Ausgabe 4/2007 - Deutsche Olympische Gesellschaft
Ausgabe 4/2007 - Deutsche Olympische Gesellschaft
Ausgabe 4/2007 - Deutsche Olympische Gesellschaft
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ganisationen und größtem Bedenken der UNESCO. Zugleich<br />
will das IOC, erst vor wenigen Monaten von einer anderen<br />
Unterorganisation der Vereinten Nationen zum "Champion of<br />
the Earth" gekürt, seine Anstrengungen zum Schutz der<br />
Umwelt noch verstärken.<br />
Für die Präsidentschaft des Jacques Rogge stellen sich solche<br />
Widersprüche als besonderes Dilemma dar. Als der 65 Jahre<br />
alte belgische Comte 2001 das Amt vom spanischen Marques<br />
Juan Antonio Samaranch übernahm, wollte er mehr<br />
Demokratie wagen, das Ansehen des IOC durch eine Null-<br />
Toleranz-Politik gegen Doping und Korruption stärken, eine<br />
Wertedebatte entfachen, die <strong>Olympische</strong>n Spiele kostengünstiger<br />
und überschaubarer veranstalten, bei gleichzeitiger<br />
Modernisierung. Sechs Jahre später, zur Halbzeit einer<br />
voraussichtlich bis 2013 reichenden Präsidentschaft, fällt die<br />
Bilanz sehr unterschiedlich aus. Viel ist Rogge gelungen, viel<br />
hat er erst lernen müssen. Vieles konnte nicht gelingen, weil<br />
die Erbschaft zu schwer, die Zeit für langfristige Reformen zu<br />
kurz, die Widerstände zu groß und die Umstände dagegen<br />
waren.<br />
Samaranch hat die olympische Welt autokratisch regiert -<br />
und durch Freundschaften. Sie gründeten sich auf Geben und<br />
Nehmen. Eingeweiht in die Kernpolitik war nur sein Küchenkabinett.<br />
Standen wichtige Vorhaben an, dann schickte der<br />
Spanier seine Vertrauten los, um Stimmungen zu ergründen<br />
und zu beeinflussen. Im Gegensatz zu einer vorherrschenden<br />
Einschätzung war Samaranch ein vorsichtiger Regent, der nur<br />
eine Entscheidung wagte, wenn er sich des Sieges sicher sein<br />
konnte. So hat er in seiner 21-jährigen Präsidentschaft so gut<br />
wie keine Abstimmungsniederlage erlitten, sieht man einmal<br />
von Olympia-Entscheidungen ab. Samaranch wollte 1996<br />
nicht Atlanta sondern Athen und 2000 nicht Sydney sondern<br />
Peking als Ausrichter von Sommerspielen.<br />
Mit Rogge zog ein Stilwandel in das Olympic House in Lausanne<br />
ein, er war geprägt von Integrität, Eloquenz, Sparsamkeit<br />
und einer auch persönlichen Kontrolle, die selbst vor<br />
Reisekostenabrechnungen von IOC-Mitgliedern nicht Halt<br />
machte. Zum wichtigsten Helfer und Vertrauten wurde der<br />
Schweizer Gilbert Felli, den er vom Sportdirektor zum Exekutivdirektor<br />
für <strong>Olympische</strong> Spiele beförderte. Rogge suchte<br />
zunächst die demokratische Abstimmung. Er gab der Meinungsbildung<br />
einen freien Lauf. Anfangs ließ er mit seinen<br />
Plänen und Ideen selbst das Exekutivkomitee bis zuletzt im<br />
Unklaren. Allerdings einem eher schwachen, vor allem durch<br />
Proporz besetzten Führungsgremium.<br />
Die Gestaltung des olympischen Programms macht das<br />
unterschiedliche Vorgehen der beiden letzten IOC-Präsidenten<br />
besonders deutlich und zeigt zugleich, welch schweres<br />
Erbe Rogge angetreten hat. Samaranch betrieb Wachstum<br />
fast um jeden Preis und weitete die Sommerspiele mit 28<br />
Sportarten, über 300 Wettkämpfen und bis zu 12.000 Athleten<br />
ins Gigantische. Der Spanier subventionierte die beteiligten<br />
internationalen Verbände mit hohen Millionensummen<br />
und zog sich somit Teilhaber heran, deren Überleben in nicht<br />
wenigen Fällen von ihrer olympische Existenz abhängt.<br />
Abstimmungen über Sportarten wurden immer mehr zu<br />
Abstimmungsschlachten des Lobbyismus. Das Programm<br />
geriet für Samaranch zu einem unsteuerbaren Problem. Er<br />
wusste, dass er die Enteignung der Vollversammlung um<br />
eines ihrer wenigen Rechte, nämlich die Sportarten selbst<br />
und nicht durch die Exekutive zu bestimmen, nicht durchsetzen<br />
konnte. Also versuchte er es erst gar nicht. Am Ende<br />
seiner Präsidentschaft sagte Samaranch, "bei der Programmgestaltung<br />
habe ich versagt".<br />
Rogge betrat ein vermintes Feld, als er schon ein Jahr nach<br />
Amtsantritt die Wende herbeiführen wollte. Im ersten Anlauf<br />
scheiterte ein versuchter Platzverweis für Softball, Baseball<br />
und Modernen Fünfkampf. 2005 erlebte der IOC-Präsident<br />
ein Debakel, als die Vollversammlung zwar Softball und<br />
Baseball heraus wählte, aber dem Belgier danach den<br />
Wunsch auf Aufnahme von Golf und Rugby versagte. Mit<br />
entscheidend war ein höchst demokratisches, aber überaus<br />
kompliziertes System von Einzelabstimmungen. Daraus hat<br />
Rogge eine Konsequenz gezogen, die man eine gelenkte<br />
Demokratie nennen könnte mit der wieder auferstandenen<br />
Akklamation als wichtigstem Instrument. In Guatemala-<br />
Stadt setzte er durch, dass nicht nur wie bisher bei der<br />
Abwahl, sondern auch bei der Aufnahme neuer Sportarten<br />
lediglich noch eine einfache Mehrheit in der Vollversammlung<br />
notwendig ist. Die Regelung beinhaltet eine Ausdehnung<br />
der Programmherrschaft des Exekutivkomitees über<br />
Disziplinen und Wettbewerbe hinaus: Nach 26 Sportarten bei<br />
den Spielen in London 2012 soll es vier Jahre später 26<br />
Kernsportarten und zwei Wahlsportarten geben, 2020 heißt<br />
die Formel 25 plus drei. Das Vorschlagsrecht liegt bei der 15köpfigen<br />
IOC-Regierung, abgestimmt werden soll jeweils nur<br />
im Gesamten. Das macht auch deshalb Sinn, weil es ein<br />
Votum über ein Gesamtkonzept werden soll. Für jemanden,<br />
der sich eine Modernisierung des Programms zum Ziel<br />
gesetzt und zur größeren Flexibilität zunächst eine Zahl von<br />
15 Kernsportarten angestrebt hat, sind diese Veränderungen<br />
aber nur ein höchst relativer Erfolg. Allerdings gehört zu<br />
Rogges Bilanz auch das nicht geringe Verdienst, das olympische<br />
Wachstum gebremst zu haben.<br />
Veränderte demokratische Umgangsformen wandte der<br />
Belgier auch an, als es um die Einführung der <strong>Olympische</strong>n<br />
Jugendspiele und um die Wiederwahl von 27 IOC-Mitgliedern<br />
ging. Diese Wiederwahl nach einer achtjährigen Amtsperiode<br />
war nach dem Korruptionsskandal um den erfolgreichen<br />
Olympia-Bewerber Salt Lake City 1999 aus gutem Grund<br />
beschlossen und damals weitgehend applaudiert werden.<br />
Immerhin hatte sich das IOC ein für dringend notwendig<br />
13