolg versprechend.<br />

Warum das so ist? Wo und wie das, weit weg vom hemmungslos<br />

auf Profitmaximierung um jeden Preis ausgerichteten Sport<br />

alltäglich gemacht wird? Genau das könnten die Massenmedien,<br />

allen voran das Fernsehen, an Millionen Menschen eindrucksvoll<br />

und nachhaltig via Bildschirm weitergeben.<br />

Und dann wären es wohl bald wieder bessere Zeiten für den Sport<br />

in seiner faszinierenden Gesamtheit.<br />

Empfohlene Diät<br />

Der Doppelschlag von ARD und ZDF, die Live-Berichterstattung<br />

von der Tour de France zu beenden, wirkt wie<br />

eine bittere Medizin. Nach all den Jahren, in denen die<br />

öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten die große Schleife als<br />

dopingfreie Zone darstellten, haben sie nun den Schalter umgelegt.<br />

Der Dopingfall Patrik Sinkewitz als Anlass wurde später<br />

durch den Ausschluss des Kasachen Alexander Winokurow und<br />

des Dänen Rasmussen noch bekräftigt. Die Motive für den<br />

Ausstieg mögen, so moralinsauer sie begründet wurden, nicht<br />

nur edlen Motiven entspringen. Die gebührenfinanzierten<br />

Sender hatten auch eine Menge gut zu machen. Schließlich<br />

waren sie durch ihre aus den Taschen der Fernsehzuschauer<br />

finanzierten Verträge zu Kumpanen von Jan Ullrich und den<br />

Radprofis im Magenta-Trikot und damit des verrotteten<br />

"Doping-Events" geworden. Mag sein, dass es den Intendanten<br />

zugleich aus Kostengründen günstig erschien, sich aus dem<br />

zweifelhaften Gewerbe zurück zu ziehen. Der Effekt spricht für<br />

sich. Der Kreislauf von Sportprodukt, Sponsoren und Fernsehwerbung<br />

ist durchbrochen. Dem Geschäft wird die Grundlage<br />

entzogen. Daran werden auch Privatsender wie Sat 1 nichts<br />

ändern, der als Schmarotzer in die Lücke sprang. Manche<br />

Athleten, die für sich in Anspruch nehmen, sich nicht unerlaubter<br />

Mittel zu bedienen, fordern schon seit langem: Nehmt das<br />

Geld aus dem Sport! Das Rad der Sportgeschichte wird sich<br />

freilich nicht ins Amateurzeitalter zurückdrehen lassen. Aber<br />

vielleicht hilft eine Diät, mit der die unverhältnismäßig hohen<br />

Summen als Anreiz für Doping verschwinden. Dopingsünder<br />

wird es immer geben. Doch darum geht es nicht. Ein Gesundschrumpfen<br />

des überkommerzialisierten Spitzensports könnte<br />

erreichen, dass Doping nicht zur Voraussetzung für Erfolg,<br />

sondern wieder zur Ausnahme wird. Nur so lässt sich das Wesen<br />

des Sports retten: aus eigener Kraft um Sieg und Medaillen zu<br />

streiten, anstatt den Lorbeer durch Lug und Trug zu erschleichen.<br />

Steffen Haffner<br />

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