Ausgabe 4/2007 - Deutsche Olympische Gesellschaft
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Mitgliederwachstum im Verein oder Zahlen<br />
Die Idee der freiwilligen Vereinigung weist wohl in<br />
keinem anderen Bereich unserer <strong>Gesellschaft</strong> eine<br />
vergleichbare Erfolgsgeschichte auf, wie dies im Sport<br />
der Fall ist. Nachdem sich im frühen 19. Jahrhundert Gleichgesinnte<br />
in so genannten Turngesellschaften zusammengeschlossen<br />
hatten, war eine Entwicklung in Gang gebracht<br />
worden, die bis heute andauert. Menschen mit gleichen<br />
Interessen gründen einen Verein, und in keiner Organisationsform<br />
gelingt es besser, gleichartige Interessen auf dem Gebiet<br />
des Sports zu Gunsten von Mitgliedern zu befriedigen, wie<br />
dies im Verein der Fall ist. Das historische Modell des Turnvereins<br />
hat deshalb viele Nachahmer gefunden, und allein in der<br />
Zeit von 1950, als der <strong>Deutsche</strong> Sportbund gegründet wurde,<br />
bis heute konnte die Zahl der in Deutschland existierenden<br />
Vereine von ehemals 19.874 auf mehr als 90.000 Vereine<br />
anwachsen. Immer mehr Mitglieder sind den Vereinen beigetreten,<br />
und so ist nicht nur ein Teil der Vereine langsam<br />
größer geworden, sondern die Gesamtmitgliederzahl jener<br />
Menschen, die sich in einem Verein über eine Mitgliedschaft<br />
einbinden lassen, ist von 6 auf 27 Mio. im genannten Zeitraum<br />
angewachsen.<br />
Mit diesem Wachstum haben sich auch die Vereine verändert,<br />
und mancher Verein ist heute längst nicht mehr das, was er<br />
noch vor wenigen Jahrzehnten gewesen ist. Wären die Turnund<br />
Sportvereine in ihrem Handeln nur auf die Interessen<br />
ihrer Mitglieder ausgerichtet, so wären die Vereine weder an<br />
einem Wachstum ihrer Mitgliederzahlen orientiert, noch<br />
müsste in ihnen eine Ausweitung ihrer Angebote notwendig<br />
sein. Ein Fußballverein könnte nach wie vor ein Fußballverein<br />
sein, in dem nur Gleichgesinnte Mitglieder sind, die gemeinsam<br />
Fußball spielen möchten. Doch die große Mehrzahl der<br />
Turn- und Sportvereine lässt sich in deren Entwicklung nicht<br />
nur von den Interessen der eigenen Mitglieder leiten. Die<br />
Vereine sind vielmehr in einen intensiven Austausch mit<br />
vielen relevanten Institutionen und Organisationen unserer<br />
<strong>Gesellschaft</strong> eingetreten, und so werden heute an die Vereine<br />
Aufgaben herangetragen, die mit der eigentlichen Idee eines<br />
Vereins nur wenig oder gar nichts zu tun haben. Aufgaben,<br />
die einstmals wie selbstverständlich Pflichtaufgaben des<br />
Staates gewesen sind, werden zunehmend delegiert, und die<br />
Vereine sind beliebte Adressaten für solche neuen Aufgabenstellungen.<br />
Prävention, Integration, Rehabilitation können die<br />
neuen Aufgabenstellungen lauten, und immer bedient sich<br />
der Staat dabei der freiwilligen Vereinigungen.<br />
Die Strukturen der Vereine verändern sich aber auch mit den<br />
Problemlagen der Mitglieder selbst und mit der veränderten<br />
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Altersstruktur, die die Mitglieder aufweisen. Mit den dabei<br />
entstehenden neuen Interessen, die ergänzend oder an Stelle<br />
der alten Interessen getreten sind, verändern sich auch die<br />
Aufgabenstellungen der Vereine und damit meistens die<br />
Angebote an die Mitglieder. So spielen Fußballer nach Beendigung<br />
ihrer aktiven Karriere Tennis in einer neu gegründeten<br />
Tennisabteilung, ehemalige Turnerinnen besuchen als ältere<br />
Hausfrauen eine Hausfrauengymnastik, und da auch Vereinsmitglieder<br />
Rückenprobleme haben, ist es naheliegend, dass<br />
man im Interesse der Mitglieder auch eine Rückensportgruppe<br />
eingerichtet hat. Vereine verändern sich somit aus sich<br />
selbst heraus, über die artikulierten Interessen der Mitglieder,<br />
vor allem aber auch auf Grund von immer aggressiver an die<br />
Vereine herangetragenen gesellschaftspolitischen Anliegen,<br />
was ebenfalls neue Strukturen und neue Mitgliedschaften für<br />
die Vereine zur Folge hat. Auf diese Weise kommt es zu<br />
Mitgliedergewinnen, die oft sehr langfristig und stabil sein<br />
können, aber keineswegs ist dies immer der Fall. Einige der<br />
neuen Interessen, die an und in die Vereine heran- bzw.<br />
hineingetragen werden, können jedoch auch eine Gefahr<br />
bedeuten, zumindest scheinen die dabei artikulierten Interessen<br />
nur bedingt den wirklichen Belangen einer verantwortungsvollen<br />
Vereinsarbeit zu entsprechen. Dies ist meist dann<br />
der Fall, wenn von außen versucht wird, die Geschicke des<br />
Vereins mit Macht oder mit Geld fremd zu bestimmen, wobei<br />
sich oft Macht und Geld auf das Engste miteinander verbinden.<br />
Dies lässt sich auch immer wieder am Beispiel des Fußballs<br />
beobachten. Der Profi-Fußball bedient sich zwar nach<br />
wie vor der Idee des Vereins, wenngleich sich diese Vereine<br />
ganz wesentlich verändert haben. In einem Bundesligaverein<br />
hat deren Lizenzspielerabteilung längst den Charakter einer<br />
juristisch eigenständigen Institution, und in gewisser Weise<br />
haben diese Vereine und deren Bundesligamannschaft nur<br />
noch den Namen gemein. Wohl gibt es aus steuerlichen<br />
Gründen noch eine Mitgliederversammlung des Vereins, die<br />
das Parlament für die Fußballabteilung darstellt, und die<br />
Aufsichtsräte und Präsidien der Bundesligamannschaft sind<br />
nach wie vor gegenüber dieser Mitgliederversammlung<br />
rechenschaftspflichtig. Doch all dies geschieht vorrangig<br />
unter steuerlichen Maximen.<br />
Diese formale Vereinsdemokratie ist in der Regel sehr tragfähig.<br />
Sie kann aber auch gewisse Gefahren in sich bergen. Will<br />
man im Lizenzfußball etwas beeinflussen, will man neue<br />
Konstellationen schaffen, so bedarf es der mehrheitlichen<br />
Unterstützung der Mitgliederversammlung. Einige Fans des<br />
Fußballs haben dies längst begriffen, und so versuchen sie bei<br />
entsprechenden Konflikten sich dieser Einrichtung zu bedie-